Wie viel investieren Unternehmen in Digitalisierung?
Digitalisierung / Industrie 4.0Die Kosten von Digitalisierungsprozessen für den Mittelstand – im Interview mit Henning Osterkamp und Carsten Timmermann
Die Frage nach den Kosten und Investitionen für die Digitalisierung treibt viele Unternehmen um – gerade solche, die sich neu mit dem Thema befassen. Jeder Betrieb hat natürlich ganz eigene Anforderungen und Bedürfnisse, dennoch lassen sich einige generelle Aussagen und Empfehlungen treffen
Dieser Ansicht sind zumindest der Dipl. Kaufmann Henning Osterkamp und Wirtschaftsingenieur Carsten Timmermann. Die beiden Unternehmensberater haben sich im Herbst 2019 mit ihrem eigenen Unternehmen „dieersten GmbH“ in Bremen selbstständig gemacht. Wir haben uns mit ihnen darüber unterhalten, wie viel Unternehmen für die Digitalisierung ausgeben, wie Digitalisierungsprozesse in Corona-Zeiten funktionieren und wie digital die beiden eigentlich arbeiten.
Herr Osterkamp, Herr Timmermann, als Berater spüren Sie die Coronakrise, bei vielen Unternehmen sitzt der Gürtel enger. Wie wirkt sich die aktuelle Situation auf den Investitions- und Innovationswillen aus? Was beobachten Sie da?
Timmermann: Wir merken eine gewisse Zurückhaltung – es zeigt sich, welche Unternehmen auf eine Krise vorbereitet sind und welche nicht. Einige Kunden gehen ganz aktiv Investitionen an. Die wissen, das richtige Tal der Rezession kommt erst noch und am Ende bleiben nur die Starken übrig. Sie wollen jetzt alles tun, um dazu gehören.
Sie arbeiten viel für die mittelständische Industrie. Welche Arten von Digitalprojekten sind jetzt akut? Geht es um die Vernetzung von Maschinen, Homeoffice oder die Einführung von Software wie zum Beispiel Enterprise Resource Planning-Systeme (ERP) oder Cloud-Strukturen?
Timmermann: Wir sehen zwei Schwerpunkte: Zum einen Kollaborationstools, der Wunsch danach, im Unternehmen digital zusammenzuarbeiten. Zum anderen das Thema übergreifende Daten- und Informationsmanagement und damit auch ERP.
Osterkamp: Bei beiden Ansätzen geht es um die Herausforderung: Wie können wir die Menge an Informationen, die heutzutage beim Beschäftigten auflaufen (zum Beispiel aus Mails und anderen Systemen) allen zugänglich machen, ohne die Belegschaft mit zu vielen Infos zu überfordern? Die Kunst ist es, Informationen zu sammeln, zu bündeln und daraus Mehrwerte zu schaffen.
Betrachten wir einmal die Kostenseite – wie gehen Unternehmen mit den Kosten der Digitalisierung um?
Timmermann: Viele Fachabteilungen wollen gleich die eierlegende Wollmilchsau bei neuen Digitaltechnologien, projektieren über zu lange Zeiträume, denken „zu groß“. Dann wird das Digitalprojekt natürlich sehr teuer. Da zieht die Geschäftsführung oft nicht mit, weil die Kosten immens scheinen. Wir gehen das anders an. Wir möchten das, was heute schon da ist, nutzen und schnell in die Umsetzung kommen.
Ein Beispiel: Wer sich überlegt, Datenbrillen zu nutzen, um damit Techniker auf der ganzen Welt anzuleiten, steht vor einem umfangreichen Prozess mit viel neuer Hard- und Software. Einfacher ist es, erstmal das Handy des Technikers und dessen Kamera zu verwenden – dafür ist alles da. Die Datenbrille kann dann im zweiten Schritt kommen. Wir wollen das Beste aus dem Heute rausholen und gleichzeitig den Quantensprung vorbereiten.
Osterkamp: Zumal Digitalisierung oft auch Kosten vermeiden kann, weil sie Prozesse vereinfacht und Mitarbeitende entlastet. Aktuell erkennen viele Unternehmen, dass man dazu die Digitalisierung etwas unabhängiger von Kosten betrachten muss. Nicht komplett unabhängig – aber ein Blick auf den „Return-of-Invest innerhalb von X Jahren“ ist oft nicht zielführend. Digitalisierungsprozesse sind umfangreicher und haben einen Einfluss auf die generelle Ausrichtung des Unternehmens und selten nur auf ein einzelnes Projekt.
Können Sie dennoch die Kosten der Digitalisierung an einer konkreten Zahl festmachen? Wieviel investieren Unternehmen in Digitalisierung?
