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9.8.2016 - Jann Raveling

Ein Date mit dem neuen Chef – wie die Digitalisierung hilft, neues Personal zu finden

Digitalisierung / Industrie 4.0

Wer heute Fachkräfte finden will, muss sich in den sozialen Medien auskennen

Fachkräfte bewegen sich heute in sozialen Netzwerken. Wer dort gezielt seine neuen Mitarbeiter sucht, hat gute Erfolgschancen, den passenden zu finden. Aber dafür muss das Unternehmen auch selbst eine digitale Kultur vorleben.

Die mobile Dating-App Tinder macht die Suche nach neuem Glück einfach – gefällt das Bild vom Gegenüber, wird auf dem Handy einmal nach rechts gewischt zur Kontaktaufnahme. So geschah es auch einer Handvoll deutscher Softwareentwickler im vergangenen Jahr. Ihnen wurde „Ada Lovelace“ vorgeschlagen. Das Profilbild zeigte keine Dame sondern ein Herz und den Schriftzug der Programmiersprache C++. Die Softwareentwickler wussten sofort, dass sich hinter diesem Namen und diesem Profil nur eine sehr pfiffige Firma verbergen konnte – Volltreffer! Schnell nach rechts gewischt. Welches Unternehmen es genau war, wurde danach deutlich: der Ingolstädter Engineering-Dienstleister BFFT, der sich auf der Suche nach neuem Personal für eine ausgefallene Strategie entschieden hatte und gezielt auf der Dating-Plattform nach neuen Mitarbeitern gesucht. (Mehr dazu auf: Blogeintrag auf diegrüne3)

So aufwendig muss es nicht immer sein. Tatsache ist jedoch, dass die klassische Stellenanzeige online oder in der Zeitung künftig nicht mehr ausreicht. Im heißumkämpften Fachkräftemarkt sind neue Strategien nötig, etwa die aktive Suche nach künftigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Digitalisierung bietet dafür Chancen – wenn Unternehmen bereit sind, an sich zu arbeiten. Dieser Meinung ist Robindro Ullah, Leiter Employer Branding Operations bei der Deutschen Employer Branding Akademie DEBA in Berlin.



WFB: Herr Ullah, Sie waren lange Jahre im Personalmanagement von großen Konzernen tätig. Welche Bewerbung ist Ihnen in Erinnerung geblieben


Robindro Ullah: Ich habe von einer Bewerbung erfahren, bei der auf der Rückseite des Anschreibens ein Foto von dem Gesicht des Bewerbers gedruckt war. Dabei war der Mund ausgespart. Zusätzlich war ein QR Code abgedruckt und die Anweisung, das Handy auf der Aussparung zu platzieren. Folgte man dem Code, startete sich ein Video nur mit dem Mund des Bewerbers, der sich daraufhin vorstellte. Die Verbindung aus klassischem Anschreiben, Foto und Video war sehr kreativ.

Sind solche Bewerbungen auf dem Vormarsch, gerade jetzt, wo es einfacher ist, sich digital mit Videos, Fotos oder anderen kreativen Mitteln auszuleben?


Nein im Gegenteil, das ist sogar rückläufig. Bewerbungen werden heute eher unkreativer, damit sie leichter zu verarbeiten sind. Es geht in Richtung One-Click: Der Bewerber hat seine Daten an einer Stelle hinterlegt, zum Beispiel auf XING oder LinkedIn. Über einen Klick können Unternehmen diese Daten dann in die Bewerbermanagementsysteme übernehmen. Schon ist die Bewerbung fertig. Das ist sehr effizient und unkompliziert für beide Seiten, selbstverständlich unter Beachtung der Datenschutzgesetze. Dieser Trend hängt auch mit dem Vormarsch der mobilen Endgeräte bei der Bewerbung zusammen. Auf dem Handy möchte niemand längere Texte schreiben.


Steigt durch One-Click nicht die Gesamtzahl an Bewerbungen für Unternehmen, da es für Bewerber extrem einfach ist, sich auf jede Stelle zu bewerben, hunderte Bewerbungen am Tag zu versenden?


Am Anfang war das tatsächlich so. Bei einem genaueren Blick auf viele Stellenanzeigen sieht man jedoch, das sind Unternehmen, die sich keine Mühe geben, die Stellen ordentlich auszuschreiben. Oder eine genaue Bezeichnung zu formulieren. Das ist natürlich nicht Sinn der Sache. Wenn die Hürden schon so niedrig sind, ist es wichtig, im Titel und im Text der Stellenanzeige genau auszuführen, wen ich suche und welche Werte und Eigenschaften ich wünsche. Umso genauer ich das beschreibe, desto zielgerichteter sind die Bewerbungen, die ich bekomme.

