Künstliche Intelligenz in der Immobilienwirtschaft
ImmobilienstandortKI und Bauwirtschaft
Kann die Immobilienbranche ihren aktuellen Herausforderungen wirksam mit KI begegnen? Ansichten und Einsichten aus einer Fachtagung, zu der die WFB lokale Unternehmen mit renommierten Expertinnen und Experten ins Gespräch brachte.
„Die Chancen, die KI bietet, sind enorm“, sagte Andreas Heyer, Vorsitzender der Geschäftsführung WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH. Dennoch würden viele Unternehmen KI noch nicht einsetzen, obwohl die Technologie schon recht weitverbreitet sei. Heyer führte eine aktuelle Studie des Branchenverbandes Bitkom an, nach der zurzeit erst etwa 28% der deutschen Unternehmen angaben, künstliche Intelligenz im Einsatz zu haben. Der Nutzungsanteil liegt demnach in der Industrie und im Gesundheitswesen etwas höher, „während der Einzelhandel und das Bauwesen hier noch Nachholbedarf haben.“
Die Digitalisierungsstudie 2024 des Zentralen Immobilien Ausschusses (ZIA) kommt zu dem Ergebnis, dass 54% der befragten Branchenmitglieder sich in Sachen KI noch „in der Orientierungsphase“ befänden, „KI-Exzellenz in der Immobilienwirtschaft“ scheine „nur in Ausnahmefällen (4%)“ erreicht zu werden.
Ein Grund für die zögerliche Haltung sei, so Heyer, „dass die Implementierung von KI technisches Know how und Infrastruktur erfordert, die besonders kleinen und mittelständischen Unternehmen oft fehlen.“ Zudem gebe es Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit und des Datenschutzes. Heyer: „Viele Unternehmen zögern, weil sie die Risiken noch nicht abschätzen können. Und schließlich herrscht in manchen Branchen Unsicherheit über den konkreten Nutzen von KI, weil praxisnahe Anwendungsbeispiele noch fehlen.“
Hohes Potenzial für Anwendungen
Aktuelle Marktanalysen zum Thema ‚KI in der Immobilienwirtschaft‘ wie die der Buxtehuder Hochschule 21 kommen zu dem Ergebnis, dass mehr als zwei Drittel der üblichen Tätigkeiten der Branche Potenziale für KI-Unterstützung bieten. Zu den Anwendungsgebieten zählen technische Büroabläufe wie Dokumenten- und Datenmanagement, Reporting, Mahnwesen und Buchhaltung, dazu Portfolio-Analyse und -Controlling, das Bau- und technische Immobilienmanagement sowie die Stadt- und Objektplanung.
45 Prozent der befragten Unternehmen gaben an, KI sei relevant, aber es gebe noch keine konkreten Panungen für den Einsatz, sechs Prozent bestätigen, dass KI schon im Regeleinsatz sei, wie Marion Peyinghaus, Architektin und Professorin für Immobilienmanagement und Projektentwicklung an der Buxtehuder Hochschule 21 berichtet.
Beliebte KI-Anwendungen
Um herauszufinden, welche KI-Anwendungen von hiesigen Unternehmen der Immobilienbranche als besonders relevant eingestuft werden, hat Prof. Peyinghaus von der Buxtehuder Hochschule 21 einschlägige Marktuntersuchungen vorgenommen. Zu den präferierten Anwendungen zählen demnach Sprach- oder Textassistenten, Tools zur Datenanalyse oder Prozessautomatisierung. aber auch KI Systeme, die virtuelle Realitäten erstellen.
„Die größten Potenziale der KI werden dem Dokumentendatenmanagement und dem Reporting zugeschrieben. Dann folgt das Mahnwesen, ein Teilprozess aus der Gruppe Buchhaltung, die insgesamt ein hohes KI Potenzial aufweist. Und auf Platz Nummer fünf folgt die Portfolioanalyse bzw. das Portfoliocontrolling“, erläuterte Peyinghaus. Zu den Leistungen „mit eher etwas geringerem Potenzial“ gehören laut Marktanalyse hierzulande Prozesse aus dem Bereich Baumanagement oder dem technischen Immobilienmanagement wie beispielsweise der Rohbau oder Ausbau, Baumaßnahmen oder auch beim Rückbau bzw. und beim Recycling.
