Ob die schützende Hand einer Mutter auf ihrem Kind, miteinander verschmelzende Körper, unfreiwillige Nähe oder das Abstandhalten in Zeiten einer Pandemie – ein wesentlicher Aspekt des menschlichen Daseins sind Berührungen. Eine neue Ausstellung in Bremen lädt Besucherinnen und Besucher dazu ein, Berührungen aus wechselnder Perspektive zu erleben: Vom 19. September 2020 bis zum 24. Januar 2021 zeigen die Museen Böttcherstraße die Sonderausstellung „Berührend. Annäherung an ein wesentliches Bedürfnis“.
Wo in der Hansestadt früher die Fassmacher wohnten, bilden heute die Museen Böttcherstraße den kulturellen Höhepunkt einer architektonisch kunstvollen Straße.
Hier sind gleich zwei Museen miteinander verbunden: Das Paula Modersohn-Becker Museum widmet sich als weltweit erstes Museum einer Malerin. Zweiter im Bunde ist das Ludwig Roselius Museum, ein altbremisches Patrizierhaus des 16. Jahrhunderts. Die regelmäßigen Sonderausstellungen der Museen Böttcherstraße verbinden die Geschichte beider Häuser mit verwandten Themen und Werken der Gegenwartskunst. Die Idee zur Ausstellung „Berührend“ entstand unter dem Eindruck der Abstands- und Distanzregeln zur Eindämmung des Corona-Virus im Frühjahr 2020. So wurden viele Berührungen und ihre facettenreichen Erscheinungen im Moment der Einschränkung plötzlich sichtbar.
Berührung: körperlich und emotional zugleich
Die Doppeldeutigkeit im Titel der neuen Ausstellung ist ganz bewusst gewählt. Nicht nur die abgebildete körperliche Nähe qualifiziert die ausgewählten Kunstwerke für das Projekt, sondern vor allem die zugleich hervorgerufene emotionale Berührung. Verschiedenste Aspekte des menschlichen Wesens finden in einer Berührung Ausdruck, welche dieses wesentliche Bedürfnis zum beliebten Motiv in der Kunst werden lassen.
Fünf Themenräume mit insgesamt 70 Kunstwerken begegnen dem Motiv mit emotionaler Eindringlichkeit. Leihgaben von Künstlerinnen und Künstlern wie Marina Abramovic, Ernst Barlach, Vivian Greven, Käthe Kollwitz, August Macke oder Robert Mapplethorpe ergänzen die Sammlungswerke. Der hohe Stellenwert der Berührung für die Entwicklung des Menschen, für sein soziales Zusammenleben und seine Gesundheit zeigt sich darüber hinaus in Zitaten, Texten und Videos von Vertreterinnen und Vertretern unterschiedlicher Berufsgruppen. So beschreibt zum Beispiel eine Masseurin die heilende Wirkung einer Berührung, eine Domina spricht über die Lust am Schmerz und ein Produktentwickler erläutert die Relevanz der Haptik in der Gestaltung.
Von Offenbarung über Fürsorge und Liebe bis zur Grenzüberschreitung
Gleich zu Beginn des thematischen Rundgangs hängt ein Bildpaar, das die Mehrdeutigkeit des Titels „Berührend“ verdeutlicht: „Christus als Schmerzensmann“ von Lucas Cranach des Älteren und Paula Modersohn-Beckers berühmtes „Selbstbildnis am 6. Hochzeitstag“. Auf unterschiedliche Weise benutzen diese und weitere Werke im ersten Ausstellungsraum das Motiv der Berührung als Mittel zur Erkenntnis und Offenbarung in der Kunst. Im zweiten Raum wechselt die Perspektive zur beschützenden und fürsorglichen Berührung. Eine alltägliche und dennoch berührende Szene zeigt hier die Fotografie „Sonntagsspaziergang“ von Toni Schneiders: ein Kind, von den Körpern der Eltern beschützend eingefasst. Die Fixierung des Moments unmittelbar vor der Berührung der Hände von Vater und Kind macht diese Fotografie so besonders, verdeutlicht sie doch neben der Fürsorge auch die Flüchtigkeit einer Berührung.
Weniger um Schutz und mehr um Liebe geht es im dritten Themenraum, wobei der sexuelle Aspekt ausgespart und der Fokus auf die Berührung selbst gelenkt wird. Auffällig ist, wie stark die dargestellten Figuren in vielen Werken miteinander zu verschmelzen scheinen. Körpergrenzen werden aufgehoben, Gesichter sind nicht erkennbar, Identitäten irrelevant.
Zum vierten Themenraum hin verändert sich erneut die Perspektive und wird nach all den positiven Betrachtungen einer Berührung zunehmend düster. So ist das Oberthema dieses Raumes zwar nicht Gewalt oder Schmerz, aber dennoch die Grenzüberschreitung, die eine Berührung mit sich bringen kann. Wie unangenehm zu viel Nähe sein kann, wird zum Ende der Ausstellung hin auch durch eine Fotografie von Michael Wolf sichtbar: Mit fast zum Gebet gefalteten Händen, geschlossenen Augen und durch eine Mund-Nasen-Maske verdecktem Gesicht drängt sich der Fotografierte hinter eine von Atem beschlagene U-Bahn-Tür.
Die Ausstellung verdeutlicht die Relevanz und Notwendigkeit der Berührung für das Menschsein und lädt Besucherinnen und Besucher dazu ein, alltägliche Berührungen einmal ganz bewusst zu erleben. Weitere Informationen finden Interessierte unter www.bremen.de/beruehrend-annaeherung-an-ein-wesentliches-beduerfnis.
Wer möchte, kombiniert den Museumsbesuch mit einer Führung durch die kunstvolle Böttcherstraße. Teilnehmende erfahren Wissenswertes zur Entstehungsgeschichte des außergewöhnlichen Architekturprojekts und entdecken eine Vielfalt an Kunst und Kunsthandwerk in der kleinen Gasse. Die Führung dauert etwa eine Stunde und ist über die Bremer Touristik-Zentrale (BTZ) über www.bremen-tourismus.de buchbar.
Weitere Informationen zu vielseitigen Angeboten in Bremen gibt es bei der Bremer Touristik-Zentrale (BTZ) unter www.bremen.de/tourismus oder bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Service-Telefons unter 0421/30 800 10.