Sven Hermann, was ist eigentlich New Work?
Digitalisierung / Industrie 4.0Die Zukunft der Arbeit: Große Mitmach-Konferenz in Bremen geplant
New Work, Arbeit 4.0, Coworking, Homeoffice – viele Schlagwörter fallen, wenn wir über den Wandel der Arbeitswelt sprechen. Was hat es mit ihnen auf sich? Und ist New Work für jeden etwas?
Diese Fragen stellen wir Sven Hermann. Der 42-jährige ist Gründer des Bremer Beratungsunternehmens ProLog Innovation GmbH und Professor an der NBS Northern Business School, er begleitet New-Work-Vorhaben und Digitalisierungsprozesse, vor allem in der Logistikbranche. Zudem betreut er die LogistikLotsen-Initiative, die ebenso neue Antworten für die Herausforderungen der Arbeit der Zukunft sucht.
Sven Hermann, New Work, was ist das eigentlich?
Hermann: Bei New Work geht es im Kern um Sinnsuche und eine andere Mentalität, um die Frage: Was erwarten wir künftig von Arbeit? Das Konzept diskutiert diese Frage auf drei verschiedenen Ebenen:
Die erste ist eine Art globale Wachstumskritik. Muss Wachstum immer im Mittelpunkt des Wirtschaftens stehen? Muss es immer weiter, höher, schneller gehen? Oder gibt es nachhaltige Alternativen? Kann zum Beispiel zirkuläres Wirtschaften das Dekret des Mehrs unserer Leistungsgesellschafft auflösen? New Work hat auch viel mit Nachhaltigkeit zu tun.
Die nächste Ebene ist die kollektive. Hier geht es um die Frage, wie eine Organisation sich verändern soll und muss, welche Rahmenbedingungen sie stellt, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Lernen, zum flexiblen und selbstbestimmten Arbeiten anzuleiten. Und wie sie es schafft, dass Angestellte sich einbringen können und motiviert bleiben.
Die dritte Ebene ist individueller Natur: Wie kann eine Person in der heutigen Welt stetig dazulernen, sich motivieren und sich begeistern für die Veränderung um sie herum? Wie kann sie eigenverantwortlich agieren?
Warum kommen diese Themen gerade jetzt auf?
Hermann: New Work ist nicht neu, das Konzept gibt es schon seit Jahrzehnten. Mit der Digitalisierung wird es aber aktuell. Durch die neuen Technologien fallen viele Aufgaben und Berufe weg, gleichzeitig wird die Welt immer dynamischer und schneller. Zudem verändert der demografische Wandel die Zusammensetzung unserer Gesellschaft. Unsere alten Arbeitsgewohnheiten passen vielerorts nicht mehr in diese neue Welt.
Das alles führt daher zu der Frage, wie Arbeit in Zukunft aussieht: Wer arbeitet noch? Ist genug Arbeit für alle da? Warum machen wir die Arbeit, die wir machen? Welche Fähigkeiten brauchen wir in Zukunft? Diese Fragen stecken hinter New Work.
Kommt das Thema auch aus der Digitalwirtschaft?
Hermann: Zum Teil. Die großen Techunternehmen, ob Amazon, Google oder Facebook, haben es geschafft, innerhalb kürzester Zeit extrem groß zu werden. Das hat das Interesse geweckt von vielen, die sich gefragt haben: Wie arbeiten die Leute da, was ist die Ursache für den Erfolg? Was können wir davon lernen? Und die Digitalisierung rückt auf eine gewisse Art auch das Menschsein in der Arbeit wieder mehr in den Fokus. Was automatisiert werden kann, wird automatisiert werden. Die persönliche Potenzialentwicklung, dass was uns als Menschen ausmacht, darum geht es bei New Work.
Welche Techniken sind das, die von den Techunternehmen übernommen wurden und Eingang in New Work finden?
Hermann: Neben Coworking, Innovation Labs und Homeoffice, also insbesondere den Orten von Arbeit, geht es vor allem um Methoden, die, wie zum Beispiel „Scrum“, aus der Softwareentwicklung kommen. Man hat festgestellt, dass traditionelles Projektmanagement heute nicht schnell genug ist, die Realität oft langfristige Planungen überholt. Scrum arbeitet in kurzen Zeitabschnitten, iterativ, kann also schnell angepasst werden.
Das passt gut zur schnelllebigen Welt von heute, wo feste Budgets, feste Termine und feste Planungen nicht mehr funktionieren. In traditionell organisierten Unternehmen wird dem Hinterfragen zu wenig Raum gegeben, es gibt zu wenige Möglichkeiten, zu reagieren.
Weitere Themen sind etwa die starke Kundeneinbindung, Kunden werden heute Teil eines Projekts, entwickeln mit. Dabei kommen Methoden wie Design Thinking zur Anwendung. Hier wird auch der Arbeitsraum selbst als wichtiger Faktor wahrgenommen: Wie ist er gestaltet? Muss ich mal raus, um neue Eindrücke zu gewinnen? Hinzu kommen neue, spielerische Techniken, wie zum Beispiel Lego Serious Play als Kreativmethode.
