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vielfältig - Quelle: WFB/Raveling
12.2.2025 - Wolfgang Heumer

„Wir sprudeln vor Ideen, wie wir Pflege besser machen können!“

Erfolgsgeschichten

Pflegedienst-Betreiberinnen Hannah und Judith Burgmeier gründen Sozialunternehmen in Bremen

Nach Bremen zu ziehen, war für Hannah und Judith Burgmeier zunächst ein pragmatischer Kompromiss für den gemeinsamen Wohnsitz. Längst sagen sie mit Überzeugung: „Wir fühlen uns hier richtig wohl.“ Seit einem Jahr betreibt das Ehepaar in der Stadt den ambulanten Pflegedienst „vielfältig GmbH“ und engagiert sich für Arbeitsbedingungen in der Branche und dafür, dass queere Menschen in der Pflege respektvoll, fachlich fundiert und vorurteilsfrei versorgt werden. Trotz vieler ungelöster Herausforderungen im Gesundheitswesen sehen sie in Sozialunternehmen wie ihrem eigenen eine Bereicherung für das Bundesland: „Sozialunternehmen verändern die Atmosphäre in einer Stadt.“

Als sich Hannah und Judith Burgmeier intensiver mit der Gründung eines ambulanten Pflegedienstes befassten, stießen sie auf fragende Blicke: „Seid ihr dafür nicht überqualifiziert?“ Judith hat nach der Ausbildung zur Altenpflegerin „Pflege- und Gesundheitsförderung“ studiert und den Master in „Pflege- und Gesundheitsmanagement“ angehängt. Hannah ist Gesundheits- und Kinderkrankenpflegerin, hat den Bachelor in Pflege- und Gesundheitspädagogik und zusätzlich den Master in Sexualwissenschaften und -pädagogik erworben. Die Frage nach der Überqualifizierung beantworten sie mit einem klaren Nein und benennen ein ganz anderes Problem. „Im Pflegebereich erleben wir eine zunehmende Deprofessionalisierung“, hat Judith beobachtet. Obwohl in der alternden Gesellschaft der Bedarf an einer Pflege durch qualifiziertes Fachpersonal stetig wächst, „wird inzwischen nur noch in seltenen Fällen mit Fachpersonal gearbeitet“.

Zwei Frauen schauen in die Kamera
Hannah und Judith Burgmeier © WFB/Heumer

Der Bedarf an fachlich fundierter Pflege wird in der alternden Gesellschaft immer größer

Eines ist offensichtlich: Hannah und Judith Burgmeier haben den Schritt zum eigenen Pflegedienst nicht trotz, sondern wegen ihrer hohen Qualifikation gewagt. Der Bedarf an fachlich fundierter Pflege wächst stetig. Doch drei Jahrzehnte nach der Einführung der Pflegeversicherung herrscht nach wie vor ein wachsender Pflegenotstand in Deutschland. Hannah und Judith treten dem aus der Überzeugung entgegen, dass eine fachlich fundierte Betreuung ein gesellschaftliches Muss ist.

Als „Lebenskomplizinnen“, die sich bei der Arbeit kennen- und lieben gelernt haben, widmen sie sich einem zweiten Aspekt, über den die Zivilgesellschaft scheinbar schweigend hinweggeht: „Sexualität ist ein Tabuthema im Gesundheitsbereich“, sagt Hannah. „Alternde Menschen, die queer sind, werden im Gesundheitswesen einfach nicht mitgedacht“, ergänzt Judith: „Das hat uns dazu angestachelt, uns in dieser Richtung zu bewegen.“ Dass sie ihren Pflegedienst „vielfältig. GmbH“ genannt haben, ist Name und Programm zu gleich.

Große Chance in der intelligenten Verknüpfung von Sozial- und Digitalbranche

Beim Engagement gegen eine Ausgrenzung queerer Menschen und für den Schutz des extrem belasteten Pflegefachpersonals begegnen die beiden Gründerinnen zwangsläufig den großen Herausforderungen im Gesundheitswesen. Selbst Themen wie die Digitalisierung der Organisation und Kommunikation im Gesundheitsbereich sind nach der Erfahrung der beiden nicht einmal annähernd auf einem in der Wirtschaft sonst üblichen Stand: „Das modernste Kommunikationsmittel ist meistens das Faxgerät“, staunt Hannah.

Für den Wirtschafts- und Gründerstandort Bremen sehen die beiden Pflege-Expertinnen die Chance, durch eine intelligente Verknüpfung von Sozial- und Digitalbranche innovative Software-Lösungen für das Gesundheitssystem zu entwickeln. „Wir haben sowohl im Sozialbereich als auch in der Digitalisierung große Kompetenzen in Bremen“, ist Judith überzeugt, „wenn man beides miteinander verbindet, ergibt sich ein weiteres Alleinstellungsmerkmal für den Wirtschaftsstandort Bremen.“

Gründungsatmosphäre begeistert für Bremen

Dass sich die beiden Gründerinnen in ihrer Wahlheimat an der Weser wohlfühlen, hat auch mit der Gründungsatmosphäre in der Stadt zu tun: „Uns ist hier sehr viel Positives entgegengebracht worden“, berichtet Hannah. Die Bandbreite reicht von den Coaching-Programmen im Starthaus Bremen und Bremerhaven auf dem Weg zur Selbstständigkeit und der Kontakt zur Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) nach der Gründung.

