Die Fäden in der Hand
ErfolgsgeschichtenStephanie Silber rückt als erste Frau an die Spitze der Bremer Baumwollbörse
„Was ist eigentlich so spannend an Baumwolle?“ Die Frage des Reporters ist noch nicht ganz ausgesprochen, da schmunzelt Stephanie Silber bereits: „Alles“, sagt sie, „sonst hätte ich mich wohl nicht mein ganzes bisheriges Berufsleben mit diesem Thema befasst.“ Seit rund 20 Jahren arbeitet sie für einen der größten und ältesten Bremer Baumwollhändler; inzwischen führt die ehemalige kaufmännische Auszubildende gemeinsam mit ihrem Kollegen Henning Hammer die Geschäfte der Otto Stadtlander GmbH. Jetzt hat die junge Managerin im Ehrenamt eine weitere Spitzenposition in der Branche erreicht: Als erste Präsidentin führt die 41-Jährige die kommenden zwei Jahre die Bremer Baumwollbörse, die seit fast 150 Jahren zu den wichtigsten Institutionen im weltweiten Baumwollgeschäft zählt.
Berufen wurde sie vom Vorstand, bestehend aus Baumwollhändlern und -Verarbeitern, Logistikern und Ausrüstern aus ganz Europa. „Mit der Wahl der ersten Präsidentin in der Geschichte des Vereins hat der Vorstand bewusst ein wichtiges Zeichen gesetzt", sagt die für internationale Beziehungen verantwortliche Direktorin Elke Hortmeyer. Wie in vielen anderen Wirtschaftszweigen ist der Baumwollhandel nach wie vor weitgehend eine Männergesellschaft. „Natürlich ist das Amt eine große Ehre“, sagt Stephanie Silber. Und es scheint gerade derzeit eine große Aufgabe zu sein: „Als Folge der Corona-Krise hat es die Branche wirtschaftlich weltweit sehr schwer.“ Die Nachfrage nach Textilien ist deutlich zurückgegangen, Baumwolle als einer der wichtigsten Rohstoffe ist derzeit wenig gefragt. Das wiederum bedroht die Existenz von Millionen Menschen. „Weltweit leben rund 150 Millionen Menschen in 80 Ländern vom Anbau und der Verarbeitung“, sagt die Managerin.
Die Bremer Baumwollbörse ist eine internationale Schiedsgerichtsstelle
Die ökonomische Bedeutung des Naturprodukts gehört für Stephanie Silber zu den Faktoren, die Baumwolle für sie so spannend machen. Auch für Bremen hat die Naturfaser seit langen Zeiten eine hohe wirtschaftliche Bedeutung: Bereits 1607 wurde in der Hansestadt die Zunft der Baumseidenmacher - so hießen Baumwollverarbeiter damals - registriert. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Häfen an der Weser zum wichtigsten Umschlagplatz für den Import nach Deutschland.
1912 erreichte der Handel via Bremen mit einem Jahresumschlag von 2,8 Millionen Ballen seinen Höhepunkt. Vier Jahrzehnte zuvor war das „Komité für den Baumwollhandel“ gegründet worden, aus dem wenig später die Bremer Baumwollbörse wurde. Bis 1971 beschäftigte sich diese Institution als Warenterminbörse auch mit der Preissetzung.
Ihre wesentliche Aufgabe lag und liegt aber woanders: Bereits seit 1873 ist die Börse die Schiedsstelle für Uneinigkeiten, wenn es um die Qualität und den Wert der gehandelten Ware geht. Qualität hat im Zusammenhang mit Baumwolle eine etwas andere Bedeutung, als der Endkunde vermuten mag: „Es gibt keine gute oder schlechte Baumwolle, jede Baumwolle ist für einen bestimmten Zweck geeignet“, erläutert Elke Hortmeyer. Für eine robuste Denimjeans sogenannte langstapelige Baumwolle einzusetzen, sei wenig sinnvoll. Diese langen und teuren Fasern sind beispielsweise feinen Baumwollhemden vorbehalten.
Immer wieder taucht zwischen Verkäufern und Käufern aber die Frage auf, ob die gelieferte Ware tatsächlich dem bezahlten Preis entspricht oder ob sie minderwertig ist. Dann kommt die Börse ins Spiel. „Sie ist bis heute eine Art neutraler Instanz, deren Kompetenz und Fachwissen international gefragt und anerkannt ist“, betont Stephanie Silber. Die Experten untersuchen Merkmale wie die Faserlänge, Gleichmäßigkeit, Feinheit, Farbe, Reinheit, Festigkeit und Elastizität.
