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25.4.2025 - Anne-Katrin Wehrmann

„Wurst Case“ als Best Practice

Pressedienst

Wie die ZwischenZeitZentrale alten Räumen neues Leben einhaucht

4 Menschen sitzen auf einem Sofa und sehen einem Mann zu, der auf einem Fahrrad sitzt.
Das ZZZ-Team: Oliver Hasemann, Julian Essig, Jana Dietrich, Jonathan Silber und Daniel Schnier (v.l.). © WFB/Björn Hake

Leerstehende Immobilien gibt es immer wieder. Was auf den ersten Blick wie eine negative Begleiterscheinung städtischen Strukturwandels wirkt, kann sich als Chance für neue Ideen und Konzepte erweisen. Die Bremer ZwischenZeitZentrale zeigt auf, welche Möglichkeiten der Zwischennutzung es gibt. Bestes Beispiel: das „Wurst Case“ auf dem früheren Gelände der Fleischwarenfabrik Könecke.

Die verwinkelten Gänge in den unteren Etagen des Bürogebäudes sind lang, schmal und weiß. Nur an wenigen Stellen durchbrechen Bilder oder Plakate die Kargheit – wie im vorderen Bereich des Flurs in Etage zwei. Direkt unter dem Ende eines Kabels, das nutzlos aus der Wand baumelt, hängt ein Bilderrahmen mit schlichtem Goldrand. Darin zu sehen: das vergrößerte Foto von vier übereinandergestapelten Salamiwürsten, die appetitlich auf einem Holzbrett angerichtet sind. Das Bild ist einer der wenigen optischen Hinweise auf die Vergangenheit des Gebäudes. Einst war es der Verwaltungssitz der Fleischwarenfabrik Könecke – heute beherbergt es einen bunten Mix unterschiedlicher Mieterinnen und Mieter, von der Künstlerin über den Hersteller von Rucksäcken und Fahrradtaschen bis hin zum Musiker mit eigenem Tonstudio. Und: die Bremer ZwischenZeitZentrale (ZZZ), die von hier aus ihre Aktivitäten steuert.

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne

Genau zehn Jahre ist es jetzt her, dass die ZZZ in das Objekt eingezogen ist, das inzwischen als „Wurst Case“ einige Bekanntheit erlangt hat. „Damals hatten wir nicht damit gerechnet, dass wir zehn Jahre später immer noch hier sitzen würden“, sagt Daniel Schnier, der die Einrichtung zusammen mit seinem Kompagnon Oliver Hasemann leitet. Die Erfahrung zeige, dass nichts für die Ewigkeit sei: „Als wir 2015 aus unserem damaligen Büro in der Abfertigung am Hansator ausziehen mussten, waren wir etwas wehmütig. Aber wenn etwas zu Ende geht, fängt auch immer etwas Neues an.“ Ein Satz, der ebenso gut das Motto der ZZZ sein könnte. Denn deren Ziel ist es, Leerstände als Potenzial der Stadtentwicklung zu nutzen – und damit im wörtlichen Sinn Raum für Neues zu schaffen.

Gebäude von außen
Einst war hier der Verwaltungssitz der Fleischwarenfabrik Könecke. © WFB/Björn Hake

Zwischennutzung als etablierte Option

Mit ihrem gemeinsam betriebenen Autonomen Architektur Atelier (AAA) hatten sich die beiden Diplom-Ingenieure 2009 erfolgreich an einer Ausschreibung der Stadt Bremen beteiligt, die für ein vom Bund gefördertes Pilotprojekt eine Zwischennutzungsagentur aufbauen wollte. Die damals neu gegründete ZwischenZeitZentrale lieferte fortan so überzeugende Ergebnisse ab, dass die Stadt nach Ablauf der Bundesförderung im Jahr 2012 die Finanzierung übernahm. Seither ist die städtische Beauftragung im Vierjahrestakt verlängert worden, zuletzt Ende 2024. „Wir haben uns inzwischen so etabliert, dass es schwer vorstellbar wäre, das Projekt wieder zu stoppen“, ist Hasemann überzeugt. Leerstände gebe es immer wieder, weil nach dem Ende einer Nutzung nicht gleich eine Folgenutzung in Sicht sei. „Zugleich besteht ja eine große Nachfrage nach Flächen, darum ist Zwischennutzung eine gute Option.“

