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27.5.2024 - Wolfgang Heumer

Warum Seesterne für Flugzeugentwickler interessant sind

Pressedienst

Mit der Focke Wulf A16 startete vor hundert Jahren der Luftfahrtstandort Bremen

Der Aufstieg Bremens zu einem der führenden Flugzeugbau-Zentren in Europa begann vor hundert Jahren mit dem Start der „Focke Wulf A 16“, dem ersten industriell gefertigten Flugzeug „made in Bremen“. Auch heute wird in der Hansestadt immer noch Pionierarbeit geleistet. Dabei spielen auch Seesterne eine Rolle.

Rolf Henke vor einem Flugzeug
Rolf Henke vor einer Junkers W33, die den ersten erfolgreichen Transatlantikflug absolvierte. © WFB/Björn Hake

Es war ein ungewöhnliches Fluggerät, das am 23. Januar 1924 erstmals aus einer Halle am Stadtrand von Bremen rollte. Klein und gedrungen, mit einer „dicken Nase“ und einer fast den gesamten Rumpf überragenden Tragfläche, unterschied sich die Maschine deutlich von den damals bereits eher schlanken und filigranen Fluggeräten. Zusätzlich zum Piloten bot das aus Holz und Stoffbespannung gebaute Flugzeug drei Passagieren Platz. Das Rollout führte in eine neue Epoche: „Als erstes in einem Bremer Unternehmen produziertes Flugzeug markiert die Focke Wulf A16 den Beginn der hundertjährigen Geschichte des Flugzeugbaus in der Hansestadt“, sagt der Bremer Luftfahrtexperte und Strategieberater Professor Rolf Henke.

DNA der Flugzeug-Pioniere findet sich im Airbus-Konzern wieder

Henrich Focke und Georg Wulf waren die Pioniere der Luftfahrt in Bremen; sie begegneten sich schon in jungen Jahren. Dass der damals 20 Jahre alte Maschinenbau-Student Focke um 1910 mit ersten Flugzeugmodellen experimentierte, begeisterte den fünf Jahre jüngeren Wulf so sehr, dass er die Schule abbrach und Focke bei seiner Arbeit unterstützte. Nur zwei Jahre später stellten die beiden ihren ersten flugfähigen Eindecker vor, den Wulf flog. 1923 legten sie den Grundstein für ein eigenes Werk in Bremen, das ab Januar 1924 als Focke Wulf Flugzeugbau AG firmierte.

Diese Geschichte wirkt bis heute: Über mehrere Stationen wie die Unternehmen Weserflug und Vereinigte Flugzeug Werke VFW sowie den Entwicklungsring Nord (ERNO) steckt ein Stück Focke Wulf sogar im europäischen Flugzeugbauer Airbus. In der Bremer Luft- und Raumfahrtbranche arbeiten nach Angaben der Bremer Wirtschaftssenatorin rund 12.000 Beschäftigte in mehr als 140 Unternehmen und 20 Instituten. Gemessen an der Einwohnerzahl hat Bremen damit die höchste Beschäftigungsdichte in der Luft- und Raumfahrt in Deutschland.

Viele Männer stehen vor einem Flugzeug
Beschäftigte der Focke-Wulf-Werke stehen vor der A 16. © Airbusarchiv

Auf dem früheren Gelände der Focke Wulf Flugzeugbau AG produziert heute Airbus

Mit seinem zweitgrößten deutschen Werk ist Airbus prägend für den Luft- und Raumfahrtstandort Bremen. Auf dem früheren Gelände der Focke Wulf Flugzeugbau AG produziert der Konzern mit rund 4.500 Beschäftigten Landeklappen für alle zivilen Baureihen. Zudem werden hier die in Großbritannien gefertigten Flügel für die Langstreckenmaschinen A330 und A350 mit Hydraulik- und Elektronik-Komponenten komplettiert. Nicht zuletzt wird in Bremen der komplette Rumpf des Militärtransportes A 400 M gebaut.

