Warum Florian Rehr dem Standort Norddeutschland eine goldene Zukunft prophezeit
AutomotiveIm Gespräch mit dem Clustermanager des Automobilverbandes Automotive Nord
Florian Rehr ist der Clustermanager des Verbandes Automotive Nord e.V. Der Dachverband der norddeutschen Automobilindustrie hat sich 2016 gegründet. Er vertritt Mitgliedsverbände, Länder und Automotive-Cluster auf überregionaler und internationaler Ebene.
Mit automobiler Lobbyarbeit kennt sich Rehr dabei gut aus: Der 35-jährige hat seit 2011 dazu beigetragen, dass der Cluster ITS automotive nord heute über 200 Mitgliedsunternehmen vertritt. Zusammen mit weiteren Mobilitätsclustern wie Automotive Nordwest oder der Ems-Achse spiegelt ITS die Basis der Automobilwirtschaft im Norden wieder.
Ein Mann also, der den Überblick über die Autowirtschaft im Norden hat. Grund genug, einmal nachzufragen, wie es um die Branche bestellt ist und was der Dachverband 2017 plant.
Herr Rehr, was hat sich der Verband Automotive Nord auf die Fahnen geschrieben?
Wir wollen den Norden als einzigartigen Automobilstandort darstellen. Bremen, Niedersachsen und Hamburg sind zusammen stark. VW ist der größte Autobauer der Welt und sitzt hier in Niedersachsen. Mercedes hat das größte Werk in Bremen und ein wichtiges Komponentenwerk in Hamburg. Hunderte Zulieferer sitzen in der Hansestadt, in Hamburg und rund um die Metropolregion Hannover-Braunschweig- Göttingen-Wolfsburg. Dazu kommt eine starke Forschungslandschaft mit exzellenten Universitäten und niedrigeren Lebenshaltungskosten als im Süden. Damit können wir wuchern. Bisher war der Norden noch nicht so präsent wie der Süden wenn es um den öffentlichen Auftritt geht, eben „nordisch zurückhaltend“. Das wollen wir ändern.
Das erste Quartal 2017 ist rum – welche Schwerpunkte hat sich Automotive Nord in diesem Jahr gesetzt und wie werden Sie diese umsetzen?
Als Verein sind wir noch sehr jung. Wir haben uns 2016 gegründet. Das vergangene Jahr stand daher ganz im Zeichen des Aufbaus von Strukturen und einer Strategie. Ende 2016 haben wir bereits mit dem ersten Gemeinschaftsstand auf der Internationalen Zuliefererbörse IZB, der größten Automobilzulieferermesse Europas, auf uns aufmerksam gemacht. Der nächste Schritt ist ein Stand auf der Hannover Messe im April dieses Jahres. Dazu wird es dann auch passende Info-Materialien geben, die Teil unserer Kommunikationsstrategie sind. Wir werden unsere internationale Kommunikation in diesem Jahr deutlich verstärken, denn wir wollen den Automotive-Norden als eine Marke darstellen. Außerdem wollen wir unser Netzwerk enger knüpfen.
Welche konkreten Maßnahmen haben Sie dabei geplant?
Im Rahmen unserer Internationalisierung werden wir etwa unsere Präsentationen und Materialien in viele verschiedene Sprachen übersetzen, zum Beispiel auch ins chinesische und koreanische, wo wir Märkte und Wettbewerb für deutsche Zulieferer sehen. Auf politischer Ebene wollen wir Präsenz zeigen und etwa mit Ministern in einen Dialog gehen. Vertretern aus Politik und Wirtschaft wollen wir Delegationsreisen empfehlen, um Kooperationen über regionale Grenzen hinweg anzutreiben. Vor Ort schaffen wir für Unternehmen oder Institutionen eine überregionale Vernetzung. So könnten wir uns vorstellen, etwa Borgward bei der Vernetzung und Suche von Multiplikatoren vor Ort zu helfen. Oder etwa Hamburg bei der Bewerbung für den Intelligent Transport Systems (ITS) Weltkongress im Jahr 2021.
Wer nur in einem Standort denkt, hat schon verloren.
In Bremen und Niedersachsen werden Teststrecken zum autonomen Fahren eingerichtet, in Bremen der erste vollelektrische Mercedes gebaut – bei welchen Zukunftstrends sehen sie die Region gut aufgestellt und wo sehen sie noch Verbesserungsbedarf?