An der Weser ist das „Grundgesetz“ für den weltweiten Handel entstanden
Bremen ist nach wie vor einer der wichtigsten internationalen Handelsplätze für Baumwolle. Die 1872 von Bremer Kaufleuten verfassten und stets weiterentwickelten sogenannten Bremen Rules sind das „Grundgesetz“ für Baumwollhandelsverträge. Vor 14 Jahren wurden die „Liverpool Rules“ übernommen, um eine weltweit einheitliche Regelung zu erzielen. In dem komplizierten Börsengeschäft mit dem Naturprodukt, in dem Verkäufer und Käufer häufig die Ware gar nicht sehen, ist das Standardwerk für alle Qualitätsfragen unverzichtbar. „Baumwolle ist nicht gleich Baumwolle“, erläutert Stephanie Silber. Mittlerweile gibt es rund 50 verschiedene Arten dieser Kulturpflanze, deren Ursprünge in Asien bis in die Zeit 6000 v. Chr. zurückreichen. „Diese Vielfalt und die lange Geschichte gehören zu dem, was das Naturprodukt für mich so spannend macht“, fügt die im Juni 2020 gewählte Präsidentin hinzu.
Bereits 1955 holte sich die Börse ergänzend zur eigenen Expertise wissenschaftlichen Rat. Aus dem Prüflabor der Börse entwickelte sich nach und nach das Faserinstitut Fibre e.V., das sich heute als Einrichtung der Universität Bremen zu den führenden Forschungseinrichtungen zu Faserverbundstoffen, Leichtbau und sogar Technologien für den Flugzeugbau entwickelt hat.
Baumwollfasern stecken sogar in Geldscheinen
Auch die Qualitätsmaßstäbe der Baumwollbörse haben sich den aktuellen Erfordernissen angepasst. Die Bremer Institution gehört dem 2014 gegründeten Bündnis für nachhaltige Textilien an, das soziale, ökologische und ökonomische Verbesserungen entlang der gesamten Textillieferkette erreichen will. Baumwolle ist schließlich eine Naturfaser. Dass ihre Möglichkeiten angesichts der Entwicklung von Kunstfasern scheinbar ein wenig in Vergessenheit geraten sind, ärgert Stephanie Silber bisweilen. „Baumwolle ist doch gerade deshalb so spannend, weil man mit ihr so viel machen kann.“
Die Verwendung als Stoff für Kleidung, Bettwäsche und Haushaltswaren dürfte die bekannteste Anwendung sein. Doch tatsächlich steckt die Baumwolle zumeist unbemerkt in vielen anderen Produkten drin. Selbst Kunstseide, Filme, Pinselhaare, Lacke oder sogar Backfette und Mayonnaisen wären ohne Baumwolle oder ihre Saaten undenkbar. „Sogar in unseren Geldscheinen stecken Baumwollfasern, sie geben den Scheinen die Festigkeit“, sagt die Präsidentin. Solche Informationen zu verbreiten, gehört ebenfalls zu den Aufgaben der Bremer Baumwollbörse. Deswegen freut sich Stephanie Silber bereits heute auf eine Veranstaltung zum Ende ihrer zweijährigen Amtszeit. Im Frühjahr 2022 wird die Baumwollbörse ihr 150-jähriges Bestehen feiern. Als Präsidentin wird Stephanie Silber dort eine Menge darüber erzählen können, warum Baumwolle so spannend ist.
Pressekontakt:
Bremer Baumwollbörse, Elke Hortmeyer, Kommunikation und Internationale Beziehungen, Tel.: +49 421 3397016, E-Mail: hortmeyer@baumwollboerse.de
Bildmaterial:
Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebenen Bildnachweises frei zum Abdruck.
Foto 1: Die 41-jährige Stephanie Silber ist seit Sommer 2020 die erste Frau an der Spitze der traditionsreichen Bremer Baumwollbörse, die ein markantes Treppenhaus mit repräsentativer Treppe besitzt. ©Jörg Sarbach
Foto 2: Die Bremer Baumwollbörse in der Bremer Innenstadt: Das denkmalgeschützte Kontorhaus wurde 1902 erbaut, die Fassade wurde im Stil der Neorenaissance gestaltet. ©Jörg Sarbach
Foto 3: Baumwolle steckt nicht nur in Kleidung oder Bettwäsche, sondern auch in vielen anderen Produkten wie Pinselhaaren, Lacken oder Geldscheinen. ©Jörg Sarbach
Foto 4: Baumwollproben aus verschiedenen Anbaugebieten warten auf die Qualitätsprüfung. Bereits seit 1873 ist die Börse die Schiedsstelle für Uneinigkeiten über Qualität und Wert der gehandelten Ware. ©Jörg Sarbach
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