Impulse aus dem Silicon Valley (USA)
Tim Ole Jöhnk, Experte für Innovationen im Silicon Valley und Kontaktmann vor Ort für Bremen sowie für die norddeutschen Bundesländer, skizziert, auf welche KI-Themen sich die Immobilienbranche im kalifornischen HighTech-Hotspot derzeit fokussiert:
Laut Jöhnk betrugen die Investitionen für Innovationen im Sektor PropTech (Abkürzung für engl. ‚Property Technology‘: innovative Technologien und digitale Lösungen in der Immobilienbranche) bereits 2021 mehr als 24 Milliarden US-Dollar, was den höchsten Wert seit Beginn der Aufzeichnungen darstellte. Dabei stehen, so Jöhnk, aktuell vier Themen im Vordergrund:
Customer Engagement (die Interaktion mit Kunden)
zum Beispiel Chatbots für die automatisisierte Abwicklung von Kunden- und Mieteranfragen, KI-gestütztes Management von Wartungsaufträgen;
Creation (das Erstellen von Inhalten)
KI-gestützte Visualisierung und Vermarktung von Immobilien-Flächen; mit textbasierten Prompts können Räume umgestaltet und Vorschläge für passende Einrichtungsgegenstände visualisiert werden. Durch eine Integration auf dem Backend von Immobilienanbietern/-Betreibern und Möbelhäusern können Kundinnen und Kunden die passende Einrichtung gleich mitkaufen;
Concision (Zusammenführen, Synthese und Analyse von Daten)
Verarbeitung einer Vielzahl von Daten aus unterschiedlichen Quellen wie (Leasing-) Veträgen, Mietspiegeln, sozialen Vorgaben, Bauvorschriften, Vorgaben zum Naturschutz, Zensusdaten u.a.m.. Die Zusammenschau kann bestehende Portfolios transparent machen oder auch mögliche Investitionsziele vorab analysieren.
Coding Solutions (Erstellung von neuen Tools für die Bau und Immobilienwirtschaft)
Bei der Kombination von IoT (engl. Abkürzung für ‚Internet of Things‘, die Ausstattung physischer Objekte mit Sensoren, Software und anderen Technologien, um sie mit anderen Geräten und Systemen zu verbinden und Daten auszutauschen) und KI geht es darum, Sensoren im Gebäude zu nutzen, etwa für Laufweg-Analysen, für die Messung der Auslastung von Konferenzräumen oder Büros, gepaart mit Kundenzufriedenheit bzw. mit Feedback von Angestellten vor Ort, um die Planung für neue Flächen zu optimieren.
Zum Aufgebot der ausgewiesenen Expertinnen und Experten zählt auch Olga Rimskaia Korsakova, verantwortlich für Geschäftsfeld-Entwicklung und Partnerschaften bei der Beratungsfirma planen-bauen 4.0 GmbH, für die sie Digitalisierungs- und KI-bezogene Transformationsprozesse begleitet. Ihre Marktstudien hätten gezeigt, dass fast die Hälfte von 500 befragten Immobilienunternehmen (47 Prozent) gewillt seien, KI bei der Optimierung ihrer internen Prozesse einzusetzen, 41 Prozent wollten mit KI ihre Kunden-Leistungen verstärken, 12 Prozent ihre Produkte.
Künstliche Intelligenz wird auch BIM verändern
Ein weiteres großes Thema sei BIM Building Information Modeling (Modellierung von Bauwerksdaten für die vernetzte Planung, den Bau und die Bewirtschaftung von Gebäuden und anderen Bauwerken, wodurch ein virtuelles Modell entsteht). Korsakova: „Seit über zehn Jahren bereits ist BIM eines der wichtigsten Digitalisierungsthemen für die Bau- und Immobilienbranche. Und was sehen wir nun? Laut der Umfrage wird KI auch BIM verändern, 67% der Antworten weisen darauf hin, und 21% der Befragten sagen uns sogar, dass KI BIM ganz ersetzen wird.“
Olga Rimskaia Korsakova von der Beratungsfirma planen-bauen 4.0 GmbH skizziert einen Leitfaden für den Einstieg in KI-Verfahren für Immobilienunternehmen:
Es empfehlen sich zehn große Maßnahmenbereiche:
Eine Roadmap zur erfolgreichen KI-Einführung
- Ziele: Wir wollen wissen, was wir erreichen möchten.