Die Aufzeiger von Möglichkeiten

Die ZZZ unterstützt, begleitet und initiiert Zwischennutzungen im gesamten Bremer Stadtgebiet – mit einem Schwerpunkt auf öffentlichen Gebäuden sowie Stadtentwicklungsgebieten mit „besonderen Herausforderungen“: So beschreibt der ZZZ-Mitgründer die Arbeit des derzeit fünfköpfigen Teams. „Wir zeigen Möglichkeiten auf“, macht er deutlich. „Unter dem Strich können wir dadurch Menschen, Initiativen und Projekten einen Ort zur Umsetzung ihrer Ideen vermitteln, die sonst keinen Raum finden würden beziehungsweise sich die sonst üblichen Mieten nicht leisten könnten.“

Es kommt dabei auch vor, dass die ZZZ als Hauptmieterin eines Objekts einsteigt und den Mix an Untermietern in eigener Verantwortung zusammenstellt. So betreibt sie aktuell das alte Polizeirevier in Woltmershausen, dessen ehemalige Dienststuben als Büros und Ateliers zwischengenutzt werden, sowie unter dem Titel „Galop de Porc“ (zu Deutsch: Schweinsgalopp) die Flächen der ehemaligen Bremer Galopprennbahn, die bis zum Beschluss einer finalen langfristigen Planung ebenfalls zur Zwischennutzung bereitstehen. Und natürlich das „Wurst Case“.

Spezieller Charme des Vergangenen

Auch zehn Jahre nach dem Einzug in die frühere Wurstwarenfabrik ist nicht klar, wie es mit dem Gelände weitergeht, zu dem außer dem fünfgeschossigen Bürogebäude auch diverse ehemalige Produktions- und Lagerhallen gehören. Von Anfang an haben sich alle (Zwischen-)Mietparteien damit arrangiert, eines Tages innerhalb einer dreimonatigen Kündigungsfrist vor die Tür gesetzt werden zu können – und dafür vergleichsweise geringe Mieten in einem sanierungsbedürftigen Haus zu zahlen. Die ZwischenZeitZentrale hat sich im obersten Stockwerk angesiedelt, von wo sich bei gutem Wetter stimmungsvolle Sonnenuntergänge beobachten lassen. „Früher war das die Chefetage“, erzählt Daniel Schnier grinsend. „Damals mussten die Leute hier mit Pantoffelschuhen rumlaufen, weil der Teppich so teuer war.“ Heute ist vom einstigen Schick nicht mehr viel übrig. Dafür herrscht ein spezieller Charme des Vergangenen, der in Kombination mit der Kreativität der Mietparteien offensichtlich eine produktive Wirkung zeigt.

Von der Fahrradtasche bis zur Aktionskunst

Gut 130 Zwischenmietverträge mit mehr als 500 Beteiligten hat die ZZZ seit 2015 allein am Standort „Wurst Case“ geschlossen. Aktuell sind alle 35 Räume belegt, zum Teil mit mehreren Nutzerinnen und Nutzern. Darunter finden sich Alteingesessene ebenso wie Neulinge: Da ist zum Beispiel Uwe Arndt, der sich mit seinem inzwischen weit über Bremen hinaus bekannten Unternehmen Lumabag gleich zu Beginn eine kleine Manufaktur im „Wurst Case“ geschaffen hat, in der er äußerst erfolgreich Fahrradtaschen und Rucksäcke aus Recyclingmaterialien herstellt. Oder die Künstlerin Laurina Preckel, die erst Anfang dieses Jahres ihr Atelier bezogen hat und nun Bilder und Performances schafft, die sich schwerpunktmäßig mit Fleisch und der Darstellung von Nacktheit auseinandersetzen.