Wie schaffen Unternehmen das?


Unternehmen müssen wissen, was sie wollen. In vielen Stellenbörsen sind unzählige Profile ausgeschrieben, die schwammig formuliert sind, bestes Beispiel der „Projektmanager“. Die kulturellen Anforderungen sind noch viel schwammiger. Die meisten Unternehmen suchen folgende Fähigkeiten: teamfähig, kommunikativ, durchsetzungsstark. Das ist bei Bedarf jeder. Bei Bewerbern kommt folgende Botschaft an: Ich weiß nicht, wen ich suche. Der erste Schritt für Unternehmen ist es, die eigene Kultur herauszuarbeiten und zu benennen. Sich ein Gesicht zu geben. Der zweite Schritt ist es dann zu schauen: Was kann ich an der Personalgewinnung modernisieren?


Sie sprechen von Unternehmenskultur. In jedem Unternehmen haben sich Regeln, Werte und Verhaltensweisen etabliert, die aber selten formalisiert sind. Wie kommen Unternehmen dazu, sich eine Kultur zu geben?


Das Unternehmen muss zunächst wissen, wie es sich als Arbeitgeber positionieren möchte. Um das herauszufinden, gibt es verschiedene Methoden, wie etwa die Fokusgruppen, bei der Mitarbeiter befragt werden. Wichtig ist ebenfalls, dass ein Differentiator erarbeitet wird. Was genau macht mich so besonders als Unternehmen? Anhand dieses Qualitätsdreiecks, wie wir es nennen (Anker, Differentiator, Treiber), kann man dann, verkürzt gesagt, ableiten, welche Menschen man künftig einstellen möchte. Ist das Unternehmen von starker Hierarchie geprägt und soll das auch so bleiben? Dann kann man dazu passende Mitarbeiter finden.


Arbeit 4.0 heißt auch ein modernes Personalmanagement. Einer der wichtigsten Begriffe der digitalisierten Personalgewinnung ist das „social listening“ – was verbirgt sich dahinter?


Social listening ist einer der zwei bedeutendsten Aufgabenschwerpunkte eines Recruiters in Zukunft. Es ist die Fähigkeit, Themenschwerpunkte der eigenen Zielgruppen im Internet herauszufiltern: Worüber sprechen meine Zielgruppen im Netz? Gibt es sogenannte Influencer („Meinungsführer“)? Es geht letztlich um das Zuhören im Social Web. Damit in enger Verbindung steht auch das Identifizieren von Kandidatinnen und Kandidaten im Web. Hierzu existieren mittlerweile ausreichend Tools, die mir die Suche erleichtern. Aber mit der Suche ist es nicht getan. Der zweite wichtige Aufgabenschwerpunkt ist es dann, diese Kandidaten anzusprechen und ihr Interesse zu wecken.

Egal, was man in Richtung Rekrutierung unternimmt, alles ist aufwendiger, als einfach zu warten. Aber es verspricht auch wesentlich mehr Erfolg.

Ist es nicht sehr zeitaufwendig, einzelne Diskussionen von potenziellen Bewerbern nachzuverfolgen?

Ja, der initiale Zeitaufwand ist recht groß. Es vergeht Zeit, bis man alle Tools eingerichtet hat und weiß, was man sucht. Themen und Kandidaten im Blick zu behalten, bedeutet aber nicht zwangsweise einzelne Diskussionen nachzuverfolgen. Es geht vielmehr um einen Gesamteindruck: Was bewegt meine Zielgruppe? Trotzdem, social listening ist aufwendiger als das, was man bisher unternimmt: Die Stellenanzeige aufgeben und warten. Egal, was man in Richtung Rekrutierung unternimmt, alles ist aufwendiger, als einfach zu warten. Aber es verspricht auch wesentlich mehr Erfolg.

Welche Kanäle werden dabei künftig relevant?

Neben Social Media sind Messen nach wie vor ein guter Kanal, um bestimmte Zielgruppen anzusprechen. Nur weil es Digitalisierung heißt, muss es nicht zwangsläufig in Internet stattfinden. Spannend sind ebenfalls mobile Messenger, wie Whats-App. Auch diese lassen sich in den Rekrutierungsprozess sinnvoll integrieren.


Welchen Anteil haben diese Kanäle gegenüber klassischen Stellenanzeigen?