- Daten: Organisieren Sie Ihre Daten, meistern Sie Ihre Datenanalyse, und suchen Sie ständig nach neuen Datenquellen.
- Kompetenzen und Jobs: Sie werden neue Rollen aufbauen wollen, und Sie werden auch neue Spezialisten benötigen. Nicht alle diese neuen Kompetenzen müssen vom Außenmarkt eingeholt werden, auch interne Weiter- und Ausbildungsprogramme sind hier sehr hilfreich.
- Tools: Wie jede Technologie kommt KI auch durch passende Werkzeuge zum Tragen. Also beschaffen Sie sich diese Instrumente und lernen Sie, mit denen umzugehen.
- Partner: Sie werden auch ein neues Ökosystem von Partnern benötigen. Deswegen vernetzen Sie sich jetzt schon aktiv in diesem Umfeld.
- Prozesse: Stellen Sie Ihre Prozesse auf digitale Weise um und integrieren Sie die KI auch in die bestehenden Prozesse.
- Struktur: Sie sollten KI in Ihrer Organisation, in Ihrem Unternehmen vorantreiben. Sie brauchen soetwas wie ein ‚KI Leadership Zentrum‘. Bauen Sie die entsprechende Struktur auch intern auf.
- Mentalität: Dieses Thema steht ganz hoch auf der Aufgabenliste. Sie benötigen wirklich ständige Aufmerksamkeit und kontinuierliche Investitionen.
- Start: Kommen Sie sofort ins Doing und starten Sie ein KI Pilotprojekt.
Komplexe Anforderungen
Die Anforderungen an Projektentwickler, Bauplaner und Architekten sind oft komplex und variantenreich. Die Kundschaft möchte individuell bedient werden, jedes Projekt erfordert spezifische Anpassungen in puncto Grundrissen, Technikausstattung, äußerer Gestaltung, funktionaler Gliederung, der Einbettung in vorhandene Strukturen etc. Hinzu kommt, dass Vorgaben und Standards aus dem Baurecht (Land - Bund - EU) berücksichtigt werden müssen, dazu Aspekte der Mobilität und des Naturschutzes sowie energietechnische Gesichtspunkte.
KI-gestützte Entwurfs- und Planungsprozesse
Architekt Eike Becker demonstriert, wie der oft erdrückenden Vielfalt der Planungs- und Entwurfsparameter mit geeigneter Software beizukommen ist. Sein Rezept: Den Prozess des BIM Building Information Modeling mit Künstlicher Intelligenz fit machen für die Berücksichtigung der Vielfalt der Planungs- und Entwurfsparameter. Im Ergebnis entstehen virtuelle Modelle, die nicht nur als nahezu perfekte realistische Simulationen überzeugen, sondern die auch mit wenigen Mausklicks ohne langwierige Vorarbeiten minutenschnell zu variieren sind.
Für den Architekten Eike Becker liegen die Vorteile eines KI-gestützten Planungs- und Entwurfsprozesses auf der Hand: „Wir werden innerhalb relativ kurzer Zeit viel mehr Optionen ausprobieren können, und wir brauchen dafür möglicherweise weniger Personen. Wir kommen so innerhalb einer kürzeren Zeit zu besseren Grundrissen und zu tieferen Planungsergebnissen, als wir uns das bisher über die Dauer von Monaten hart erkämpft haben.“
Kooperationen können sinnvoll sein
Um diesem Ziel näher zu kommen, empfiehlt Becker Kooperationen: „Ein einzelnes Architekturbüro wird das wahrscheinlich nur in den seltensten Fällen schaffen. Dazu müssten sich vielleicht zehn oder 20 Architekturbüros zusammentun. Auch Teams zu bilden mit Projektsteuerern, Auftraggebern und Ingenieuren kann sinnvoll sein.“
Mit einer speziellen Software könnten dann Planungs- und Managementprozesse optimiert, Terminpläne miteinander verbunden, Protokolle mit anderen Protokollen sowie mit To-Do-Listen und Plänen vernetzt werden. Becker: „So ließe sich eine ganze Menge Arbeit sparen, für die heute noch geradezu astronomische Stunden aufgewendet werden.“ Sind die jeweiligen baurechtlichen Vorgaben in die Software eingepflegt, ließen sich so nicht nur komplizierte Planungen und Arbeitsschritte zur Umsetzung verkürzen, sondern ‒ Traumziel vieler Beteiligter ‒ genehmigungsfähige Unterlagen mit weniger nervigen und zeitfressenden Anpassungsarbeiten erstellen.