Osterkamp: Wir haben einmal ausgerechnet, was die Digitalisierung eines Beschäftigten nur auf Betriebsmittelebene kostet, also Arbeitsmittel, Software, Anschaffungen. Dabei kamen wir auf 150 bis 200 Euro Gesamtkosten pro Monat und Beschäftigten. Mit so einem Budget können Mitarbeiter schon ortsunabhängig arbeiten. Natürlich hängt das stark von Unternehmensgröße und Branche ab. Der Idealfall ist, dass sich die Digitalisierung selbst finanziert.
Wie ordnen Sie dabei das Thema Kosten für Aus- und Weiterbildung ein?
Osterkamp: Wir schätzen, dass rund 10 bis 15 Prozent der Kosten in Schulungen gehen. Die Digitalisierungsanbieter, die es heute gibt, setzen stark auf bereits vorhandene Vorkenntnisse. Smartphone, Chats, Videos, das alles kennen wir aus dem Alltag und da müssen wir niemanden für schulen. Oft ist es daher ganz einfach loszulegen.
Timmermann: Viele deutsche Unternehmen wollen den Digitalisierungsprozess genau planen und durchdenken. Das kommt noch aus dem Ingenieursdenken – einfach anzufangen und zu schauen, womit man dann endet, das fällt vielen schwer. Sie wollen jetzt etwas implementieren, was dann für zehn Jahre läuft. Im Digitalzeitalter reden wir aber von viel kleineren Zeitzyklen und damit tun sich Unternehmen sehr schwer. Da müssen wir Überzeugungsarbeit leisten.
Osterkamp: Wir merken aber auch, dass so langsam eine neue Generation in das mittlere Management kommt, die auch neue Forderungen stellen und dynamischer arbeiten wollen. Das zwingt Unternehmen zum Umdenken.
Kommen wir einmal zu Ihnen selbst – arbeiten Sie auch volldigital?
Osterkamp: Wir brauchen zwar formal eine Geschäftsadresse, arbeiten aber eigentlich digital, wenn wir nicht gerade beim Kunden sind. Wir haben unseren Firmensitz im Coworking-Space am Technologiepark. Dort können wir kurzfristig Besprechungsräume mieten, wenn wir sie brauchen, das kommt uns entgegen. Kein permanentes Büro vorzuhalten, spart natürlich Kosten.
Sie haben im November 2019 gegründet und Bremen als ihren Firmensitz ausgesucht. Was war ausschlaggebend für die Gründung in der Hansestadt?
Osterkamp: Als Industriestandort ist die Stadt natürlich spannend für uns. Zudem haben wir hier gemeinsame Wurzeln, wir haben uns 2005 als Angestellte im Bremer Airbus-Werk kennengelernt. Zudem war Bremen die Mitte zwischen unseren beiden Wohnorten, das hat perfekt gepasst.
Timmermann: Bremen ist familiärer als Hamburg, das war für uns auf jeden Fall ausschlaggebend. Viele Kunden suchen heute regionale Nähe. Das Klischee eines Unternehmensberaters, der um die Welt fliegt, wird immer weniger nachgefragt. Das ist für uns auch schön, weil wir abends wieder zuhause sein können.
Wer mit Ihnen in Kontakt kommt, stolpert zumindest ein wenig über ihren Firmennamen. Wie sind sie auf den Namen „Dieersten“ gekommen?
Timmermann: Wir kombinieren Prozessmanagement, Lean Management und Digitalisierung. „Lean Management“ ist ein Ansatz, der versucht Prozesse so schlank wie möglich zu halten. In den letzten 15 Jahren hat sich die Organisation in den Unternehmen gewandelt. Wer heute einen Prozess verbessern oder verändern möchte, kommt um die IT und um Softwareprozesse nicht mehr herum. Aufgrund unserer Erfahrung sowohl mit digitalisierten Systemen wie auch Prozessmanagement können wir beide Welten verbinden. Es gab bisher kein Unternehmen, was dieses Spektrum anbietet – da haben wir gesagt „Wir sind ja die Ersten!“ – daher auch der Name.
Osterkamp: Heute können wir Daten aus allen Maschinen und Prozessen ziehen. Unternehmen fehlt aber oft der Überblick über ihren Datenschatz – weil es fast schon unüberschaubar viel ist. Wir können Ordnung reinbringen, strukturieren und entscheiden, welche Daten wirklich wichtig sind. Das ist unsere Stärke.
Herr Osterkamp, Herr Timmermann, vielen Dank für das Gespräch!
Thomas Hofhans
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