In vielen klassischen Berufen – ob am Band oder an der Ladentheke – gibt es nicht die Möglichkeit, flexibel zu arbeiten oder Homeoffice zu machen. Ist New Work nur ein Thema für eine sehr spezielle Berufsgruppe?
Hermann: Natürlich fokussiert es sich auf gewisse Arten von Tätigkeiten. Ich kann nur flexibel von unterwegs arbeiten, wenn ich nicht am Arbeitsort anwesend sein muss. Je weniger frei und kreativ meine Arbeit ist, desto weniger brauche ich auch New Work.
Aber: Klassische Tätigkeiten sind besonders prädestiniert dafür, automatisiert zu werden. Roboter und künstliche Intelligenzen werden in Zukunft viele dieser Jobs übernehmen. Übrig bleiben Aufgaben, in denen freier, sozialer und kreativer als bisher gearbeitet wird, wo Menschen stetig individuelle Lösungen und Wege finden müssen.
Wie findet New Work seinen Weg ins Unternehmen? Fordern das die Beschäftigten ein oder geht es von den Unternehmen aus, die merken, dass sie anders als bisher auf Herausforderungen reagieren müssen?
Hermann: Es geht von beiden Seiten aus. Einerseits suchen junge Generationen immer mehr nach dem Sinn in ihrer Arbeit. Unternehmen, die neue Herangehensweisen bieten, werden da attraktiver als Arbeitgeber. Es funktioniert aber nur, wenn das Thema auch von oben verstanden und gelebt wird. Ich arbeite mit zahlreichen Mittelständlern zusammen und habe gemerkt: Es braucht eine Grundmotivation auf der Führungsebene, etwas ändern zu wollen und ein Grundverständnis, warum das Thema wichtig ist.
Braucht es dafür eine neue Generation in der Leitungsebene?
Hermann: Die Fragestellung hinter New Work: „Wie gestalte und organisiere ich Arbeit neu?“ ist nicht neu und wurden nicht gerade erst entdeckt. Unter anderem Namen gibt es sie schon lange. Ich habe aber das Gefühl, dass es wesentlich von der nächsten Generation vorangetrieben wird. Das ist die Ebene, die Dinge ändern, anders arbeiten will.
Welche Unternehmen sind es, die sich mit diesen Themen befassen? Eher die, die ohnehin innovations- und entwicklungsnah sind oder ist auch der klassische Handwerksbetrieb darunter?
Hermann: Das ist durchmischt. Oft sind es die Beschäftigten, die eigenständig von neuen Themen hören, neugierig sind und sich dann für Workshops anmelden. So beginnt es mit Ausprobieren – und daraus entsteht dann ein Workshop für die ganze Firma, der von der Geschäftsführung unterstützt wird.
Wie schafft man es, dass neue Methoden nicht nur einmalige Strohfeuer sind, sondern langfristig im Unternehmen Eingang finden?
Hermann: Im ersten Schritt ist es sinnvoll, Dinge in einem spielerischen Rahmen kennenzulernen. Dabei sucht man sich einen Bereich, wo die Empfänglichkeit am Höchsten ist, also die Umsetzung am Leichtesten gelingt. Zum Beispiel durch Gestaltung eines neuen Raums für kreatives Arbeiten oder durch Einführung einer Meetingstruktur.
Es gibt in jedem Unternehmen Kritiker, die keine Lust auf Veränderungen haben. Viele mit gutem Grund, die haben schon mehrfach erlebt, das Externe ins Unternehmen kommen und neues verkünden, ohne dass sich wirklich etwas ändert.
Um ihnen zu begegnen, muss man dort ansetzen, wo die Hemmschwellen gering sind und das Interesse hoch. Wo es einfacher ist, Neues einzuführen. Dazu braucht es auch Impulse und Unterstützung von außen. Weiterbildung sollte zum ständigen Begleiter des Berufslebens werden.
Also keine Begehrlichkeiten wecken, die unbedienbar sind?
Hermann: Ja. Auf der Leitungsebene herrscht häufig der Glaube, dass man mit zwei, drei Workshops sein Unternehmen neu strukturieren kann. Aber so schnell ist es nicht gemacht. Wer sich wirklich verändern will, geht einen intensiven, kontinuierlichen Weg der Veränderung, da sind manche zu blauäugig.
Die Methode muss also zur Unternehmenskultur passen?
Hermann: Ja. Manche Unternehmen sind sehr hierarchisch geprägt, haben starke Führungspersönlichkeiten, wo klar ist, dass diese sich auch nicht ändern werden. Man muss diese Persönlichkeiten berücksichtigen – sonst funktioniert es nicht. Selbstorganisation, Mitbestimmung und Partizipation können dort trotzdem in kleinerer Dosierung funktionieren.
Herr Hermann, vielen Dank für das Gespräch!
Mehr Informationen zu New-Work-Arbeitsprozessen und Kontakt zu konkreten Expertinnen und Experten bei den Logistiklotsen.
Kai Stührenberg
Die Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation
Staatsrat für Häfen
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