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9.2.2018 - Jann Raveling

„Wir brauchen mehr Querdenker!“ – Entstehen die Autos der Zukunft im Nordwesten?

Automotive

Interview mit Ronald Brandes, Vorstandsvorsitzender von Automotive Nordwest e.V.

Ronald Brandes im Interview
Ronald Brandes (Vorstandsvorsitzender von Automotive Nordwest e.V.) will mit dem Verband hiesige Unternehmen zusammenbringen. © WFB

Ronald Brandes ist Vorstandsvorsitzender von Automotive Nordwest e.V. und Geschäftsführer der Technologieschmiede brandes INNOVATION. Der Elektroingenieur kennt sich mit der norddeutschen Automobilwirtschaft hervorragend aus. Er ist überzeugt, dass die automobile Zukunft im Nordwesten nur floriert, wenn neben Produktionsknowhow auch die Forschung und Entwicklung vorangetrieben wird. Mit dem Verband Automotive Nordwest möchte er hiesige Unternehmen zusammenbringen und neue Projekte initiieren.


Herr Brandes, was hat sich Automotive Nordwest für 2018 vorgenommen?

Wir wollen mehr Elektromobilität als bisher. Da Thema ist in Norddeutschland in Industrie und Forschung bisher schwach besetzt. Wir haben keine Hersteller, die hier vor Ort entwickeln. Dabei könnten wir hier Nischen besetzen. Dazu bewerben wir uns zum Beispiel um Fördervorhaben zusammen mit anderen Clustern und Netzwerken aus der Region wie dem Oldenburger Energiecluster OLEC.

Unsere Förderung und Engagement soll der Samen sein, der Themen ins Rollen bringt und langfristige Kooperationen initiiert.

Ronald Brandes, Vorstandsvorsitzender von Automotive Nordwest e.V.

Eine unserer ersten Aufgaben ist der Aufbau eines Kompetenzatlas, um herauszufinden: Was haben wir eigentlich vor Ort in der Metropolregion? Daraus leiten wir Projekte ab. Dazu kommt das Thema Leichtbau und Elektromobilität über dem Vierrädrigen hinaus. Vom Automobil zur Mobilität – dazu gehört die gesamte Infrastruktur, etwa Abrechnungssysteme oder das Carsharing.

In Bremen wird das Elektromodell Mercedes EQ1 entstehen – mausert sich die Hansestadt zu einem Zentrum für Elektromobilität?

In der Produktion sind wir auf einem guten Weg, aber wir müssen mit eigener Forschung & Entwicklung Nischen besetzen, um uns von den großen Entwicklungszentren im Süden abzusetzen. Ich sehe vor allem im Bereich der Nutzfahrzeuge im kommunalen Umfeld große Chancen. Zum Beispiel in den Häfen im Bereich von autonom und elektrisch fahrenden Vehikeln, an denen Eurogate bereits forscht. Anderes Beispiel die Müllabfuhr, wo leise Fahrzeuge ein großer Vorteil wären. In der Stadt ließe sich dazu auch eine Infrastruktur relativ leicht aufbauen, weil die Fahrtstrecken kurz sind.

Wir müssen aber eins beachten: Gemeinsam mit dem Umland und der Metropolregion kann Bremen eine größere Kraft entwickeln hier müssen wir als Metropolregion zusammenarbeiten. Ohne dass wir die gesamte Region betrachten, werden wir nicht vorankommen, ein Einzelkämpfer wird nichts erreichen.

Wie sieht es mit alternativen Antrieben aus? Wäre das ein potenzielles Betätigungsgebiet für die Wirtschaft im Nordwesten?

Bei Wasserstoff, Gasantrieben oder synthetisch hergestellten Treibstoffen fehlt es an Wirkungsgraden in der Herstellung, hier muss noch viel geforscht werden. Aber wir haben öfters Überschüsse in der Stromproduktion in Niedersachsen und müssen diese bisher teuer verkaufen. Effektiver wäre es, Techniken wie Power-to-Gas zu nutzen, um Treibstoffe zu produzieren. Hier müssen wir die lokale Wissenschaft stärken und Prototypen bauen, um Vorreiter zu werden.

Ronald Brandes im Interview
Ronald Brandes sieht vor allem die Chance in der Zusammenarbeit als Metropolregion. © WFB

Oftmals ist die fehlende Ladeinfrastruktur ein Hindernis beim Erwerb von Elektrofahrzeugen. Wo sehen sie hier noch Handlungsbedarf?

Hier muss sehr viel geschehen. Gerade die Städte haben es schwerer als das Umland. In Einfamilienhäusern lassen sich Garagen und Carports nachrüsten. In den Städten haben wir hingegen die „Laternenparker“ auf der Straße, für die es keine Ladeplätze gibt. Hier fordern wir den Gesetzgeber, aktiv zu werden. In skandinavischen Ländern ist die Einrichtung von Ladestationen bei Parkhausneubauten Pflicht. Ein Alleingang auf lokaler Ebene macht keinen Sinn, wir brauchen eine bundesweite Lösung. In Bremen kann ich mir aber vorstellen, dass Initiativen auf wirtschaftlicher Ebene, etwa durch Kooperationen mit Mercedes-Benz, vorschnellen und so ein Alleinstellungsmerkmal herausarbeiten.

