Übernachten mit gutem Gewissen
Social EntrepreneurshipAls gemeinnützige GmbH übernehmen die Jugendherbergen Verantwortung
775.766 Übernachtungen, 45 Millionen Euro Umsatz, 710 Mitarbeitende: Das sind die nackten Zahlen der Jugendherbergen im Nordwesten für das vergangene Jahr. Die 27 Standorte in Niedersachsen und Bremen sind unter der „Die JugendHerbergen gemeinnützige GmbH“ mit Sitz in Bremen zusammengeführt.
Handelsrechtlich betrachtet ist sie damit ein Großunternehmen. Und zwar eines, das dem Gemeinwohl verpflichtet ist. Auf der Website heißt es dazu unter anderem: „Wir stehen in der Verantwortung gegenüber unseren Mitmenschen, der Umwelt und nachfolgenden Generationen und haben es uns zum Ziel gesetzt, wirtschaftliche, soziale und ökologische Verantwortung im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung in Einklang zu bringen.“
Gewinne fließen in den gemeinnützigen Zweck
Mutter der „Die JugendHerbergen gemeinnützige GmbH“ mit Sitz in Bremen ist der Landesverband Unterweser-Ems e.V. des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH). Die Tochter wurde Anfang 2004 gegründet, um den Betrieb der Jugendherbergen zu übernehmen. „Die ideelle Strategie ist im Landesverband angesiedelt“, erläutert gGmbH-Geschäftsführer Thorsten Richter. „Die operative Umsetzung liegt bei uns.“
Während haftungsrechtlich keine Unterschiede zur klassischen GmbH bestehen, bilden bei einer gGmbH die gemeinnützigen Ziele die inhaltliche Klammer. Damit einher geht die Befreiung von verschiedenen Steuern – sowie die Verpflichtung, erwirtschaftete Gewinne grundsätzlich für den gemeinnützigen Zweck zu verwenden. Üblicherweise würden die Gewinne in bauliche Vorhaben investiert, sagt Richter: „So wie zuletzt in den Umbau der Jugendherberge Bremen, wo wir 7,6 Millionen Euro investiert haben. Alles, was wir machen, bleibt in unserem Gemeinnützigkeitskreislauf.“
Nachhaltigkeit im umfassenden Sinn
Nachhaltigkeit sei schon seit 2005 ein zentrales Thema, macht der Geschäftsführer deutlich. „Wir haben damals gesagt, dass die strategische Ausrichtung von oben kommen muss. Daran haben wir uns dann über die Jahre Schritt für Schritt entwickelt.“ Die Öffentlichkeit reduziere den Begriff Nachhaltigkeit häufig auf die Reduktion von CO2-Emissionen, ergänzt Oliver Engelhardt, Bereichsleiter Marketing, Vertrieb und Produktentwicklung: „Aber der Impact als gemeinwohlorientiertes Unternehmen geht viel weiter.“ Und so sind der Bezug von 100 Prozent Ökostrom, die Bilanzierung der Emissionen für jeden einzelnen Standort sowie die daraus resultierende Berechnung eines CO2-Äquivalents, für das die Übernachtungsgäste einen freiwilligen Klimaschutzbeitrag leisten können, nur einige von vielen Puzzleteilen im Gesamtkonzept. Ein Konzept, für das der Landesverband im Übrigen vor zehn Jahren mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet wurde.
Inklusion und außerschulische Bildung
Weitere Puzzleteile sind die bisher vier Inklusionsbetriebe innerhalb des Unternehmens (Aurich, Leer, Oldenburg sowie das Service- und Buchungscenter in Bremen), in denen Menschen mit und ohne Behinderung zusammenarbeiten. „Unser Ziel ist es, voneinander zu lernen, miteinander zu wachsen und Menschen mit Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt einzubinden“, berichtet Engelhardt. Aktuell gibt es Überlegungen, weitere Standorte zu Inklusionsbetrieben zu entwickeln und darüber hinaus auch eine inklusive Wäscherei zu gründen. Und auch die Bildung zählt zu den zentralen Bereichen in der Gemeinwohlorientierung der gGmbH. „Wir haben vor acht Jahren damit begonnen, unsere Bildungsangebote zu schärfen, um mit unseren Programmen gezielt ökologisches und soziales Lernen zu ermöglichen“, betont Thorsten Richter. Mit Erfolg: Vergangenes Jahr hat das Niedersächsische Kultusministerium die Jugendherbergen im Nordwesten offiziell als „außerschulische Lernstandorte Bildung für nachhaltige Entwicklung“ anerkannt.
Weniger Fleisch, mehr Bio
Seit einiger Zeit beschäftigt das Unternehmen zudem einen Koordinator für Speisen und Getränke, der eine nachhaltige und gesunde Gemeinschaftsverpflegung gewährleistet. In Zusammenarbeit mit den Teams an den Standorten entwickelt er die Küchen dahingehend, dass weniger Fleisch und weniger Verpackungen zum Einsatz kommen – und dafür mehr Bio- und regionale Lebensmittel. „Angesichts der überall steigenden Kosten ist es gerade ein schwieriger Zeitpunkt für eine solche Umstellung“, meint der Geschäftsführer. In manchen Häusern habe es dazu durchaus kontroverse Diskussionen gegeben. „Aber wir haben dann gesagt: Entweder wir bleiben uns treu und ziehen das durch oder wir schmeißen eine ganze Strategie über Bord.“
Wie umgehen mit Preissteigerungen?
