„Wir müssen uns die Frage stellen: Wie kann unser Gesundheitssystem bezahlbar bleiben?“
Digitalisierung / Industrie 4.0Symposium „AI in Health“ zeigt Bremen als Leuchtturm für KI im Gesundheitswesen
Künstliche Intelligenz bietet dem Gesundheitswesen riesiges Potenzial. In Bremen gibt es eine starke Kombination aus Forschung und Entwicklung im Bereich „KI und Medizin“, die neue Wege weist.
Diese Überzeugung vertritt Professor Horst K. Hahn, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medizin MEVIS und Sprecher des Leitprojekts KI in der U Bremen Research Alliance. Die Forschungsallianz, in der die Universität Bremen und zwölf Institute der bund-länder-finanzierten außeruniversitären Forschung kooperieren, ist Veranstalterin des mittlerweile dritten Bremer Symposiums „AI in Health“, das am 2. und 3. Dezember 2024 zum gemeinsamen Diskutieren über die Chancen der KI im Gesundheitswesen aufruft.
Im Interview gibt uns Professor Hahn einen Einblick in die Schwerpunkte des Symposiums, aber auch einen Überblick über die Bremer Stärken auf diesem Gebiet.
Herr Professor Hahn, wir alle werden spätestens Anfang 2025 an unserer Lohnabrechnung merken: Die Beiträge für Pflege- und Krankenversicherung steigen anscheinend unaufhaltbar. Sie vertreten die Ansicht, dass die KI Kosten senken kann…
Professor Horst K. Hahn: Schon heute ist erkennbar, dass das Gesundheitssystem an Grenzen stößt, was die Bezahlbarkeit angeht. Und dabei kommt die volle Wucht des demographischen Wandels erst noch. Wir müssen deshalb konsequent handeln, um Anreize und Wege für eine bezahlbare und gleichzeitig hochwertige Gesundheit zu produzieren. Es geht dabei etwa um die Frage: Wie kann Prävention dazu beitragen, dass Kosten reduziert werden, und wie kann KI hier zum Durchbruch verhelfen?
Denn die Kosten für Früherkennung und Prävention sind mitunter erheblich niedriger als die Behandlung und klinische Versorgung im Nachhinein. Und hier bietet die KI uns neue Möglichkeiten.
Wo sehen Sie die Stärken der KI in der Vorsorge?
Die KI wird dort viel Nutzen stiften, wo komplexe Daten oder mehrere Parameter gleichzeitig ausgewertet werden müssen. Etwa in der Krebsfrüherkennung, wenn es darum geht, hunderte Schnittbilder einer Computertomographie auszuwerten und mit älteren Aufnahmen zu vergleichen, um Veränderungen über Zeit zu erkennen. Detektieren, klassifizieren, Änderungen millimetergenau aufspüren, repetitiv nach der Nadel im Heuhaufen suchen, ohne Fehler – da zeigt die KI ihre Stärken.
Gibt es da schon Beispiele aus der Praxis?
Es gibt heute bereits etablierte Screening-Programme, wie etwa die Mammographie, die für alle Frauen ab 50 angeboten wird. Das ist bedeutsam, weil man so Krebs früher erkennen kann und die Gesamtmortalität gesenkt wird. Aber man kann diese Programme noch erheblich verbessern, das haben jüngst Studien in Schweden und Dänemark gezeigt.
In der Mammographie gab es dort einen Durchbruch, wo der Einsatz einer hochwertigen KI zur Brustkrebserkennung eine Sensitivitätssteigerung von knapp 30 Prozent ergeben hat. Das ist ein echter Quantensprung. Gleichzeitig sinkt mit der KI nachweislich der Befundungsaufwand – das heißt, dass Ärztinnen und Ärzte durch KI-Unterstützung deutlich mehr Fälle in der gleichen Zeit befunden können. Damit können wir auf der einen Seite Krebs früher erkennen, sparen auf der anderen Seite Arbeitszeit und Geld und wirken dem Ärztemangel entgegen. Das sehen wir auch an anderen Stellen.
Wo?
Auch bei anderen Krebsdiagnosen wie Lungenkrebs oder Prostatakrebs unterstützt die KI bei der Erkennung, vor allem durch die unermüdliche Auswertung radiologischer und pathologischer Bilddaten, sowie etwa in der Strahlentherapie, bei der Risikostrukturen im Rahmen der Therapieplanerstellung automatisch erfasst werden. Zudem gibt es noch viele andere Bereiche, ob nun bei der Spracherkennung, wenn eine Ärztin oder ein Arzt einen Befund diktiert, im Labor oder in der Verwaltung. Die Beispiele werden immer zahlreicher, auch was die Arbeiten hier aus Bremen betrifft.
Was macht Bremen denn so besonders?
In der Gesundheitsversorgung gibt es aktuell einen starken Trend zur Integration und Interdisziplinarität. Die Fachbereiche wachsen zusammen. Das sieht man zum Beispiel an den Sektoren Prävention, klinische Versorgung, Nachsorge und Gesundheitsmanagement.
Das passt hervorragend zu Bremens Stärken. Durch seine Gesamtkompetenz an Gesundheitsforschung, Epidemiologie, Biostatistik, digitaler Medizintechnik gepaart mit einer geballten KI-Kompetenz hat sich Bremen ein exzellentes Spektrum an ineinandergreifenden Fähigkeiten erarbeitet. Wir sind damit ein Leuchtturm geworden im Bereich „KI und Healthcare“.
Und deshalb auch das Symposium?
