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24.5.2016 - Jann Raveling

Hand in Hand - so arbeiten Roboter und Menschen künftig zusammen

Digitalisierung / Industrie 4.0

Projekt am Bremer DFKI zur Mensch-Roboter-Kooperation

Am Robotics Innovation Center des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Bremen haben Dr. Sebastian Bartsch und seine Kollegen den helfenden Gesellen in Form von Robotern neu erfunden. Einer dieser robotischen Gehilfen hört auf den Namen COMPI und ist auf einem Tisch befestigt: Der Roboterarm (oder auch Manipulator, wie die Roboterforscher gerne sagen) sieht aus wie ein normaler Industrieroboter, außer vielleicht, dass er nicht orange ist. Aber er kann etwas, dass nur wenige seiner Mitroboter können: Er ist flexibel und kann auf Menschen Acht geben. Eine wichtige Fähigkeit in der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter – der so genannten Mensch-Roboter-Kooperation.

„Bisher war es bei Robotern wichtig, dass sie möglichst schnell und präzise arbeiten. Jetzt kommt eine neue Anforderung hinzu: Sie müssen flexibel sein und sicher mit einem Menschen interagieren können, ohne ihn zu verletzen“, sagt Dr. Sebastian Bartsch, Teamleiter für „Intelligente Kinematiken“ am Robotics Innovation Center (RIC) des DFKI in Bremen. Der Informatiker, der seit Gründung des Bremer DFKI-Standorts 2006 am Institut arbeitet, entwickelt mit seinem Team die intelligente Steuerung und Kontrolle der einzelnen Motoren und Gelenke eines Roboters. Für ihn findet gerade ein Paradigmenwechsel statt: Denn heute müssen Roboter in der Produktion noch mit Schutzzäunen umspannt werden, da sie nicht auf ihre Umgebung reagieren. Eine neue Klasse von Robotern wird jedoch genau das können.


Die helfende Hand

So wie COMPI: Der Roboterarm lässt sich mit einer Hand mühelos aufhalten, umpositionieren oder in seiner Bewegung unterbrechen. Das verhindert einerseits Verletzungen, andererseits wird der Roboter dadurch zum Helfer. „Der Roboter wird zukünftig die Werkstücke tragen, der Mensch übernimmt dann nur noch die eigentliche Aufgabe, wie zum Beispiel die Montage“, so Bartsch.

Damit wird es dann auch möglich, über Kopf zu montieren, ohne Rückenschäden davon zu tragen. Ein weiterer Vorteil: Der Mensch kann dem Roboter vormachen, wie er eine Bewegung auszuführen hat, damit sie ihm bei der Aufgabe hilft. Einmal vorgemacht, hat er es dann gelernt.

Der Roboter nimmt seine Umgebung wahr

Eine wichtige Fähigkeit in der Fabrik der Zukunft, wo, bedingt durch Individualisierung und geringe Stückzahlen bis zu Losgröße 1, Fertigungslinien flexibel angepasst und häufig umgebaut werden müssen. Noch ein Anwendungsfeld: Montiert auf einem selbstfahrenden Wagen kann der Roboterarm die Kommissionierung im Lager übernehmen.

Für all diese Aufgaben ist millimetergenaue Präzision weniger wichtig – die Wahrnehmung und Interaktion mit sich in Position und Ort verändernden Objekten und Personen und das Lernen von neuen Bewegungsabläufen hingegen umso mehr. „Wir wollen Roboter bauen, die von jedem bedient und für die eigenen Aufgaben benutzt werden können, die Werkzeuge sind, wie heute der Akkuschrauber“, so Bartsch. Ergonomie ist Ziel dieser Anstrengungen: Dem Menschen die Arbeit erleichtern, wodurch sich Produktivität und Leistungsfähigkeit erhöhen.

COMPI ist Teil des Forschungsprojekts FourByThree des DFKI, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, in der Mensch-Roboter-Kooperation neue Maßstäbe zu setzen: Mehr Sicherheit und Flexibilität. Auch weitere Robotersysteme gehören dazu, so etwa ein Exoskelett, das die Fernsteuerung von Robotern ermöglicht.