Überhaupt sind die anhaltenden Preissteigerungen ein heikles Thema. Egal ob Lebensmittel-, Strom- oder Personalkosten: Alles wird immer teurer. Richter: „Wie alle gemeinwohlorientierten Unternehmen betrifft auch uns die Frage ganz besonders: Wollen wir die gestiegenen Kosten eins zu eins an unsere Gäste weitergeben?“ Und das vor dem Hintergrund, dass in vielen Familien immer weniger Geld für Klassenfahrten zur Verfügung stehe. Auch die Jugendherbergen im Nordwesten hätten zuletzt ihre Preise anpassen müssen: „Aber wir merken, dass wir da inzwischen am Limit angekommen sind. Es ist eine besondere Herausforderung, sozial schwache Familien nicht abzuhängen.“ Als Beispiel nennt der Geschäftsführer die Gestaltung der Übernachtungspreise. „Ein Zimmer mit Weserblick würde ein kommerzieller Anbieter deutlich teurer anbieten. Uns geht es nicht darum, dass wir uns reich verdienen, sondern dass wir unsere gemeinwohlorientierten Ziele erreichen.“
Lokales Engagement
Dazu gehört es auch, an den Standorten Präsenz zu zeigen und sich lokal zu engagieren. So halten die Führungskräfte regelmäßig Vorträge bei Schulbehörden zum Thema Nachhaltigkeit oder nehmen an Veranstaltungen der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH teil, wo sie ihre Expertise zum sozialen Wirtschaften einbringen. „Vernetzung in der Stadt ist uns extrem wichtig“, betont Thorsten Richter. „Wir setzen uns dafür ein, dass die Jugendherberge künftig noch mehr ein Treffpunkt und sozialer Ort sein kann.“ Darüber hinaus hat die gGmbH gerade eine Ausbildungsinitiative gestartet, in deren Rahmen sie zusammen mit der niedersächsischen Landwirtschaftskammer ein Verbundausbildungssystem entwickelt. Ziel ist es, die Zahl der Auszubildenden an den 27 Standorten von aktuell 60 auf 100 zu erhöhen. „Dabei spielt uns in die Karten, dass viele junge Leute ein großes Interesse haben, in einem gemeinwohlorientierten Unternehmen zu arbeiten“, berichtet Oliver Engelhardt. „Sie wollen etwas Sinnvolles tun und positive Effekte ihrer Arbeit sehen.“
„Externes Know-how ins Boot holen“
Für andere Sozialunternehmen, die das Modell einer gGmbH ins Auge fassen, hat Thorsten Richter folgenden Rat: „Ab einer gewissen Größenordnung würde ich mir immer das externe Know-how einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft ins Boot holen – auch, wenn es Geld kostet.“ Für die Jugendherbergen im Nordwesten habe sich die Gründung der gemeinnützigen Gesellschaft vor 20 Jahren absolut bewährt. „Die Frage war damals, wie groß das Verantwortungspaket des Ehrenamts sein soll und darf“, erläutert er. Die Gründung der gGmbH habe dazu geführt, dass die Bereitschaft, sich in den ehrenamtlichen Führungspositionen zu engagieren, größer geworden sei. Mit der Einkaufsgesellschaft „eko:“ sowie der gGmbH „DJH Gemeinsam Arbeiten“ für Inklusionsbetriebe hat der Landesverband Unterweser-Ems inzwischen noch zwei weitere Töchter. „Das macht es erstmal etwas komplizierter, weil Gremien miteinander kommunizieren müssen und in der Finanzbuchhaltung drei Gesellschaften zu führen sind“, sagt der Geschäftsführer. „Aber es hat Klärung gebracht und wir haben unsere Ziele bisher gut erreicht.“
Die Belegschaft mitnehmen
Eine Frage, die sich in der Umsetzung der Ziele nach Aussage von Oliver Engelhardt immer wieder stellt: „Wie kommunizieren wir den Spirit in die Fläche?“ Um das zu erreichen, seien verschiedene Formate entwickelt worden – zum Beispiel ein großer Mitarbeitertag voriges Jahr in Oldenburg, regelmäßige zentrale Schulungswochen am Standort Jever sowie digitale Meetings. Was die Erarbeitung der Gesamtstrategie angehe, gelte die folgende Faustregel, ergänzt Thorsten Richter: „Das Hauptamt denkt die Strategie vor, das Ehrenamt im Landesverband legt sie fest.“ Dabei hätten die Mitarbeitenden immer die Möglichkeit, eigene Ideen einzubringen. „In letzter Instanz entscheide dann aber ich“, macht Richter deutlich. „Es ist eine Herausforderung, das alles so zu organisieren, dass sich die Mitarbeitenden mitgenommen fühlen und dabei die Dinge aber nicht kaputt diskutiert werden.“
Bei den Übernachtungsgästen kommt das auf Nachhaltigkeit bedachte Gesamtkonzept der Jugendherbergen im Nordwesten offensichtlich gut an. Das Online-Feedback-System habe vergangenes Jahr wieder ein Top-Ergebnis gebracht, berichtet der Geschäftsführer. „Das bestärkt uns, dass wir den richtigen Weg gehen.“
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