„Bei uns gibt es Erlebnis, nachhaltigen Konsum und Pippi Langstrumpf-Architektur“
TourismusDer Tourismuspreis 2022 in der Kategorie „Nachhaltigkeit“ geht an das Gemeinschaftsprojekt der Gemüsewerft und der Bremer Braumanufaktur
Die Überseeinsel – ein neuartiges Industriegelände am Ufer der glitzernden Weser. Auf dem ehemaligen Kellogg´s-Gelände entsteht hier ein Zukunftsquartier, doch noch ist vieles Baustelle. Inmitten dieses Geländes ragt eine Vielfalt an Gemüse- und Obstsorten aus Hochbeeten heraus – ob grüne Salatköpfe, saftig rote Tomaten oder lila schimmernde Auberginen – in der Gemüsewerft auf der Überseeinsel findet man alles buntgemischt. Ein Biergarten mit rustikalen Holzbänken lädt zum Verweilen ein, zur Erfrischung gibt es „Hopfenfänger“-Bier. Gebraut wird es in der Bremer Braumanufaktur nebenan. Der Hopfen selbst stammt aus den Hochbeeten dieser urbanen Oase.
Hopfenanbau mitten in Bremen? Eine eher ungewöhnliche Vorstellung. „Tatsächlich handelt es sich hierbei um eine in Vergessenheit geratene Bremer Tradition“, so Michael Scheer, Geschäftsführer der Gemeinnützigen Gesellschaft für integrative Beschäftigung. Der soziale Träger widmet sich der Aufgabe, eingeschränkt erwerbsfähigen Menschen niedrigschwellige Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen – unter anderem durch das inklusive urbane Landwirtschaftsprojekt Gemüsewerft, das mittlerweile an drei Standorten in Bremen zu finden ist.
Hopfenanbau mitten in Bremen
Auf einer Gesamtfläche von 8.000 Quadratmetern baut die Gemüsewerft neben Gemüse, Obst und Kräutern auch Hopfen für die Bremer Braumanufaktur an – nicht zuletzt auf der Überseeinsel, dem ehemaligen Kellogg´s Areal, in unmittelbarer Nähe zur Mikrobrauerei. 2022 wurde dieses besondere ökologische, regionale und soziale Gemeinschaftsprojekt mit dem Tourismuspreis der Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa, der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH und der Bremerhaven Erlebnis GmbH in der Kategorie „Nachhaltigkeit“ ausgezeichnet.
Alles begann, als 2014 der Braumeister der Bremer Braumanufaktur, Markus Freybler, den Gröpelinger Standort der Gemüsewerft besuchte. „Er hat uns gefragt, ob wir für sein Craft-Bier Hopfen produzieren könnten. Wir wussten nicht, wie das geht, aber die Idee hat uns gefallen“, erinnert sich Scheer. Um sich über den Hopfenanbau zu informieren, fuhr Scheer in die Hallertau, dem größten zusammenhängenden Hopfenanbaugebiet der Welt. „Daraufhin haben wir 14 Pflanzen in Gröpelingen eingepflanzt, mittlerweile haben wir 1.500 davon an drei Standorten.“
Einer dieser Standorte befindet sich auf der Überseeinsel, dem ehemaligen Kellogg´s Gelände in der Überseestadt. 2019 erhielt die Gemüsewerft das knapp 1.500 Quadratmeter große Grundstück von der Überseeinsel GmbH zur dauerhaften Bewirtschaftung und erschloss dort zusätzlich zum Gemüse-, Obst- und Hopfenanbau einen Biergarten. Direkt nebenan siedelte sich parallel die Bremer Braumanufaktur an.
Das gemeinsame Projekt von regionalem Hopfenanbau und Bremer Bierproduktion nahm rasant Fahrt an und entpuppte sich als Erfolg. Das erste mit Bremer Hopfen hergestellte Craft-Bier, das „Ale No. 2“, lief Ende 2014 vom Band und war schnell vergriffen. Weitere Sorten folgten und sind mittlerweile fester Bestandteil des „Hopfenfänger“-Sortiments.
Regionalität und Nachhaltigkeit vom Hopfen bis zur fertigen Flasche
Fester Bestandteil des Gemeinschaftsprojekts sind auch die Themen Regionalität und Nachhaltigkeit. Die gesamte Herstellung des Bieres, vom Anbau des Hopfens bis zum fertigen Produkt, beruht auf diesen Prinzipien.
Als gemeinnütziges und soziales innerstädtisches Landwirtschaftsprojekt kombiniert die Gemüsewerft selbst schon mehrere nachhaltige Aspekte. Zum einen bietet sie inklusive Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit psychischen Erkrankungen sowie geistigen und seelischen Behinderungen und engagiert sich zum anderen für den Ausbau von urbaner Agrikultur. „Wir machen grüne und inklusive Stadtentwicklung“, so Scheer. Das Projekt gilt deutschlandweit als ein Vorzeigemodell für inklusive und sozialraumorientierte Teilhabe. Regelmäßig besuchen internationale Gruppen von Politiker:innen oder Medienvertreter:innen die Gemüsewerft an der Weser.
