„Mit einem vernünftigen Risikomanagement bietet China deutschen Unternehmen nach wie vor große Chancen“
InternationalesDr. Florian Kessler über den Handelskrieg, Sanktionen und neue chinesische Gesetze
Der Einstieg chinesischer Unternehmen im Hamburger Hafen oder in den deutschen Wärmepumpen-Markt nach dem Verkauf des Heizungsbauers Viessmann hat in den vergangenen Monaten für Aufsehen gesorgt. China ist wichtigster Handelspartner der Deutschen, gleichzeitig verändern der US-China Handelskrieg, der Krieg in der Ukraine, Sanktionen und neue chinesische Gesetze das Geschäft. Wie man damit umgehen muss, weiß Dr. Florian Kessler.
Der Jurist ist zusammen mit seiner chinesischen Frau He Xin Gründer von WZR China, einer in Beijing ansässigen Kanzlei mit zehn Angestellten. Nach 20 Jahren in China – neben seiner Selbstständigkeit auch als Professor und ehemaliger leitender Angestellter bei der Auslandshandelskammer Beijing – zieht es den Bremer mit seiner Familie jetzt zurück an die Weser. Künftig betreut er seine deutschen und chinesischen Kundinnen und Kunden aus dem Mittelstand sowohl von Bremen als auch von Beijing aus.
Im Gespräch über aktuelle geopolitische Entwicklungen in China und deren Auswirkungen auf unternehmerisches Handeln.
Herr Dr. Kessler, Sie betreiben eine Rechtskanzlei, zu Ihren Hauptaufgaben gehören aber Themen wie Hilfe bei der Suche nach Standorten in China, Unterstützung beim Aufbau einer Fabrik und beim Personalmanagement oder Standortverlagerungen. Ist das nicht eigentlich eher Unternehmensberatung?
Kessler: In China geht Rechtsberatung mit Unternehmensberatung einher. Das liegt insbesondere daran, dass das Rechts- und Wirtschaftssystem in China anders funktioniert als in Deutschland. In China verlassen sich Unternehmen in der Praxis weniger auf die Durchsetzung ihrer Rechte mithilfe der staatlichen Institutionen.
Daher muss man im Vorfeld die Risiken so minimieren, dass es gar nicht erst zu einem Gerichtsverfahren kommt. Das erfordert eine praktische Herangehensweise und Lösungen, die über die rein rechtlichen Aspekte deutlich hinausgehen, die aber ohne ein tiefes Verständnis des chinesischen Rechtssystems und der lokalen Gepflogenheiten undenkbar sind. Als Rechtsberater in China muss ich daher neben rechtlicher Beratung auch strategische und wirtschaftliche Handlungsoptionen und Lösungen anbieten.
Für Unternehmen mit Chinageschäft waren die vergangenen Jahre turbulent. Handelskrieg USA-China, Sanktionen, Lieferkettenunterbrechungen, Einreisebeschränkungen – all das sind geopolitische Faktoren, die sich direkt auf den Unternehmensalltag auswirken. Können Unternehmen heute in China überhaupt noch unabhängig von der Geopolitik agieren?
Kessler: Nein. Unternehmen mit Geschäften in China müssen die geopolitischen Entwicklungen berücksichtigen. Viele meiner Kundinnen und Kunden haben Niederlassungen in verschiedenen Ländern, einschließlich China, den USA und Europa. Einige Unternehmen entscheiden sich aufgrund der gestiegenen Risiken mittlerweile gegen neue Investitionen in China. Andere Unternehmen versuchen, grenzüberschreitende Transaktionen und Logistik zu minimieren, indem sie beispielsweise den chinesischen Markt aus China beliefern. Sie investieren dann in mehr Fertigungstiefe. Gleichzeitig versuchen sie, unabhängiger zu werden von China, indem sie beispielsweise Komponenten in einem Werk in Osteuropa produzieren lassen. Wir sehen also eine stärkere Regionalisierung von Lieferketten und Absatzmärkten.
Das, was bei uns unter dem Stichwort „De-Risking“ diskutiert wird…
Kessler: Genau. Übrigens sehen wir auch den umgekehrten Fall. Auch die chinesischen Unternehmen stärken ihre Präsenz in Europa und versuchen hier eigenständige Produktions- und Vertriebswege aufzubauen, weil für sie das ja ganz genauso gilt. Zudem sind die wirtschaftspolitischen Strategien der chinesischen Regierung wie die „Politik der zwei Kreisläufe“ oder „Made in China“ im Kern nichts Anderes als ein De-Risking mit dem Ziel, China wirtschaftlich weniger abhängig von ausländischer Technologie zu machen.
Ist China als Standort damit nach wie vor attraktiv oder sollten Unternehmen jetzt in andere Länder ausweichen, Stichwort China plus One (z. B. Produktionsstätten in Vietnam)?
Kessler: Wenn ein Unternehmen in China verkaufen möchte, gibt es keine Alternative, als vor Ort zu sein. Mit einem vernünftigen Risikomanagement kann man China heute noch in den Griff bekommen. Der Markt ist ja nach wie vor aus europäischer Perspektive riesig, und die chinesische Mittelschicht wächst weiterhin. Hiesige Unternehmen, die China primär als billigen Produktionsstandort für den Export begreifen, brauchen aber möglicherweise eine Alternative, um unter anderem auf den Fall vorbereitet zu sein, dass die Lieferketten wieder unterbrochen werden, also ein China plus One.
