Briefe aus dem Silicon Valley: Leben und Arbeiten im Corona-Shutdown
CoronavirusEin Norddeutscher erlebt die Coronakrise in Kalifornien
Die Corona-Epidemie führt auch in den Vereinigten Staaten zu einem kompletten Shutdown des Alltagslebens. Für Tim Ohle Jöhnk, Direktor des Northern Germany Innovation Office (NGIO), einer gemeinsamen Initiative der norddeutschen Bundesländer mit Beteiligung der Wirtschaftsförderung Bremen, bedeutet das einschneidende Veränderungen.
Wir haben ihn gefragt, wie er seinen Alltag organisiert – und wie norddeutsche Unternehmen trotz der Krise die Angebote des NGIO nutzen können.
Tim, in ganz Kalifornien herrscht Ausgangssperre. Wie fühlt sich das für dich an?
Jöhnk: Wie bestimmt für viele andere Menschen in der ganzen Welt ist die derzeitige Situation ungewohnt, beunruhigend und oftmals etwas abstrakt. Wir sind nun seit zehn Tagen von der Ausgangssperre betroffen (gilt noch bis mindestens 7.4.) Damit waren San Francisco und die Bay Area die ersten Gegenden in den USA, die sich zu einem solchen, vor einer Woche noch von vielen als „extrem“ bezeichneten Schritt, entschieden haben. Inzwischen sind alle sehr froh, dass die Kommunen so entschieden haben. Die meisten Menschen in der Gegend um Palo Alto halten sich an die Einschränkungen. Man sieht nur wenige Leute auf der Straße – ein ungewohntes Bild.
Meine Frau und ich wohnen direkt auf dem Stanford Campus. Die Universität hat noch vor den Abschlussklausuren des letztens Quartals die meisten Studierenden nach Hause geschickt. Es ist auch jetzt bereits klar, dass die Uni auch im nächsten Quartal nur online unterrichten wird. Die einzigen Studierenden die auf dem Campus bleiben dürfen sind Graduate Students, also Master und Doktoranden, sowie in einigen Ausnahmefällen auch Bachelor Studierende. Der Campus fühlt sich verwaist an. Meine Frau und ich haben nun unser Esszimmer in unser Büro umgewandelt und machen das Beste aus der Situation. Wir nutzen oft Zoom und andere Online-Dienste um mit Familie und Freunden in der ganzen Welt zu sprechen.
Auch hier haben nur wenige Geschäfte, etwa Supermärkte und Apotheken geöffnet. Nach wie vor kann man viele Lebensmittel nicht bekommen. Man kann an langen Lieferzeiten bei etwa AmazonFresh (Lebensmittel-Lieferdienst von Amazon) merken, dass viele Menschen diese Online-Angebote in Anspruch nehmen. Normalerweise liefert AmazonFresh in zwei Stunden und spätestens am nächsten Tag. Zurzeit muss man aber etwa drei Tage im Voraus bestellen.
Wie sieht dein Arbeitsalltag aus?
Jöhnk: Die erste Woche war auch bei mir, obwohl ich ja regelmäßig von zu Hause aus arbeite, ungewohnt. Es kamen einfach kaum E-Mails, da auch die Isolationsmaßnahmen in Deutschland losgingen. Inzwischen läuft es aber wieder recht normal. Morgens die regelmäßigen Absprachen mit bestehenden NGIO-Partnern und meiner Kollegin Kristin Asmussen. Ich besuche zurzeit fast täglich virtuelle Pitch-Events. Die Venture Capital-Szene konzentriert sich stark auf die Bereiche HealthCare und Retail. Wir also NGIO suchen gerade noch nach den geeignetsten Formaten, um diese Events für mehr Leute auch in Deutschland zugänglich zu machen. Da viele der hier ansässigen Firmen auch in normalen Zeiten virtuell arbeiten, haben wir glücklicherweise eine gut entwickelte Infrastruktur. Alle meine Termine, die ich auf meinem Kalender habe, sind deshalb jetzt einfach online.
Wie kannst du (trotzdem) Unternehmen unterstützen?
Jöhnk: Firmen und Mitarbeitende in der ganzen Welt wurden quasi über Nacht gezwungen, interne Prozesse zu digitalisieren. Natürlich ist für die meisten Firmen jetzt das Wichtigste, das Kerngeschäft am Leben zu erhalten. Sobald wir aber diesen Krisenmodus überstanden haben, können wir dabei helfen, zielgerichteter nach Technologie zu suchen, die Firmen etwa dabei unterstützen kann, Prozesse zu optimieren und effizienter zu gestalten.