Welche Weichen muss der Gesetzgeber neben einer besseren Ladeinfrastruktur noch stellen?

Wir brauchen überall ein schnelles Internet. Standortübergreifendes Arbeiten darf kein Problem sein, dazu muss die Infrastruktur, gerade in Bremen, noch deutlich besser werden. Die Gesetzgebung sollte außerdem mehr Anreize geben, Elektrofahrzeuge zu kaufen. Nicht über Verkaufsprovisionen, wie etwa bei der Elektroprämie, sondern über steuerliche Anreize wie die Befreiung von Kfz-Steuern für die ersten Jahre.

Als Verband vertreten sie die hiesige Automobilwirtschaft. Welche Stellschrauben sehen sie noch innerhalb der Wirtschaft?

Wir müssen mehr Start-ups und KMU fördern und uns besser vernetzen. Gerade in Bremen und Oldenburg gibt es eine starke Wissenschaft, die über Kooperationen noch stärker eingebunden werden könnte. Viele hiesige Firmen können im Automotive-Bereich agieren, wissen aber noch gar nicht, dass ihr Know-how gebraucht wird.

Wir brauchen Querdenker, innovative, neue Ideen.

Ronald Brandes, Vorstandsvorsitzender von Automotive Nordwest e.V.

Wir müssen die jungen Absolvent*innen, die von hier aus in den Süden gehen, halten und ihnen die Chance geben, vor Ort Start-ups zu gründen. Hier ist auch die Politik gefordert. Zum Beispiel durch steuerliche Erleichterungen, höhere und bekanntere Fördertöpfe. Auch die schulische Ausbildung gehört dazu, MINT-Felder müssen in den Schulen stärker gefördert werden.

Wenn sie auf ihre Mitglieder schauen, wie weit gehen die Realität und das Wunschbild, dass sie gerade gezeichnet haben, auseinander?

Natürlich hat gerade jeder viel zu tun und ist in seinem Tagesgeschäft ausgelastet. Wenn wir aber in Zeiten, wo das Geschäft gut ist, nicht anfangen uns Gedanken darüber zu machen, wo es in Zukunft hingeht, dann ist es irgendwann zu spät.

Wichtig ist, die Zulieferer jetzt mitzunehmen. Die Elektromobilität verändert die Wertschöpfungsketten. Manche Komponenten wie Motoren, Getriebe oder Abgassysteme werden nicht mehr gebraucht, Fachleute reden von bis zu 40 Prozent aller Teile. Daher ist es eine wichtige Aufgabe, diese Firmen zu begleiten, neue Märkte, Produkte und Geschäftsmodelle zu finden. Außerdem müssen wir den kleinen Unternehmen die Angst nehmen, dass ihr Knowhow verloren geht, wenn sie mit den Großen zusammenarbeiten.  

Welches Potenzial sehen sie, neue große Unternehmen im Norden anzusiedeln, wie z.B. eine Batteriefertigung oder neue Montagewerke?

Bremen und Niedersachsen haben beide aktiv versucht, Tesla nach Norddeutschland zu holen. Ich sehe aber eher Chancen in Asien, in der Teil- und Vollfertigung. Bei neuen Technologien sind sie ja relativ weit und ich kann mir vorstellen, dass sie versuchen, über eigene Produktionsstätten hier im Land Fuß zu fassen. Dann kommen natürlich auch die Häfen ins Spiel gerade Bremerhaven oder Wilhelmshaven.

Jetzt geben Sie mal einen kleinen Einblick in ihre Glaskugel: Wann fahren die ersten Autos autonom?

Ich wage keine Vorhersage, denn Autofahren ist ein sehr emotionales Thema. Menschen in Deutschland geben das Lenkrad nur ungern aus der Hand. Der Prozess wird daher schleichend sein. Teilbereiche haben wir ja bereits, es gibt Fahrassistenz- oder automatische Bremssysteme. Nur nicht in hundertprozentiger Form.

Es gilt jetzt, die Bedingungen für das autonome Fahren zu verbessern. Hier gibt es viele Unsicherheiten, etwa bei der Unfallsicherheit oder im Fußgängerschutz. Ohne einen rechtlichen Rahmen haben die Entwickelnden Probleme, entsprechende Systeme zu konstruieren.

Tesla wird gerne als das „Google der Elektromobilität“ gehandelt. In der Realität fällt der US-amerikanische Autobauer aber auch durch wiederholte Unterschreitung von Produktionszielen auf. Inwieweit sehen Sie Tesla als eine Gefahr für heimische Autobauer?

Die sind noch sehr weit entfernt davon, echte Konkurrenz zu sein. Wir müssen uns da nicht verstecken. Die hiesigen Herstellerfirmen müssen die Fahrzeuge so bauen, wie die Deutschen es gewohnt sind – nur eben in Elektro. Deutsche und amerikanische Fahrzeuge unterscheiden sich in vielen Dingen und auch die Vorstellungen an ein Auto unterscheiden sich in beiden Ländern. Wir müssen die Konkurrenz nicht scheuen.

Herr Brandes, vielen Dank für das Gespräch!


Eine Übersicht über die Automotive-Unternehmen in Bremen sehen Sie in unserem Artikel "Zehn Automobil-Zulieferer aus Bremen".

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