Werden Unsicherheitsfaktoren wie Sanktionen, Rechte und Gesetze noch weiter zunehmen oder haben wir erst einmal ein Niveau erreicht, auf dem es bleibt und mit dem man einfach umgehen muss?
Kessler: Aus meiner Sicht bleibt das Niveau der Unsicherheitsfaktoren vorerst bestehen. Die globalen Spannungen haben zu einer deutlichen Steigerung der Herausforderungen für ausländische Unternehmen vor Ort geführt, aber ich glaube nicht, dass sich die Situation weiter verschlechtern wird. Von der politischen Ebene abgesehen haben sich in China in den vergangenen Jahren auf operativer Ebene viele Dinge auch vereinfacht. Der bürokratische Prozess bei einer Firmengründung wurde auf die Hälfte der Zeit runtergeschraubt.
Inwiefern wirken sich Gesetzesänderungen wie das neue Anti-Spionage-Gesetz oder die Datenschutzgesetze auf die unternehmerischen Möglichkeiten aus?
Kessler: Was das Anti-Spionage Gesetz betrifft, müssen Unternehmen vorsichtiger sein, wie sie vor Ort agieren und wie tief sie bei ihren Recherchen zu chinesischen Geschäftspartnern gehen. Auch im Bereich Datenschutz, der in China im Vergleich zu Europa stärker sicherheitspolitisch getrieben ist, kommen auf Unternehmen erhebliche Herausforderungen zu. Zum Beispiel wurde im Juni dieses Jahres ein relativ komplexes Verwaltungsverfahren für die grenzüberschreitende Übertragung von personenbezogenen Daten aus China heraus eingeführt, und es bleibt abzuwarten, wie gut der Prozess funktionieren wird.
China entwickelt sich rasant weiter. Für ausländische Unternehmen ist die Konkurrenz im Land viel größer geworden. Gibt es aus Ihrer Sicht Märkte, wo sich der Eintritt nicht mehr lohnt, weil die Konkurrenz so groß ist?
Kessler: Viele deutsche Firmen kommen mit einem Produkt, das so gut ist, dass es dafür keine Alternative in China gibt, und das ist ein Wettbewerbsvorteil. Allerdings sehe ich auch, dass einige in China eine zweigleisige Preisstrategie fahren, um Fuß zu fassen. Das bedeutet, dass sie ein preislich wettbewerbsfähiges Einsteigerprodukt auf den Markt bringen, um sich Anteile zu sichern. Wenn der Kunde oder die Kundin zufrieden ist, können sie dann ein höherwertiges Produkt anbieten.
Es wird immer wieder gesagt, dass es schwerer wird, Unternehmenswerte aus China zu extrahieren – sehen Sie das ähnlich?
Kessler: Ich werde das häufig von Kundinnen und Kunden gefragt, aber da haben wir selten in der Praxis Probleme gehabt. Wenn wir Werte aus China extrahieren, geht es oft um Dividenden. Mit einer vernünftigen Dokumentation und dem ordnungsgemäßen Zahlen von Steuern ist das kein Problem. Auch die Verrechnung von Leistungen zwischen Konzernmutter und chinesischer Tochtergesellschaft oder Lizenzverträge sind eine weitere Möglichkeit.
Ich möchte einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung meiner Heimatstadt leisten."
Sie haben gerade erwähnt, dass es auch für chinesische Unternehmen wichtiger wird, in Europa eigenständige Produktionen aufzubauen. Was bedeutet das für den Standort Deutschland? Speziell für Bremen, ergeben sich dadurch für uns auch neue Chancen?
Kessler: In der ersten Welle haben chinesische Unternehmen deutsche Firmen gekauft und so ein Standbein aufgebaut. Das ist mittlerweile abgeebbt. Viele chinesische Unternehmen haben über die Jahre Erfahrungen gesammelt und trauen sich immer mehr, eigene Niederlassungen in Europa aufzubauen. Sie wollen jetzt ihre eigenen Zuliefer- und Vertriebsnetzwerke stärken. Ich sehe die Chance, auf dieser zweiten Welle einzusteigen und Greenfield-Investments mit nachhaltigen Arbeitsplätzen zu ermöglichen. Wir haben zum Beispiel in unserer Kanzlei extra einen Mitarbeiter dafür abgestellt, um chinesischen Unternehmen Unterstützung zu bieten.
Und das bietet auch Chancen für Bremen. Als Brücke zwischen chinesischen und deutschen Unternehmen möchte ich einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung meiner Heimatstadt leisten. Ich freue mich darauf, mich beruflich in Bremen zu verankern und wieder mehr Zeit mit deutschen Kundinnen und Kunden zu verbringen und vielleicht auch mit der WFB bei künftigen Projekten zusammenzuarbeiten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Einen tieferen Einblick in die aktuelle geopolitische Situation Chinas bietet unser Podcast Go Global! Episode 29 mit Dr. May-Britt Stumbaum, Direktorin am The SPEAR Institute, und Team Leader Asia Pacific Security am Center for Intelligence and Security Studies (CISS) an der Universität der Bundeswehr in München.
Anhören unter: https://www.deezer.com/de/show/2475872
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