Durch die Zusammenarbeit mit der Gemüsewerft ist es der Braumanufaktur möglich, ihre Rohstoffe lokal zu beziehen. Ein großer Teil des Hopfens wird direkt auf der Überseeinsel produziert, sodass dieser zu Fuß an die Braumanufaktur geliefert werden kann. Andersherum werden fertige Hopfenfänger-Biere an den Biergarten der Gemüsewerft geliefert – auch hier ohne großen Transportaufwand. Beim Anbau des Hopfens werden keine Pestizide oder Insektizide eingesetzt. Darüber hinaus bezieht die Bremer Braumanufaktur 95 Prozent ihres Malzbedarfs regional und verzichtet vollständig auf den Einsatz von Filterhilfs- und stabilisierungsmitteln.
Ein touristischer Anziehungspunkt in der Überseestadt
Einmal im Jahr organisieren die Gemüsewerft und die Bremer Braumanufaktur ein partizipatives „Hopfenzupfen“. Alle Interessierten aus Bremen und umzu sind herzlich eingeladen, bei der Hopfenernte mitzuhelfen und das Endprodukt im Biergarten der Gemüsewerft zu verkosten. „2016 hatten wir sehr viel zu zupfen und haben das erste Hopfenzupfen organisiert“, so Scheer. „So konnten wir fast sechzig Leute zusammentrommeln und waren an einem Tag fertig. Die Veranstaltung hat sich herumgesprochen. In unserem besten Jahr waren 300 Leute dabei. Die Ernte war innerhalb von vier Stunden fertig.“ Diese außergewöhnliche Ernteaktion mitten in der Überseestadt unterstreicht die lokale Herkunft des Hopfens und des Hopfenfängers noch einmal deutlich und zieht Jung und Alt, Einheimische und Bremen-Gäste gleichermaßen an.
Und auch darüber hinaus sind Gemüsewerft und Braumanufaktur Publikumsmagneten in der Bremer Überseestadt. Die kleine Craft-Bier-Brauerei auf dem Kellogg´s-Gelände bietet regelmäßig Führungen, Bierverkostungen und Brauseminare an, die auf der Website der Braumanufaktur aber auch unter Bremen Tourismus gebucht werden können. Im dazugehörigen Brew Pub können sich Bierfans durch ein großes Fenster ganz transparent und unkompliziert den Brauprozess ansehen und dabei das Endprodukt sowie kleine Speisen genießen.
Auch im Biergarten der Gemüsewerft, mit direktem und wunderschönem Blick auf die Weser, können Bremer:innen und Touristinnen und Touristen frisches Hopfenfänger-Bier von nebenan trinken und inklusive Landwirtschaft inmitten der Stadt erleben. „Wenn man im Sommer durch unseren Biergarten spaziert, kann man manchmal vier oder fünf Sprachen gleichzeitig hören“, freut sich der Geschäftsführer der Gemüsewerft. „Unser Konzept ist touristisch gerade für die jüngeren Generationen attraktiv. Sie möchten mehr Ausgefallenes, Alternatives erleben, die klassischen Attraktionen stehen nicht mehr so im Mittelpunkt. Outdoor-Aktivitäten, nachhaltige Angebote werden wichtiger. Und das bieten wir: Bei uns gibt es Erlebnis, nachhaltigen Konsum und Pippi Langstrumpf-Architektur.“
Tourismuspreis 2022 in der Kategorie „Nachhaltigkeit“ gewonnen
Um Projekte und Konzepte auszuzeichnen, die den Tourismus im Land Bremen fördern, organisierte im November 2022 die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa gemeinsam mit der WFB und der Erlebnis Bremerhaven GmbH den ersten Tourismuspreis Bremen und Bremerhaven. Vergeben wurde der mit jeweils 10.000 Euro dotierte Preis in vier Kategorien, unter anderem „Nachhaltigkeit“ für Projekte und Unternehmen, die sich die sich besonders um soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte verdient machen.
„Markus hatte mich auf den Tourismuspreis aufmerksam gemacht und als ich mir die Kategorien durchlas war klar: Wir bewerben uns für Nachhaltigkeit“, erklärt der Geschäftsführer der Gemüsewerft. „Unser Projekt ist inklusiv, grün und regional – aber eben auch touristisch. Das war unser Trumpf, weshalb wir uns in der Kategorie durchsetzen konnten. Es war uns auch wichtig, uns gemeinsam mit der Braumanufaktur zu bewerben, schließlich war der Hopfenanbau Markus Idee und wir haben sie zusammen vorangetrieben.“
Das Preisgeld in Höhe von 10.000 Euro hätten sie in die Fortentwicklung des Konzepts investiert. „Wir möchten einen wirklich schönen Ort in Bremen bauen. Ich möchte, dass es hier ein richtiger Wald wird, dass hier überall Vögel rumfliegen und man sich hier wohlfühlt. Wir haben uns sehr gefreut, dass so ein Experiment einen solchen Preis gewinnen kann,“ schließt Scheer zufrieden ab.
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