"In der DNA des Standortes findet sich auch heute noch der Pioniergeist der Gründer wieder"
Luft- und RaumfahrtAirbus in Bremen – eine Erfolgsgeschichte
Bremen blickt auf 100 Jahre Flugzeugbau am Standort zurück. Den Start markiert der 2. Januar 1924. An diesem Tag nahm die Focke-Wulf Flugzeugbau A.G. in Bremen ihren Betrieb auf. Heute betreibt Weltmarktführer Airbus in Bremen den zweitgrößten Produktionsstandort in Deutschland auf dem Areal der einstigen Focke-Wulf Flugzeugbau A.G. Ehemaliger Airbus-Standortleiter Joachim Betker wirft einen Blick auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Herr Betker, Airbus hat Bremens Luftfahrtgeschichte entscheidend mitgeprägt. Welche Faktoren waren aus Ihrer Sicht ausschlaggebend für die Erfolge auf diesem Weg?
Joachim Betker: Ich finde den Pioniergeist der Gründer beeindruckend, und das findet sich in der DNA des Standortes auch heute noch wieder. Immer wieder den Mut aufzubringen für neue Technologien, für neue Schritte, für neue Prozesse, auch in schwierigen Zeiten. Entscheidend ist ja immer die Kompetenz aller Beteiligten, und natürlich ein Rückhalt in Politik und Gesellschaft.
Airbus hat sich in Bremen breit aufgestellt. Kann man sagen, dass dieses Portfolio die besonderen Standortkompetenzen reflektiert? Und welche Bedeutung haben diese Kompetenzen industriell für den Luftfahrtbereich?
Eine hohe Relevanz, sonst wären wir nicht da. Wir arbeiten in einem internationalen Konzern, das gilt für alle Geschäftsbereiche. Im Geschäftsbereich Verkehrsflugzeuge haben wir hier in Bremen einen starken Engineering-Standort, zum Beispiel mit dem Bereich Materialien und Prozesse im Forschungs- und Technologiezentrum ECOMAT. Stark vertreten ist auch der Bereich Frachtladesysteme, sowohl bei der A400M als auch in der zivilen Sparte. Die Hochauftriebssysteme, ohne die kein Flugzeug fliegt, sind ein weiterer wesentlicher Schwerpunkt, den es nur in Bremen gibt. Zusätzlich forschen wir in Bremen am Thema Fliegen mit Wasserstoff. Der Umstand, dass unsere Kolleginnen und Kollegen von der Raumfahrt auch hier am Standort sind, hilft uns dabei sehr. Das alles sind Kernkompetenzen, die Bremen stärken innerhalb eines großen Verbundes in unserem internationalen Konzern.
Welche Themen sind aus Sicht von Airbus für die nächsten Dekaden von besonderer Bedeutung, und welche Konsequenzen zieht Airbus daraus für die weitere Entwicklung des Standortes?
Wir leisten einen wesentlichen Beitrag im Verbund des Gesamtkonzerns, darauf sind wir stolz. Die Themen Frachtladesysteme und Hochauftriebssysteme gibt es nur in Bremen, gleiches gilt für die Flugphysik mit den Kompetenzen im Bereich Materialien und Prozesse im ECOMAT. Das alles sind sehr spezifische Kompetenzen in der Zivilflugzeugsparte, die auch einmalig im Konzern sind.
Auch die Entscheidung, hier Ende 1967 die ERNO Raumfahrttechnik GmbH zu etablieren, war ein mutiger Schritt. Wer hätte damals gedacht, dass Raumfahrt eine so große Bedeutung erlangen würde? Heute sind wir einer der großen Raumfahrtstandorte in der Republik.
Airbus Standort Bremen
- Das Bremer Airbus-Werk konstruiert und montiert die Tragflächen für die Langstreckenflugzeuge A330 und A350.
- In Bremen befindet sich das Zentrum für die Entwicklung und Produktion von Hochauftriebssystemen für alle Airbus-Programme.
- Der zweitgrößte deutsche Airbus-Standort mit rund 4500 Mitarbeitern ist maßgeblich an der Entwicklung und Produktion des Transportflugzeugs A400M beteiligt.
- Darüber hinaus werden in Bremen Frachtladesysteme für die gesamte Flotte von Airbus entwickelt.
- Neue Technologien werden in den Bereichen Material- und Prozessentwicklung erforscht und zur Reife gebracht, maßgeblich im Forschungs- und Technologiezentrum ECOMAT.
- Airbus widmet sich in Bremen intensiv dem Einsatz von Wasserstoff für das (grün fliegende) Flugzeug der Zukunft.
Airbus arbeitet vor Ort eng mit diversen Partnern zusammen, darunter auch mit der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH, beispielsweise im Forschungszentrum ECOMAT. Welche Potenziale sieht Airbus in Bremen in derartigen Kooperationen?
Das ECOMAT ist ein Paradebeispiel für eine sehr gelungene Zusammenarbeit zwischen der Politik, universitären Einrichtungen und Airbus. Im ECOMAT gibt es verschiedene Partner. Als große Laboreinrichtung für Materialtests ist die Einrichtung maßgeschneidert auf die Bedürfnisse dieser Partner und von Airbus. Was hier von uns in Verbindung mit IFAM, FIBRE und DLR erforscht und erarbeitet wird, das findet sowohl bei Airbus als auch international eine hohe Anerkennung. Das wollen wir fortsetzen.