Forschung für die Smart Factory

Praktische Roboteranwendungen sind jedoch nicht alleiniges Forschungsfeld des DFKI RIC. Denn ebenso wichtig wie funktionierende, sichere Roboterarme ist deren Einbettung in den gesamten Unternehmensablauf. „Das führt direkt zu Industrie 4.0“, sagt Bartsch. Mit dem Forschungsprojekt HySociaTea oder auch „Hybrid Social Teams for Long-Term Collaboration in Cyber-Physical Environments” versuchen deutschlandweit Forschungsbereiche des DFKI gemeinsam die Fabrik der Zukunft zu realisieren: Vom Verkaufsgespräch, das durch virtuelle Agenten – künstliche Intelligenzen, die beraten und empfehlen können – unterstützt wird, bis zur voll digitalisierten Produktion mit Robotern als Helfern. Der Grundgedanke in HySociaTea ist, dass in zukünftigen Produktionsumgebungen Roboter und virtuelle Agenten zusammen mit Menschen in einem Team zusammenarbeiten, welches dann flexibel auf die jeweiligen Anforderungen reagieren kann. Das Bremer RIC trägt dazu die Robotertechnik bei.

Interdisziplinäre Teams

Bis zur vollständig intelligenten Fabrik sind jedoch noch einige Hürden zu nehmen. Ein großes Forschungsfeld der Bremer Roboterexperten ist das Thema Akzeptanz. Denn hier möchte niemand die „Fabrik ohne Arbeiter“ schaffen. „Uns geht es darum, wie der Roboter den Menschen unterstützen kann, nicht ersetzen. Wir haben deshalb auch Psychologen und Biologen im Team, die untersuchen, wie Menschen am besten mit Robotern interagieren“, erzählt Bartsch weiter.

Dazu gehören Fragen wie: Wie können Roboter Mimik und Gestik verstehen? Sind Sprachanweisungen oder Gesten besser geeignet, um eine Aufgabe zu vermitteln? So kann etwa „COMPI“ Bewegungsabläufe erlernen, indem man den Roboterarm entsprechend bewegt. Eine weitere Herausforderung ist das Gewicht. Denn um den Menschen nicht unabsichtlich zu verletzen, dürfen nur bestimmte Maximalgewichte bewegt werden. „Je leichter der Roboterarm selbst ist, umso besser“, sagt Bartsch, denn dann kann das Gewicht der Last steigen.


Den Mittelstand im Blick

Neben Benutzerfreundlichkeit und Vielseitigkeit gibt es noch eine Anforderung an Robotergesellen, die das Team um Bartsch bedenken muss: Die Kosten. Denn gerade im Mittelstand sind Robotersysteme eine große Investition. „Die Krux ist es, den Mittelweg zu finden zwischen Lösungen, die sich umsetzen lassen und solchen, die bezahlbar sind“, so Bartsch.

Hilfe kommt dabei aus ungewohnter Richtung: Aus der Unterhaltungsindustrie. Während vor wenigen Jahren zum Beispiel eine Objekterkennung im Raum nur mittels Lasermessung möglich gewesen wäre – jedes System kostet mehrere zehntausend Euro – kann das heute auch die Bewegungserkennung „kinect“ aus der Spielekonsole xbox. Die kostet nur 150 Euro pro System und ist für die Mensch-Roboter-Kooperation dennoch genau genug, um Industriestandards zu erfüllen.

Robotik – ein Baustein von Industrie 4.0

„In fünf bis zehn Jahren werden wir den nächsten Schritt in der Mensch-Roboter-Kooperation erleben, dann werden die großen Hersteller diese Systeme im Alltag einsetzen“, prognostiziert Bartsch. Der Mittelstand wird in den folgenden Jahren dann schnell nachziehen, auch, weil die Preise für die Robotersysteme mit steigenden Produktionszahlen fallen. In diesem Sinne begrüßt Bartsch auch die Begeisterung um das Thema „Industrie 4.0“, weil es das Interesse an der Robotik immens gesteigert hat. Durch neue Robotersysteme sieht er, in Zusammenhang mit Technologien wie dem 3D-Druck und virtuellen Agenten, die Chance, Produktionen aus Billiglohnländern wieder nach Deutschland zu verlagern. Um ein Bild zu malen: In der Fabrik der Zukunft werden einerseits Roboter völlig autonom arbeiten, wie auch heute schon, andererseits Menschen Hand in Hand mit Robotern Aufgaben erledigen. Durch Losgröße 1 müssen stetig neue Wege und Lösungen für Herausforderungen in der Produktion gefunden werden, für die Menschen Roboter anleiten und immer wieder neu ausrichten werden.

Mehr zum DFKI RIC auf dem Institutsprofil





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