„Industrie 4.0 ist ein nützlicher Marketingbegriff“
Digitalisierung / Industrie 4.0Christoph Ranze weiß, wie Unternehmen dank Digitalisierung neue Geschäftsmodelle finden
Diese Story beginnt im Jahr 2000. Zur denkbar ungünstigsten Zeit, um ein IT-Unternehmen zu gründen – die Dotcom-Blase war gerade geplatzt. Während die meisten Deutschen noch überlegten, was sie mit ihren Telekom-Aktien anfangen sollten, war für Christoph Ranze der richtige Zeitpunkt gekommen, mit einem Software-Unternehmen zu starten.
Schon seit einigen Jahren hatte der damalige wissenschaftliche Mitarbeiter am Bremer TZI (Technologie-Zentrum Informatik und Informationstechnik) im Bereich der Künstlichen Intelligenz gearbeitet. In einem gemeinsamen Forschungsprojekt mit dem Maschinenbauer Lenze aus Hameln tüftelte er mit seinen Kollegen an einem Antriebskonfigurator. Mit der Software können Lenzemitarbeiter online einen Getriebemotor zusammenstellen. Denn es gibt unzählige Features, Teile und Möglichkeiten, wie sich ein Getriebemotor zusammenbauen lässt. Für jeden Einsatzzweck eine eigene Variante.
Ziel der Entwicklung war es, dass Vertriebsmitarbeiter für ihre Kunden mit wenigen Klicks ein individuelles System zusammenstellen konnten. Statt wie bisher in einer Exceldatei, fanden sich alle Daten in einer Datenbank mit einfacher Software-Oberfläche – fehlersicher. Keine Information sollte mehr verloren gehen, wenn sich Vertrieb, Einkauf und Produktion austauschten.
Mit starkem Partner in die Selbstständigkeit gestartet
Angst davor, zur Jahrtausendwende in der IT-Krise mit einem Software-Unternehmen an den Markt zu gehen? Eher das Gegenteil. Für das Projekt encoway bricht Ranze seine Dissertation ab. „Unsere Projektpartner von Lenze sahen das große Geschäftspotenzial in der Technologie und standen uns mit Mitteln und Know-how zur Seite“, erzählt er.
Eine Verbindung, die bis heute hält. Lenze ist an encoway beteiligt, steht nach wie vor beratend zur Seite. 3500-Mann auf der einen und 170-Mann auf der anderen Seite. Über die ungleiche Liaison ist Ranze mehr als froh. „Wir profitieren von den Vorteilen eines Konzerns und sind schlagkräftiger Mittelständler geblieben“, sagt er und fügt zufrieden hinzu: Bis heute sei er noch nicht bei einer Bank gewesen, um nach Kapital für encoway zu fragen.
Variantenreichtum und Losgröße 1
encoway ist Marktführer für digitale Konfiguratoren in Europa. Die Software ist überall dort im Einsatz, wo Produkte nicht mehr von der Stange kommen, sondern Unternehmen ihre Waren individuell nach Kundenwünschen zusammenstellen. Etwa beim Landmaschinenhersteller Amazone aus Hasbergen. Die Eggen, Saatmaschinen und Pflüge fertigt der Konzern in über 10.000 Varianten. Gut, dass eine Software den Überblick behält, wie der Referenzbericht „Jede Landmaschine ist so individuell wie der Acker, auf dem sie fährt“ von encoway erzählt.
Individualisierte Produktion, auch Losgröße 1 genannt – das Geschäftsmodell ist auch ein Schlagwort für die Industrie 4.0. „Klar, wir haben Losgröße 1 verstanden, bevor es den Begriff gab“, gibt Ranze schmunzelnd zu. Denn die Konfiguratoren sind das Bindeglied zwischen Vertrieb, Produktion und Kunde, ein Bestandteil der digitalisierten Produktion.
Und sie werden wichtiger. Kunden verlangen zunehmend nach individualisierten Gütern – zum Preis von Massenware. Unternehmen müssen sich diesem Trend anpassen, um nicht Marktanteile an Wettbewerber zu verlieren. Eine individualisierte Produktion, jedes Stück ist anders, lässt sich nur über eine digitale Fertigung effizient, schnell und kostengünstig erreichen.