Das kommt immer auf die Zielgruppe an. Natürlich ist klar, dass der Anteil Online steigt. Die klassische Stellenanzeige online wird es aber immer geben, da sie nach wie vor der Startpunkt für die Bewerbung ist. Irgendwo muss sich der Bewerber ja „anmelden“. Print ist nicht tot, aber hier muss man schauen, welche Formate heute noch interessant sind – etwa die Verbindung mit Virtual Reality. Print wird künftig ein weiterer Zugangskanal zu digitalen Diensten.


Ein Großteil aller Stellen wird über Kontakte und Beziehungen vergeben. Wird dies in der künftigen Stellensuche noch zunehmen, da der persönliche Kontakt immer wichtiger wird, gerade in digitalen Kanälen?


Ja, der persönliche Kontakt ist häufig der wichtigste Rekrutierungskanal. Wer potenzielle Mitarbeiter sucht, sollte sich immer die Frage stellen, ob man nicht über Mitarbeiter rekrutieren kann. Die Digitalisierung ist hier eine große Hilfe, denn sie erlaubt es uns, viel einfacher festzustellen, ob ich in Verbindung mit Personen stehe, etwa bei XING, wo die Bekanntschaft zu Personen angezeigt wird.


Müssen Unternehmen jetzt alle Trends von Arbeit 4.0 verfolgen, um in der Personalgewinnung konkurrenzfähig zu sein?


In vielen Unternehmen ist das nicht möglich. In produzierenden Bereichen ist etwa Home-Office meist nicht realisierbar. Hier muss man schauen, wie flexibel Arbeitszeitmodelle tatsächlich gestaltet werden können. Viel wichtiger aber ist es zu schauen, wie in Unternehmen mit diesen Angeboten umgegangen wird: Gibt es bereits eine Arbeit 4.0-Kultur? Oder werden diejenigen, die Angebote des Unternehmens in Anspruch nehmen, komisch beäugt?

Wenn ich mich als Unternehmen digitalisiere, brauche ich auch eine digitale Kultur

Ich muss eine Atmosphäre schaffen, die Arbeit 4.0 ermöglicht. Denn Digitalisierung hat immer auch etwas mit Kulturwandel zu tun. Wenn ich mich als Unternehmen digitalisiere, brauche ich auch eine digitale Kultur. Je weniger professionell und modern sich ein Unternehmen im Bewerbungsprozess verhält, desto weniger glauben potenzielle Kandidaten auch an die digitale Kompetenz eines Unternehmens. Für Bewerber ist es wichtig zu sehen, dass sich Unternehmen auf den Wandel der Arbeitswelt vorbereiten.

Vor welchen Herausforderungen stehen gerade Mittelständler, die keine Personalabteilung haben?

Oft habe ich erlebt, dass Personal-Prozesse in Teilen oder auch in Gänze ausgelagert werden. Mit steigender Komplexität werden diese Prozesse immer teurer und Unternehmen wollen sich nicht immer mit diesen Kosten dauerhaft Inhouse belasten. Andere Unternehmen haben manchmal auch keine Personal-Verantwortlichen oder nur einen. Oft werden hier Personal-Prozesse von Teamassistenzen der Geschäftsführung übernommen. Gerade für solche Anwender gibt es vermehrt Software, die letztlich so leicht und selbsterklärend ist, dass es nicht zwangsweise einen Human Resources-Bereich geben muss, um diese zu bedienen. Nehmen wir beispielsweise die Software FirstBird. Es ist ein Freemium-Produkt, welches den Prozess „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“ digitalisiert.


Sind denn die Personalverantwortlichen dort in der digitalen Welt angekommen?


Nein, meiner Meinung nach sind in Deutschland nur wenige in der Digitalisierung angekommen. Deutschland ist in Europa das einzige Land, in dem die Höhergebildeten weniger Social Media benutzen, als die weniger Gebildeten, was im vergangenen Jahr aus dem OECD Bericht hervor ging (Quelle: vorwaerts.de). Das gilt, denke ich, auch für Personaler. Der erste Schritt sollte daher sein, sich damit zu beschäftigen, was Digitalisierung im Kern bedeutet. Unternehmen müssen sich gemeinsam mit den Mitarbeitern im Dialog mit diesem Thema auseinandersetzen.


Herr Ullah, vielen Dank für das Gespräch.


Weitere Informationen zu Arbeit 4.0 und Fachkräftesicherung gibt es bei Dr. Erika Voigt, Tel.: 0421 361-32174, erika.voigt@wah.bremen.de

Welche Services die WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH bei der Digitalisierung Ihres Unternehmens bietet, finden Sie auf der Übersichtsseite Digitalisierung.

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