Zudem haben wir das ZEROe Development Centre hier in Bremen und entwickeln dort Tanksysteme mit einem hohen Bedarf an Forschung und Materialqualifizierung für Komponenten zum Thema Wasserstoff. Wir wollen das, was wir im ECOMAT haben und was seit mehreren Jahren erfolgreich läuft, weiter ausweiten und die Forschungen zum Thema Wasserstoff intensivieren. Darum geht es bei der Diskussion über eine Erweiterung des ECOMAT. Wir nennen das ECOMAT Hydrogen Campus. Dazu läuft gerade eine Konzeptphase unter der Führung der WFB.
Es heißt, Airbus wolle angesichts wieder anziehender Konjunktur im Flugzeugbau weltweit 13.000 neue Stellen schaffen. Worauf beruhen diese Einschätzungen und was bedeuten sie für den Standort Bremen?
Wir sehen eine Erholung des Luftverkehrs nach der Corona-Pandemie mit einem enormen Nachholbedarf. Die Situation der Airlines ist jetzt wieder deutlich besser, der Flugverkehr ist wieder nahezu normal. Daher haben wir eine gute und robuste Nachfrage nach unseren Modellen. Mit der Perspektive von 13.000 Beschäftigten in Summe konzernweit haben wir in Deutschland rund 3.500 Mitarbeitende neu eingestellt, ebenso in Frankreich. Das Gros entfällt auf die Produktion und Endmontage. Und auch in Bremen haben wir 2023 mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen neu eingestellt.
Wie schwierig ist es für Sie, Ihren Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften vor Ort zu decken und zu halten?
Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir viele Bewerbungen haben, aus dem Land Bremen, aus der Region, und aber auch national und international. Als Arbeitgeber hat Airbus einen guten Ruf. Junge Menschen, die sich bei uns bewerben, sind interessiert an Luft- und Raumfahrt, daher haben wir grundsätzlich eine relativ gute Ausgangslage.
Gleichzeitig sind wir aber genauso betroffen wie alle anderen von dem Mangel an jungen Menschen, vor allem jungen Frauen, die sich für technische Fächer interessieren. Wir sind attraktiv und haben relativ viele überregionale Kandidaten und Kandidatinnen, gleichzeitig sind wir immer noch aktiv auf der Suche, um natürlich auch die Besten für uns zu gewinnen. Wir machen viel im Employment-Marketing hier in der Region, aber auch national und international.
Wünschen Sie sich mehr Unterstützung dabei in der Region?
Ich glaube, die Begeisterung für technische Fächer, die MINT-Disziplinen, das ist ein grundsätzliches Thema, das gesellschaftlich, politisch, und langfristig angegangen werden muss. Ja, wir wünschen uns Unterstützung bei dieser langfristigen Aufgabe.
In welcher Weise verändern die fortschreitende Digitalisierung und der zunehmende Einsatz von KI den Bedarf und die Anforderungen an die Arbeitskräfte in der Luftfahrtindustrie? Hat Airbus dazu Untersuchungen angestellt?
KI hat eine hohe Relevanz für unser Unternehmen. Perspektivisch geht es im ersten Schritt erstmal um Big Data und Data Analytics. Die Dinge werden immer schnell vermischt: Was Data Analytics ist, ist nicht automatisch KI. Wir haben ein großes Feld in der Datenanalyse und Datenaufbereitung, und der nächste Schritt ist dann KI, den gehen wir ebenfalls an.
Machen Sie eigene Untersuchungen zu den Qualifikationsprofilen für künftige Arbeitsplätze in diesem Zusammenhang?
Ja, wir haben unsere Ausbildungsprofile angepasst. In diesem Jahr beschäftigen wir 70 Auszubildende und Duale Studierende. Insgesamt beschäftigen wir über 250 junge Menschen, die bei uns in der Ausbildung oder im dualen Studium sind. In den vergangenen Jahren haben wir innerhalb der Ausbildung den Bereich IT noch einmal deutlich gestärkt. 50 junge Menschen über die verschiedenen Jahrgänge hinweg werden bei uns in dieser Fachrichtung ausgebildet.
Airbus bietet den großen Vorteil, dass Beschäftigte bei uns Flugzeugbau und IT verbinden können. Das ist für viele Menschen attraktiv, die zwar in der IT arbeiten, aber auch ein richtiges Produkt sehen wollen. In der Produktion, im Engineering und im Testing gibt es zahlreiche Anwendungen dafür.
Bremen blickt zurück auf 100 Jahre Flugzeugbau, feiern auch Sie bei Airbus?
Wir werden unsere Mitarbeitenden mit ihren Familien am 2. Juni 2024 einladen, gemeinsam unseren Standort hier zu entdecken, das ist sozusagen die Geburtstagsfeier mit unserer Belegschaft. Und mit der Bremer Community unserer Branche wollen wir am 29. Februar all das, was in 100 Jahren Luft- und Raumfahrt entstanden ist, in der Oberen Rathaushalle würdigen und feiern, unter der Schirmherrschaft unseres Vorstands und des Bürgermeisters.
Herr Betker, vielen Dank für das Gespräch!
Bisher in der Reihe "100 Jahre Flugzeugbau in Bremen" erschienen:
- Interview mit Joachim Betker, ehemaliger Standortleiter Airbus Bremen
- Die Geschichte des Flugzeugbaus in Bremen – Teil 1: 1924 - 1945
- Die Geschichte des Flugzeugbaus in Bremen – Teil 2: 1952 - 2024
- Airport-Stadt Bremen: Wo Luft- und Raumfahrt zu Hause sind
- Warum Seesterne für Flugzeugentwickler interessant sind
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