Die Bedeutung des Standorts Bremen wird aber vor allem dadurch unterstrichen, dass Airbus hier wesentliche Entwicklungsschwerpunkte für den gesamten europäischen Konzern zum Beispiel in den Bereichen „Materials and Processes“ oder „Flugphysik“ angesiedelt hat. „Nach hundert Jahren leisten unsere Mitarbeitenden hier am Standort weiterhin Pionierarbeit und liefern wertvolle Beiträge zur Zukunft der Luft- und Raumfahrt“, sagt Michael Kalbow, Standortleiter von Airbus in Bremen. „Darauf sind wir sehr stolz und freuen uns auf die nächsten hundert Jahre.“ Das Jubiläum „100 Jahre Flugzeugbau“ feiert Bremen 2024 mit zahlreichen Veranstaltungen und Aktionen.

Mit dem weltweit ersten Hubschrauber Rekorde erzielt

Erhalten hat sich am Luft- und Raumfahrtstandort Bremen aber vor allem der Pioniergeist, der Focke und Wulf kennzeichnete. Georg Wulf starb 1927 bei einem Crash während eines Erprobungsflugs des Prototyps der F 19 „Ente“. Das hinderte Focke nicht daran weiter zu machen. Nachdem er von den Nationalsozialisten aus seinem eigenen Unternehmen gedrängt worden war, befasste sich Henrich Focke mit der Entwicklung von Drehflüglern. Mitte der 1930er-Jahre präsentierte Focke mit der Fw61 den weltweit ersten Hubschrauber, der dieser Bezeichnung gerecht wurde und auf Anhieb eine ganze Reihe von Weltrekorden erzielte.

Weißer Flugzeugnachbau in einer Halle
Ein Nachbau der A 16 steht im Technikmuseum Berlin. © Technik Museum Berlin

Branche beschäftigt sich mit Fragen der Effizienz und der Digitalisierung

Ähnlich weit nach vorne blicken auch die heutigen Forschenden und Entwickler am Luftfahrtstandort Bremen. „Wir beschäftigen uns mit allen Zukunftsthemen wie zum Beispiel Effizienz, autonomes Fliegen, Einsatz von Drohnen und Digitalisierung“, fasst Professor Henke das Spektrum zusammen. Für solche Leistungen ist Bremen nach Überzeugung des Experten kompetent und breitgefächert aufgestellt. Airbus hat wesentliche Forschungsthemen am Standort Bremen konzentriert; eine Vielzahl von Kleinunternehmen und Start-ups befasst sich mit innovativen Lösungen für Detailfragen. Dazu kommen Forschungseinrichtungen wie das Fraunhofer IFAM sowie das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR.

Zu dessen Einrichtungen zählt unter anderem das Virtual Product House (VPH). Dort geht es nicht nur um Detailaspekte der Digitalisierung in der Flugzeugproduktion. „Im Mittelpunkt steht die gesamtheitliche Betrachtung eines Flugzeuges von der Entwicklung bis zur Demontage am Ende seines Lebenszyklus“, sagt Rolf Henke über das VPH, das geschaffen wurde, als er als Luftfahrt-Vorstand des DLR war.

Die Natur als Vorbild für innovative Tragflächen-Technologie

Zu den führenden Institutionen in Lehre, Forschung und Entwicklung zählt die Hochschule Bremen mit ihren thematischen Schwerpunkten Aerospace Technologies, Luft- und Raumfahrttechnik sowie Luftfahrtsystemtechnik und -management. Ein auf den ersten Blick ungewöhnliches Projekt verfolgt der Fachbereich Bionik. Professor Jan-Henning Dirks und sein Team sind überzeugt, dass Seesterne das Vorbild für eine neue und kostensparende Technologie im Flugzeugbau sein können. Seesterne verfügen über eine verblüffende Fähigkeit: Sie können ihre an sich weichen und beweglichen Arme in Sekundenbruchteilen so versteifen, dass die neue Form auch mit hohem Kraftaufwand nicht zu verändern ist.