Unter anderem zählt Hannah die Social Innovation Tour der WFB dazu, ein Format, das Akteur:innen aus Wirtschaft und Verwaltung im Bereich der Sozialunternehmen zusammenbringt: „Es ist toll, dass der soziale Bereich dadurch Sichtbarkeit bekommt, dass sich etwas bewegt und dass neue Formate geschaffen werden, um auch die Verwaltung in den künftig notwendigen Prozess einzubeziehen.“

Flyer im Vordergrund im Hintergrund Menschen
Individuelle Beratungsangebote sind Teil der Leistungen von vielfältig © WFB/Raveling

Aus ihrer Tagesarbeit kennen Hannah und Judith viele der Baustellen im Gesundheitssektor. Ein Beispiel: Anders als die vielfältig GmbH sind die Kostenträger im Gesundheitswesen nicht an die Telematik-Infrastruktur angeschlossen. Die Kommunikation zwischen Pflegedienst und Krankenkassen erfolgt deswegen immer noch analog per Fax und Briefpost - „das ist ineffizient und sorgt für Kosten und unnötigen Personaleinsatz, die einfach vermieden werden könnten“, erläutert Hannah.

„Unser Antrieb ist es, dass wir den Pflegeberuf voranbringen wollen“

Von solchen Hemmnissen lassen sich Hannah und Judith Burgmeier nicht bremsen: „Unser Antrieb ist es, dass wir den Pflegeberuf voranbringen wollen. Und das geht nur auf dem Weg, es selbst zu tun.“ Aus ihrer berufspolitischen Tätigkeit bei der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz und aus Umfragen wissen die beiden, dass die Arbeit in den Pflegeberufen in der Bevölkerung hochangesehen ist. Eine ähnliche Wirkung messen sie auch Sozialunternehmen zu: „Soziale Unternehmen verändern die Atmosphäre in der Stadt zum Positiven.“ Zudem hat das Thema Pflege unmittelbare Auswirkungen auf die gesamte Wirtschaft: „Jeder berufstätige Person kann davon getroffen werden, plötzlich für die Pflege von An- und Zugehörigen sorgen zu müssen“, erläutert Judth: „Deshalb müssen wir uns dringend Gedanken machen, wie wir diese Menschen von Pflegeaufgaben entlasten können, damit sie wieder dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.“ Mit der Generation der Babyboomer, die jetzt zunehmend das Rentenalter erreicht, werde der Pflegebedarf weiter wachsen.

Die Gründerinnen weisen nicht nur auf die Notwendigkeit einer engen Verbindung zwischen sozialer und übriger Wirtschaft hin - sie kümmern sich auch darum. Zu einer Reihe von Firmen haben sie bereits Kontakte geknüpft. In den Gesprächen geht es dann neben den generellen Pflege-Themen auch um die Herzensangelegenheiten der Beiden: die Anerkennung und Professionalisierung der Pflegearbeit, eine queer-freundliche Gesundheitsversorgung sowie eine und eine angemessene Anerkennung der beruflichen Pflege. „Diese Arbeit mach ultra viel Spaß, unsere Themen kommen an; hier in Bremen können wir in die Breite gehen“, freut sich Hannah.

Parallel zum Pflegedienst mit „vielfältig. Lernen“ ein bundesweites Fortbildungsangebot

Ganz offensichtlich ist diese Anerkennung motivierend. Neben dem klassischen Pflegedienst haben die beiden Unternehmerinnen mit „vielfältig. Lernen“ ein bundesweites Fortbildungsangebot geschaffen, dass weit über Bremen hinaus strahlt: Von Bayern bis Schleswig-Holstein werden die Unternehmerinnen bereits von Gesundheitseinrichtungen, Hochschulen und Pflegeeinrichtungen zu ihrem Fortbildungsangebot rund um die Themen Sexualität, Diversität und andere Vielfaltsdimensionen, angefragt. Zudem bietet Hannah Burgmeier als Sexualwissenschaftlerin mit vielfältig. beraten individuelle Paar- Beziehungs- und Sexualberatung für Menschen mit Pflegebedarf und deren Bezugssystem an.

„Wir sprudeln vor Ideen“, sagt Judith. Die Relation zwischen Tourismus und Pflege könnte ein solches Thema sein - die Bandbreite ist groß: „Sie reicht von Reiseangeboten für Menschen mit Pflegebedarf und deren Bezugssystem bis hin zur Ausweitung des Fortbildungsangebotes in Bremen für Mediziner und Therapeuten, die dann den Hotels und der Gastronomie in Bremen zugutekommen.“ Ihre ursprüngliche Geschäftsidee behalten die beiden fest im Auge: „Es spukt uns zwar viel im Kopf herum. Aber erst einmal konzentrieren wir uns darauf, unseren ambulanten Dienst und unsere anderen Dienstleistungen auszubauen.“

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