Ja, genau. In Bremen sind mehrere Linien zusammengekommen, ohne, dass es vorher so geplant war. Das Fraunhofer MEVIS, wo wir uns gerade befinden, ist vor dreißig Jahren quasi auf der grünen Wiese gegründet worden. Es gab damals kaum Forschung im Bereich der digitalen Medizintechnik in Bremen. Später kam Professorin Tanja Schultz nach Bremen mit dem Cognitive Systems Lab (CSL) und ihren Schwerpunkten auf Biosensoren und kognitive Systeme. Parallel dazu hat sich der Bremer Standort des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz DFKI entwickelt, mit dem Schwerpunkt auf Robotik. Und die älteste der hier relevanten außeruniversitären Institutionen ist das bereits Anfang der 80er Jahre gegründete Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie - BIPS. Gerade in den letzten zehn Jahren hat sich auch das BIPS zunehmend für die Fragen des maschinellen Lernens und der KI engagiert. Seit fast fünf Jahren sind wir von der Uni und MEVIS mit dem BIPS zudem über den Leibniz-WissenschaftsCampus Digital Public Health eng verbunden.
Die strategische Klammer bildet hier in Bremen die U Bremen Research Alliance – zunächst nur ein lockerer Konsortialkreis, der mit der Zeit enger zusammengerückt ist und heute zum Beispiel mit Unterstützung des Landes Bremen neun Forschungsprojekte im Bereich „KI und Gesundheit“ auf den Weg gebracht hat, innerhalb des so genannten „AI Center für Health Care“. Die Idee war, dass wir kooperative Projekte schaffen, die als Bedingung immer von mehreren Instituten getragen werden, sodass neue Verbindungen und Synergien entstehen. Und daraus wurde das Symposium geboren.
Was erwartet Besucherinnen und Besucher am 2. und 3. Dezember? Ist es eine reine Fachveranstaltung?
Wir richten uns an Forschende und Studierende, Ärzt:innen und junge Unternehmer:innen, aber auch an Verbände, Vereine und Aktive aus Politik und Behörden sowie die interessierte Allgemeinbevölkerung. Der erste Tag steht im Zeichen der regionalen Vernetzung, während wir uns am zweiten auf gesundheitspolitische Fragestellungen von nationaler Bedeutung konzentrieren.
Wir wollen die Sichtbarkeit der großartigen Beiträge aus Bremen erhöhen und besonders unsere Stärke an der Schnittstelle „Technologien für Prävention“ und „kosteneffiziente, bezahlbare Gesundheitsversorgung“ im Dialog weiterentwickeln.
Über das Bremer Symposium „AI in Health“
Um neueste Entwicklungen und innovative Ansätze im Bereich der Künstlichen Intelligenz geht es beim Symposium „AI in Health“. Auf der Tagesordnung für Montag, 2., und Dienstag, 3. Dezember, stehen zahlreiche Sessions, unter anderem zu Digital Public Health, Herausforderungen durch den AI Act, von der Früherkennung bis hin zu Robotik und Rehabilitation. Am Montagabend bietet eine i2b-Veranstaltung nach den Sessions eine ideale Gelegenheit zum Netzwerken und Austausch in entspannter Atmosphäre. Das Symposium schließt am Dienstag mit einer Podiumsdiskussion mit der Leitfrage „Künstliche Intelligenz für nachhaltige Gesundheit und Resilienz?“.
Speaker sind unter anderem:
- Prof. Dr. Lars Schaade, Präsident des Robert Koch-Instituts
- Prof. Dr. Gitta Kutyniok, Professorin für Mathematische Grundlagen der Künstlichen Intelligenz, Ludwig-Maximilians-Universität München
- Prof. Dr. Ralf Kuhlen, Chief Medical Officer der Fresenius Group
- Prof. Dr. Gerhard Hindricks, Kommissarischer Klinikdirektor der Charité Universitätsmedizin Berlin
Programm und Anmeldung: https://www.bremen-research.de/ai-in-health
Wenn Sie von Kostenreduzierung durch KI reden, heißt das dann auch, dass Ärztinnen und Ärzte in Zukunft arbeitslos werden könnten?
Im Gegenteil – das wäre zu einfach gedacht. Die KI ist in erster Linie ein Werkzeug, welches in komplexen Situationen hilft, optimale Entscheidungen zu treffen. Sie hilft dort, wo die menschlichen Fähigkeiten aufhören – etwa große Datenmengen zu erfassen und relevante Muster darin zu erkennen, oder wo menschliches Handeln fehleranfällig wird, etwa bei repetitiven, ermüdenden Aufgaben. Die Entscheidungsprozesse liegen letztlich immer noch beim Menschen, sind dann aber treffsicherer. Und die Handelnden können sich denjenigen Fragen zuwenden, wo noch keine KI die Antwort weiß. Wir sparen mit besserer, präziserer Prävention am Ende vor allem durch weniger unnötige Therapien und zu spät gestellte Diagnosen.
Was wünschen Sie sich für den Standort KI in Bremen in Zukunft?
Wir haben manchmal wenig Geld in den Kassen, aber kurze Wege und überdurchschnittlich viele intrinsisch motivierte Menschen in Bremen. Wer hier nach Bremen kommt, der will etwas beitragen. Und das ist eine Stärke. Ich wünsche mir, dass wir an uns glauben, noch enger zusammenarbeiten und das nötige Vertrauen von Partnern erhalten, um künftige Herausforderungen gemeinsam zu überwinden.
Vielen Dank für das Gespräch!
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