Digitalisierung nutzen, um Mehrwerte für neue Geschäftsmodelle zu schaffen
Wenn es um Industrie 4.0 und Digitalisierung geht, erzählt Ranze gern eine kleine Anekdote: „Stellen Sie sich vor, ein Maschinenhersteller rüstet alle seine Geräte mit Schwingungssensoren aus und sammelt die Daten aller seiner ausgelieferten Maschinen digital in Echtzeit über das Internet. Natürlich, er kann damit Service und Wartung viel effizienter gestalten oder Erkenntnisse über die Lebensdauer gewinnen – aber das sind nur weitere Produktfeatures. Damit erhöht er die Effizienz, stärkt die Kundenbindung, aber neue Märkte erschließt es ihm nicht zwingend. Wie kann er damit ein neues Geschäftsmodell finden?“
Nachdem er den gespannten Zuhörer kurz ungeduldig zappeln lässt, erlöst er ihn mit dem nächsten Satz: „Ein neues Geschäftsmodell wäre es, wenn er die Schwingungsdaten der verteilt in einer Region aufgestellten Maschinen nutzt, um Erdbeben aufzuzeichnen und damit ein neues Erdbeben-Warnnetz etabliert. Das ist eine völlig neue Geschäftsidee, die dank Digitalisierung möglich wird.“ Erzählt Ranze diese Anekdote seinen Kunden, zaubert er ihnen häufig ein Lächeln aufs Gesicht. So können sie den sperrigen Begriff „Digitalisierung“ gleich einordnen.
Neues Geschäftsmodell dank Digitalisierung
Dieser Hype um Industrie 4.0 hilft encoway. „Ganz klar, Industrie 4.0 ist ein Buzzword. Aber als Slogan ist es nützlich, weil es wichtige Entwicklungen in Gang bringt“, erzählt der 49-jährige. So hat encoway in den vergangenen Jahren das Beratungsgeschäft für sich entdeckt. Viele Unternehmen interessierten sich für die Fertigung mit Losgröße 1 und kämen auf encoway zu, lange bevor sie eigene Produkte in zahlreichen Varianten herstellen. „Wir bieten Kunden jetzt einen Readiness-Check. Analysieren in mehrtägigen Workshops das Potenzial für eine Einführung von individualisierter Produktion. Das ist ein neues Geschäftsmodell für uns, das sich auszahlt“, sagt Ranze. Zusammen mit Partnern realisieren sie dann diese Projekte. „Wie waren früher eine reine ‚Technikbude‘, die nur die Software lieferte, heute macht das Beratungsgeschäft einen immer größeren Anteil aus.“
Die eigenen Kompetenzen im Bereich Digitalisierung hat encoway im Frühjahr 2017 mit der Beteiligung am Sindelfinger Softwareunternehmen logicline erweitert. Das 30-köpfige Unternehmen ist spezialisiert auf Cloud-Anwendungen, Mobile Apps und Internet-of-Things-Technologien. „Kunden können künftig von Tools und Dienstleistungen für die durchgängige Digitalisierung von der Maschine bis ins Business profitieren“, freut sich Ranze.
Was braucht der Nutzer wirklich?
Seinen Kunden gibt er die entscheidende Fragestellung mit: Was ist das Geschäftsmodell, welches bei den eigenen Nutzern wirklich zu neuen Umsätzen abseits von Effizienzgewinnen führt? Nur wer diese Frage beantworten kann, habe die Digitalisierung verstanden und ein neues Geschäftsmodell gefunden. Einfach ist das nicht. „Aber die Einfachheit ist das Entscheidende!“, wirft Ranze ein, „Komplex kann jeder. Die große Kunst ist es, einfache Lösungen zu finden, die gut mit den Marktanforderungen wachsen. Das haben wir mit encoway geschafft – und darauf sind wir bei encoway sehr stolz.“
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