Eine solche Fähigkeit ist gefragt, um die Form der Tragflächen eines Flugzeugs den unterschiedlichen Anforderungen bei Start, Landung und Streckenflug anzupassen, sagt Dirks . „Die bisher dafür notwendige Steuerung zum Beispiel der Landeklappen-Technik gehört zu den aufwendigsten Komponenten eines Flugzeugs“, erläuterte Jan-Henning Dirks bei einer Vorstellung seines Seestern-Projekt vor der maritimen Wirtschaft in Bremen. Wenn es gelingt, das Seestern-Prinzip technisch nachzubilden, könnte dies die Konstruktion von Flugzeugtragflächen um ein Vielfaches vereinfachen, ist er überzeugt. Erste künstliche Seesterne mit vergleichbaren Fähigkeiten konnte er seinen Gästen bereits zeigen.

Zwei weiße Flugzeuge fliegen über den Wolken
Entwurf des Konzeptflugzeugs Airbus ZeroE Blended Wing mit Flüssigwasserstoffspeicher unter den Tragflächen. © Infografik/Airbus

„Unternehmerische und wissenschaftliche Kompetenz in allen Verkehrsbereichen“

Dass sich auch die maritime Wirtschaft in Bremen für solche Themen aus der Luftfahrt interessiert, zeigt für Professor Henke hundert Jahre nach dem Beginn des industriellen Flugzeugbaus an der Weser das besondere Potenzial des Standorts Bremen: „Wir besitzen hier unternehmerische und wissenschaftliche Kompetenz in allen wesentlichen Verkehrsbereichen und sind deshalb in der Lage, uns ganzheitlich mit allen Verkehrsthemen auseinanderzusetzen.“

Eines der großen Aufgaben ist es nach Auffassung von Henke, die Effizienz von Flugzeugen zu steigern und ihre Emissionen zu verringern. In Bremen liefern Airbus-Ingenieure wesentliche Beiträge für die übernächste Generation von Verkehrsflugzeugen des weltweiten Marktführers. Mit ihrer „dicken Nase“ und einer fast den gesamten Rumpf überragenden Tragfläche haben die ersten Entwürfe dieser Zukunftsflieger durchaus Ähnlichkeit mit der Focke Wulf A16, mit der vor hundert Jahren in Bremen alles begann.

Pressekontakt:
Rolf Henke, Aviation Strategy and Consulting (AVISC), E-Mail: rolf.henke@avisc.de
Daniel Werdung, Media Relations Manager Communications – Media Relations Airbus, +49 40 743 59078, E-Mail: daniel.werdung@airbus.com

Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebe-nen Bildnachweises frei zum Abdruck.

Foto 1: Rolf Henke vor einer Junkers W33, die den ersten erfolgreichen Transatlantikflug absolvierte. © WFB/Björn Hake

Foto 2: Beschäftigte der Focke-Wulf-Werke stehen vor der A 16. © Airbusarchiv

Foto 3: Ein Nachbau der A 16 steht im Technikmuseum Berlin. © Technik Museum Berlin

Foto 4: Entwurf des Konzeptflugzeugs Airbus ZeroE Blended Wing mit Flüssigwasserstoffspeicher unter den Tragflächen. © Infografik/Airbus

Der Pressedienst aus dem Bundesland Bremen berichtet bereits seit Juli 2008 monatlich über Menschen und Geschichten aus dem Bundesland Bremen mit überregionaler Relevanz herausgegeben von der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH. Bei den Artikeln handelt es sich nicht um Werbe- oder PR-Texte, sondern um Autorenstücke, die von Journalisten für Journalisten geschrieben werden. Es ist erwünscht, dass Journalistinnen und Journalisten den Text komplett, in Auszügen oder Zitate daraus übernehmen.

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