Als Beispiel: Die meisten Firmen dürften inzwischen von Slack, Asana und Zoom gehört haben. Diese Programme spielen gerade in der ersten Reaktion eine wesentliche Rolle, um Teams die normalerweise in einem Büro zusammenarbeiten, nun in die virtuelle Welt zu bringen. Ich glaube, dass es sich aber besonders jetzt anbietet, auch den nächsten Schritt zu gehen. So gibt es zum Beispiel einfache KI-Programme (oder auch einfache Bots), die Kommunikation in Slack und anderen Messenger-Programmen nutzen, um bestimmte Daten anzureichern, weiter zu verarbeiten, in bestimmte Kategorien einzuordnen oder bestimmte Aktionen durchzuführen. So kann man virtuellen Teams die Arbeit erleichtern.
Einschätzung: Was werden wir alle und insbesondere das Silicon Valley aus dieser Krise lernen?
Jöhnk: Eine der Antworten darauf lautet: Innovation must go on! Und dabei meine ich jetzt nicht, dass wir mit Technologie alle Probleme lösen können. Ich glaube aber, dass Firmen, die schon vor der Pandemie eine aktive Strategie zum (digitalen) Wandel hatten, sich besser auf sich schnell ändernde Situationen einstellen können. Viele der hier ansässigen Firmen nutzen ihre eigenen Plattformen, um einen Beitrag zu Leisten. Zoom bietet etwa allen Schulen in den USA, Südkorea und Italien unbegrenzte Freilizenzen an. Mitarbeiter, die sich normalerweise um Akquise und Customer Success kümmern, helfen jetzt Schulbezirken dabei, von jetzt auf gleich Lehrpläne anzupassen und weitere Funktionalitäten auf die eigene Plattform zu bringen.
Andere KI-Firmen haben festgestellt, dass ihre Algorithmen dabei helfen, bedürftige Bezirke zu erkennen um dann Helfende/Ressourcen zu schicken (Lieferung von Lebensmitteln etc.). Viele erfinden sich über Nacht neu. Aber natürlich gilt das auch nicht für alle. Das Silicon Valley und die Venture Capital-Szene werden sich durch Corona verändern. In den letzten Jahren sind Milliarden von US-Dollar durch Corporate Venture Capital Funds ins Valley geflossen. Diese Fonds ziehen derzeit alle ab oder investieren nicht weiter. Das wird nachhaltig das Vertrauen in diese Fonds verringern.
Auf der sozialen Seite MUSS das Silicon Valley lernen. Arbeitslosigkeit steigt rasant an. Viele Menschen haben über Nacht ihre Jobs verloren. Es gibt kaum Kündigungsschutz und einige Firmen versuchen sich selbst bei der vom Gesetz vorgeschriebenen Unemployment Insurance zu drücken. Wie auch im Rest der USA, wirtschaften hier viele Menschen von Monat zu Monat und leben auf Kreditkarte. Diese Situation ist von daher für Tausende Menschen absolut dramatisch. Gerade Personen, die in der Gig-Economy (also Uber, Lyft, Doordash, etc.) arbeiten, sind am stärksten betroffen. Zum Glück gab es innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von privat organisierten und von Tausenden Menschen geteilten Google-Sheets auf denen Menschen Hilfe anbieten (etwa Bargeld, Essen, Unterkunft, etc.) Die Gesellschaft kommt also in vielen Bezirken zusammen, um das aufzufangen, was die Politik nicht auffangen will/kann. Aber ich mache mir Sorgen um Gegenden in den USA (und auch bei uns), in denen es kaum Leute gibt, die derzeit helfen können.
Und – hast du konkrete Anfragen aufgrund der Krise?
Jöhnk: Anfragen nein, Ideen ja: Wir als NGIO können insbesondere klein- und mittelständische Unternehmen mit Technologie verbinden, die es möglich macht aus der Not geborene digitale Strukturen zu optimieren und zu erweitern. Sei es für den Einzelhandel einfache Möglichkeiten zu benennen um eine eigene Community aufzubauen und Kunden auf neuen Formaten anzusprechen, für das produzierende Gewerbe logistische Prozesse sichtbarer zu machen und zu optimieren oder für alle Firmen den internen Einsatz von Technologie zu verbessern.
Vielen Dank für Gespräch, Tim!
Hilfen für Unternehmen in der Coronakrise
Bremer Unternehmen, die durch die Coronakrise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, hilft die Übersichtsseite auf bremen-innovativ weiter: https://www.bremen-innovativ.de/corona-info-ticker-fuer-unternehmen/
Andreas Gerber
Akquisition und Projekte
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