Geeignete Prozesse finden und Daten bereitstellen
Für die Erwartung, KI werde bald wie durch einen Zauberstreich Ordnung und Struktur in den Planungs- und Koordinierungsdschungel am Bau bringen, hatten Prof. Dr. oec. Marion Peyinghaus von der Hochschule 21 und weitere Expertinnen und Experten während der Immobilien-Fachtagung auch einen ‚spoiler‘, sprich Ernüchterung parat.
Zwar sei es schon heute ziemlich einfach, sich im Alltag bei üblichen Routinen - etwa bei der Kommunikation mit Mietern - durch einschlägige KI-Programme wie Textprogrammne oder Chatbots unterstützen zu lassen. Weitergehende Prozesse stellten jedoch schnell höhere Anforderungen und erforderten ein systematisches Vorgehen.
„Welche Prozesse sind denn eigentlich geeignet? Idealerweise suchen Sie nach Prozessen, zu denen Sie auch schon eine gute Datenqualität haben, denn KI-Systeme brauchen Daten, um trainiert zu werden“, unterstrich die Wissenschaftlerin. Peyinghaus riet den Unternehmen dazu, Prozeduren zur Einführung von KI zunächst an geeigneten und überschaubaren Beispielen auszuprobieren, um anschließend ökonomisch sinnvolle und überschaubare Entscheidungen über größere Projekte treffen zu können.
Einstieg mit kleineren Anwendungen
„Durch dieses Ausprobieren, das ja ein Zusammenführen von KI Systemen mit dem eigenen Datenbestand im Unternehmen ist, werden Sie ein Gefühl dafür entwickeln, was in Ihrem Unternehmen möglich ist. So können Sie entscheiden, wo die Implementierungskosten heute noch zu hoch sind, weil die Programmierung und das Anlernen der KI vielleicht zu umfangreich sind, oder einfach nur, weil Ihr eigener Datenbestand noch nicht ausreicht.“
Vielen Immobilien-Expertinnen und Experten dürfte Prof. Dr. Johannes Busmann mit seinem Fazit aus der Seele gesprochen haben, das er zum Abschluss der Veranstaltung zur Zukunft der KI in der Immobilienwirtschaft formulierte: „Das zentral Spannende scheint zu sein“, so der Geschäftsführer des Verlags Müller + Busmann, Herausgeber des polis-Magazins und spiritus rector der Polis Keynotes, „dass wir uns darauf einlassen müssen, dass (…) KI ein Instrument werden wird für uns, um die Komplexität wieder beherrschen zu können, (…) dass wir also unsere Vorstellungen von Bauen und gebauter Umwelt wieder so artikulieren können, dass dieses Instrument uns zum Ziel führt.“
Erfolgsgeschichten
Theoretische Physikerin, industrielle Mathematikerin, Managerin – als Mitglied des Start-ups TOPAS schafft Dr. Shruti Patel Innovationen in Bremen. Als Frau in der IT war es nicht immer leicht für sie, als Vorbild wahrgenommen zu werden.
Mehr erfahrenÜber eine Million Userinnen und User haben sich das Reel zur Debüt-Single von Ben Gaya auf Instagram angeschaut. Das Besondere: Ben ist ein mithilfe Künstlicher Intelligenz generierter Sänger – er existiert nur virtuell. Entwickelt hat den singenden Avatar die Bremer Marketingagentur construktiv, um neue Online-Werbestrategien auszutesten.
Mehr erfahrenDas „Zukunftsquartier Piek 17“ ist die letzte freie Entwicklungsfläche in der Bremer Überseestadt und umfasst 16 Hektar. An der sogenannten Hafenkante sollen innovative Lösungen für urbane, gewerbliche und kulturelle Anforderungen zusammenkommen, um einen modernen und zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort zu schaffen. Was diesen Ort besonders reizvoll macht, erläutern Dr. Valerie Hoberg und Sven Jäger im Interview.
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