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9.1.2017 - Annica Müllenberg

Gärtnern für Mars, Mond und Antarktis

Luft- und Raumfahrt

Gemüse im Weltraum? Das könnte mit dem Container-Gewächshaus des Projekts „EDEN ISS“ vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Bremen bald Wirklichkeit werden

„Die besten Ideen kommen aus der Garage“, meint der Teamleiter der EDEN-Gruppe, Daniel Schubert, und lässt Gedanken an Steve Jobs aufkommen, der den ersten Apple-Computer in der Garage seiner Eltern baute. Eine Idee, die den Luft- und Raumfahrtstandort Bremen weltweit bekannt machen wird, gedeiht ebenfalls an einem schmucklosen Ort: Schubert und sein Team experimentieren in einem Labor in der Tiefgarage des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Eine eher unwirtliche Umgebung könnte man denken, denn die Forscher züchten Gemüse. Tatsächlich entpuppt sich der in pinkes Licht getauchte sterile Raum ohne Erde und Sonneneinstrahlung als ein Garten Eden. Das von der Natur komplett losgelöste Gewächshaus soll in weiter Zukunft auf anderen Planeten und in Raumfahrzeugen stehen. In absehbarer Zeit – nämlich 2018 – wird bereits in der Antarktis geerntet.

Frisches aus dem Labor

Nährstoffreiche Erde, Sonnenlicht und Insekten, die bestäuben, sind nötig, damit Gurke, Tomate und Radieschen auf der heimischen Parzelle ertragreich gedeihen. Diese Voraussetzungen fehlen in Daniel Schuberts „Garten EDEN“. Dennoch freut sich sein sechsköpfiges Team über eine reiche Ernte – frisch aus dem Labor. „In diesem sterilen Raum entkoppeln wir die Pflanzen aus der natürlichen Umgebung und ersetzen alle zum Wachstum relevanten Faktoren durch künstliche“, erklärt der Wirtschaftsingenieur die technisch ausgeklügelte Anlage im DLR. Fragt man ihn, weshalb er das Projekt ins Rollen brachte, heißt es, dass er Astronauten den Gemüseanbau ermöglichen wolle. Bisher besteht der Speiseplan an Bord von Raumfahrtzeugen aus Dosen und Trockennahrung. Das schmeckt nicht nur einseitig, sondern ist vitaminarm und drückt aufs Gemüt. „Gemüse ist frische Nahrung und der Anbau bringt Sauerstoff. Außerdem ist der psychologische Effekt nicht zu unterschätzen“, Schubert zählt die Vorteile auf. Eine Marsmission dauere zweieinhalb bis drei Jahre, der Blick auf etwas Grünes könne die Stimmung aufhellen. Die Lösung: Pflanzensamen in der Weltraumgärtnerei ziehen.

Sprühtechnik statt Spaten

2011 startete die EDEN-Gruppe und die bisherige Ernte kann sich sehen lassen: Gurken, Tomaten und Paprika nehmen die Ingenieure wöchentlich von den Pflanzen ab, deren Wurzeln in der Luft hängen. „In den Versuchen werden nur wasserreiche Gemüsesorten gezogen. Die können bisher nicht haltbar gemacht werden. Bei Getreide und Kartoffeln ist das Trocknen möglich.“

Unkraut jäten, umgraben und düngen? All das ist nicht nötig, denn Erde gibt es im Labor nicht. Dafür aber einen perfekt optimierten Lichtmix sowie einen flüssigen Nährstoffcocktail. Letzterer rieselt als Nebel regelmäßig auf die Wurzeln nieder, ausgestoßen durch eine Sprühanlage. Flüssigkeit, die nicht aufgenommen wird, sammelt sich in einem Behälter und kann erneut verwendet werden – auf den Milliliter genau berechnet ist der Nährstoffverbrauch für jede Pflanze. Kein Tropfen zu viel wird verbraucht.

Als verbesserungswürdig bewertet der Forscher noch den Energieaufwand für Licht. Einige Setzlinge genießen 24 Stunden lang LED-Bestrahlung, das sind viele Kilowattstunden für ein Kilogramm Tomaten. „Den Energieaufwand müssen wir noch senken, damit sich die Anlage rechnet.“

Rasant gereifter Leckerbissen

Geschmacklich kann der sterile Ertrag durchaus mit dem natürlichen mithalten: Von der wässrigen Holland-Tomate bis zum sonnengereiften Italien-Exemplar sind alle gewünschten Varianten planbar. „Wir spielen mit der Natur und können Licht und Nährstoffe so einsetzen, dass die Sorten bestmöglich reifen.“ Die Forscher sind der Natur voraus: Sie geben Geschmacksgarantie und ernten schneller: Im Beet reift ein Kopfsalat in sechs bis acht Wochen, in der Weltraumgärtnerei kann er nach vier Wochen auf den Teller.

Nutzen im All und in der Antarktis

Der 41-Jährige ist zufrieden mit den bisherigen Ergebnissen, zumal diese nicht nur im All, sondern auch auf der Erde von Nutzen sind – bald schon in der Antarktis. Die Bedingungen dort ähnelten denen auf Mond oder Mars: 40 Grad minus, Schneestürme mit Windgeschwindigkeiten von 30 km/h und die Hälfte des Jahres Dunkelheit. Die in der deutschen Neumayer-Station III lebenden Wissenschaftler haben keine Chancen, in dieser kargen Landschaft Beete anzulegen. Der Ausblick:

2018 starten wir in der Antarktis mit einem eigenen Labor. Ein Container mit unserer Technik wird eingerichtet, ein Mitarbeiter ist ein dreizehn Monate vor Ort und betreut die Pflanzen.

Daniel Schubert, Leiter des Projekts „EDEN ISS“ beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
 

Das weltweit renommierte Projekt hat nachhaltige Wirkung auf die lokale und regionale Wirtschaft: Die CBG-Container-Bau-Gesellschaft in Thedinghausen konstruierte den Container, der auf dem Weg in die Antarktis ist und die Thermalanlage stammt von der Firma HART Kälte- und Klimatechnik. Es bestehen auch Überlegungen, aus dem DLR heraus eine eigene Firma zu gründen. Schubert wagt einen Blick in die Zukunft: „Wir wollen unser System eines Tages im All testen, auf der ISS. Profitieren können auch vertikale Gärten an Häusern in großen Städten.“


Weitere Informationen zum Luft- und Raumfahrt-Standort Bremen finden Sie hier auf unserer Seite.

Weitere Informationen über Innovationen in der Raumfahrt erhalten Sie bei Dr. Barbara Cembella, Clustermanagerin Raumfahrt, Tel. 0421 9600-340, barbara.cembella@aviaspace-bremen.de.

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