Das Silicon Valley hat uns den Fehdehandschuh hingeworfen. Jetzt müssen wir nachziehen. Wir haben zu allen wichtigen Zukunftsthemen herausragende Forschung – ob 3D-Druck, Leichtbau, E-Mobility oder andere alternative Antriebe. Wir müssen dabei nur aufpassen, keine Doppelstrukturen aufzubauen – jeder arbeitet für sich an denselben Themen. Wir müssen zusammenfinden, damit wir unsere Kompetenzen bündeln und dann sagen: Hier ist der beste Standort für eine Teststrecke, und für ein Kompetenzzentrum zu Batterien oder ähnliches. Wir sehen deshalb unsere große Aufgabe darin, diese Anstrengungen zu synchronisieren und das Beste für alle herauszuholen. Wer nur in einem Standort denkt, hat schon verloren.
Wie deutlich sehen die Automobilproduzenten und -zulieferer im Norden die Bedrohung durch das Silicon Valley?
Wir haben es bei Kodak oder Nokia gesehen, was passiert, wenn man wichtige Trends verschläft. Klar ist: Im Auto wird die Software immer wichtiger, die Integration von digitalen Services zwischen Auto, Smartphone und unserem Alltag. Das wollen wir nicht Google und Co. überlassen. Sonst werden Autobauer nur noch zu Lieferanten und verlieren damit ihre Marktstellung. Deshalb müssen wir hier dafür sorgen, dass in Deutschland, im Norden, Standards gesetzt und Trends mitbestimmt werden.
Mehr Software heißt mehr IT-Wirtschaft. Wie sehen Sie die Zusammenarbeit zwischen der Automobilwirtschaft und der IT-Branche?
Es gibt eindeutigen Bedarf, mehr miteinander zu reden. Die IT-Wirtschaft hat Kompetenzen, welche die Autobauer noch nicht genügend ausschöpfen. Es gibt viele alte und langwierige Beschaffungsprozesse, die Innovationen oder die Zusammenarbeit mit jungen Unternehmen behindern. Das müssen wir aufbrechen. Wir müssen uns dazu mehr auf lokaler Ebene vernetzen, etwa über Veranstaltungen. Gleichzeitig müssen wir Start-ups fördern – gerade auch in den kleinen Städten. Denn gute Ideen sitzen nicht nur in Berlin. Wenn wir es schaffen, mehr Venture Capital und Risikobereitschaft auf lokaler Ebene zu generieren, sehe ich gute Chancen für Start-ups auch in kleineren Städten. Denn in Beratung bei Unternehmensgründungen sind wir teilweise schon sehr gut aufgestellt.
Welche infrastrukturellen und rechtlichen Hürden sehen Sie dafür noch?
Wir sind auf einem guten Weg. Mit der Teststrecke für autonomes Fahren in der Verknüpfung von Stadtgebiet und Autobahn können wir etwa aktuelle Herausforderungen für selbstfahrende Autos darstellen. Der Gesetzgeber versteht die Wünsche aus der Industrie, das ist für uns von großer Bedeutung. Einzig bei dem Thema der Schuldfrage stehen wir noch am Anfang. Wer ist Schuld, wenn ein selbstfahrendes Auto einen Unfall baut? Dieses Beispiel zeigt, dass noch einige Fragen beantwortet werden müssen, um ein tragfähiges Geschäftsmodell zum autonomen Fahren zu finden.
Die deutsche Autoindustrie ist stark exportorientiert, Bremen das exportstärkste Bundesland. Wie reagiert die Branche auf den Brexit?
Abwartend. Es ist noch zu früh, genaue Aussagen in die eine oder andere Richtung machen zu können. Die Verbände und Industrie- und Handelskammern informieren auf regionaler Ebene bereits rege zu diesem Thema und machen damit einen guten Job. Klar ist aber auch: England ist nicht Produktionsstandort Nr. 1 und für die Zulieferindustrie nur selektiv interessant. Die Unternehmen werden dann zu handeln beginnen, wenn sie sichere Rahmenbedingungen haben, wie der konkrete Ausstieg Großbritanniens aus der EU aussieht.
Herr Rehr, vielen Dank für das Gespräch.
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