Eine Frau sitzt an einem Schreibtisch
Die Künstlerin Laurina Preckel ist Mieterin im „Wurst Case“. © WFB/Björn Hake

Bezahlbarer Raum für kreative Köpfe

Die 34-jährige gebürtige Delmenhorsterin lebte nach ihrem Kunststudium in Halle an der Saale sieben Jahre lang in Berlin, bevor sie im vergangenen Sommer mit ihrem Partner und ihrer kleinen Tochter nach Bremen umzog. „Wir wollten an einen Ort, an dem es mehr Ruhe und Verbindlichkeit und ein Gefühl von Ankommen gibt“, berichtet Preckel, die sich kurz nach dem Umzug auf die Suche nach einem eigenen Atelier machte. In der Hauptstadt habe sie keine Chance gehabt, etwas Finanzierbares zu finden: „In Bremen ging es dann ganz schnell“, sagt sie. „Es ist ein eklatanter Unterschied, wie nett und verbindlich die Menschen hier sind. Es gibt einen tollen Support und eine gute Vernetzung, da haben sich schon in kurzer Zeit ganz viele von meinen Vorstellungen eingelöst.“ Dass wie im „Wurst Case“ Leerstände genutzt würden und dadurch bezahlbare Räume entstünden, finde sie fantastisch.

Ausgezeichnete Pionierarbeit

Die Erfolgsgeschichte aus Bremen hat längst auch andernorts Schule gemacht. Zwischennutzungsagenturen gibt es heute auch in anderen Städten. Aber was die Bremer Variante von Anfang an besonders gemacht hat, ist ihr gesamtstädtischer und ressortübergreifender Ansatz. Seit dem Start des Projekts vor 16 Jahren betrachtet der Bremer Senat das Thema Zwischennutzung als Chance für die Stadtentwicklung und räumt der ZZZ bei öffentlichen Gebäuden eine Mittlerposition zwischen Verwaltung und potenziellen Zwischennutzern ein. „Wir haben es geschafft, dass Zwischennutzung in Bremen gegenwärtig ist“, macht Daniel Schnier deutlich. „Und zwar nicht nur als Lückenfüller, sondern als echte Option, Möglichkeiten zu nutzen.“ Für diese Pionierarbeit gab es im Laufe der Jahre viele bundes- und europaweite Preise und Auszeichnungen, darunter den Deutschen Städtebaupreis 2016 sowie den Bundespreis Stadtgrün 2024.

Wichtige Rolle bei der Transformation

Auch in Zukunft will das ZZZ-Team weiter seinen Beitrag leisten, Möglichkeiten aufzuzeigen und Räume für Neues zu öffnen. Die Aussichten dafür sind gut, ist Oliver Hasemann überzeugt. „Ich gehe davon aus, dass wir künftig noch stärker in die Transformation von Stadtentwicklungsgebieten integriert sein werden“, meint er. Vor dem Hintergrund der Notwendigkeit, auch den Bausektor nachhaltiger zu gestalten, komme dem Erhalt von Gebäuden eine zentrale Bedeutung zu. „Damit spielt dann auch die Zwischennutzung zwangsläufig eine größere Rolle, darum wird uns die Arbeit so schnell nicht ausgehen.“

Pressekontakt:
Daniel Schnier und Oliver Hasemann, ZZZ - ZwischenZeitZentrale Bremen, Tel.: +49 421 6958126, E-Mail: kontakt@zzz-bremen.de

Bildmaterial:

Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebenen Bildnachweises frei zum Abdruck.

Foto 1: Das ZZZ-Team: Oliver Hasemann, Julian Essig, Jana Dietrich, Jonathan Silber und Daniel Schnier (v.l.). ©WFB/Björn Hake

Foto 2: Einst war hier der Verwaltungssitz der Fleischwarenfabrik Könecke. ©WFB/Björn Hake

Foto 3: Die Künstlerin Laurina Preckel ist Mieterin im „Wurst Case“. ©WFB/Björn Hake

Der Pressedienst aus dem Bundesland Bremen berichtet bereits seit Juli 2008 monatlich über Menschen und Geschichten aus dem Bundesland Bremen mit überregionaler Relevanz, herausgegeben von der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH. Bei den Artikeln handelt es sich nicht um Werbe- oder PR-Texte, sondern um Autorenstücke, die von Journalistinnen und Journalisten geschrieben werden. Es ist erwünscht, dass Redaktionen den Text komplett, in Auszügen oder Zitate daraus übernehmen.
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