Briefe aus der Türkei: Ausgabe Winter 2024
InternationalesTrends und Technologien aus der Türkei
Was kostet es, Inflation erfolgreich zu bekämpfen? Und will der chinesische Autohersteller BYD mit einem neuen Werk in der Türkei die EU-Zölle umgehen? Erol Tüfekҫi gibt in unserem Länderbrief aktuelle Einsichten in die türkische Wirtschaft.
Direkt aus der Seehafenstadt Izmir berichtet Erol Tüfekҫi, Direktor des dortigen Bremeninvest-Büros der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH, und gibt uns einen Überblick über Trends, Chancen und neue Entwicklungen im Land. Wenn Sie diesen Länderbrief regelmäßig als Newsletter erhalten wollen, melden Sie sich gern hier an.
Unsere Themen im Winter 2024
Türkische Wirtschaft spürt Folgen der Fiskalpolitik
Die Türkei befindet sich in einer wirtschaftlichen Umbruchphase. Während in der Vergangenheit hohe Inflation (>90 Prozent) und ein zugleich starkes Wirtschaftswachstum das Bild prägten – angetrieben durch einen robusten Binnenkonsum und eine schwache Lira, die den Tourismus und Exporte beflügelten, aber die Bevölkerung stark belasteten – zeichnet sich nun eine Trendwende ab.
Laut dem türkischen Statistikamt schrumpfte die Wirtschaft im dritten Quartal 2024 um 0,2 Prozent. Für das gesamte Jahr wird nur noch ein moderates Wachstum von 2,1 Prozent erwartet. Parallel dazu hält die türkische Zentralbank den Leitzins auf einem historisch hohen Niveau von 50 Prozent, knapp oberhalb der allmählich sinkenden Inflation, die aktuell bei 48 Prozent (YoY) liegt. Dieser geldpolitische Kurs signalisiert ein klares Ziel: Die Bekämpfung der Inflation hat Vorrang, auch wenn dies auf Kosten des Wirtschaftswachstums geht.
Die Regierung rechnet mit einer Normalisierung der Inflation bis 2026/27. Finanzminister Mehmet Şimşek wertet die aktuelle Abkühlung der Wirtschaft als Erfolg der fiskalpolitischen Maßnahmen und erwartet ab dem zweiten Quartal 2025 eine Erholung, unterstützt durch eine erstarkende Weltwirtschaft und ein wachsendes Vertrauen in die türkische Geldpolitik.
Die wirtschaftliche Entwicklung trifft die Branchen der Türkei unterschiedlich:
- Industrie: Ein leichter Rückgang der Produktion (-2 Prozent im dritten Quartal 2024) macht sich bemerkbar.
- Automobilsektor: Private Pkw-Käufe sanken um 16 Prozent, die Produktion um bis zu einem Drittel.
- Bauwirtschaft, Finanzen und Landwirtschaft: Diese Sektoren zeigen hingegen weiterhin Wachstumsdynamik.
- Tourismus: Obwohl der Sektor in absoluten Zahlen weiter wächst, deutet ein Rückgang der durchschnittlichen Ausgaben pro Gast sowie bei der Aufenthaltsdauer auf ein Plateau hin.
Die Bemühungen zur Eindämmung der Inflation zeigen auch auf anderen Ebenen Wirkung. Im September stufte die Ratingagentur Fitch die Türkei herauf – das Land gilt nun nicht mehr als „hochspekulative Anlage“. Dieser Schritt erhöht perspektivisch das Vertrauen internationaler Investorinnen und Investoren und signalisiert eine zunehmende Stabilität des türkischen Marktes.
Für deutsche Unternehmen bleiben die wirtschaftlichen Aussichten in der Türkei attraktiv. Eine potenziell stärkere Lira könnte zwar den Exportvorteil türkischer Waren schmälern, doch gleichzeitig erhöht eine steigende Kaufkraft die Attraktivität des Landes als Absatzmarkt für Importwaren. Zudem sorgt die sinkende Inflation für mehr Planungssicherheit – ein entscheidender Faktor, der in den vergangenen Jahren oft Investitionen hemmte.
Insgesamt eröffnet die wirtschaftliche Neuausrichtung der Türkei neue Möglichkeiten für Unternehmen, die sich auf diesen spannenden Markt einlassen möchten.
China setzt auf türkische Autoindustrie
Wie turbulent und heterogen sich die Wirtschaft unter den sich verändernden Bedingungen zeigt, beweist die türkische Autoindustrie. So führen die sinkende Inflationsrate und der hohe Leitzins jetzt dazu, dass immer weniger Fahrzeuge von den Türkinnen und Türken als Wertanlage gekauft werden. Zudem belastet die rückläufige globale Nachfrage die türkische Autoexportindustrie. Im September 2024 verzeichnete die Automobilproduktion so einen Rückgang von rund einem Drittel im Vergleich zum Vorjahr.
Trotz dieser industrieweiten Herausforderungen erlebt die Elektroauto-Sparte in der Türkei einen Aufschwung. Besonders der heimische Hersteller TOGG steht im Fokus: In den ersten zehn Monaten des Jahres 2024 konnte das Unternehmen über 20.000 Fahrzeuge verkaufen und damit mehr als doppelt so viele Einheiten absetzen wie Zweitplatzierter Tesla. Unterstützt wird dieses Wachstum durch hohe türkische Importzölle auf Elektroautos aus China von bis zu 40 Prozent, um die heimische Produktion – und damit vor allem TOGG – zu schützen.
Der chinesische Automobilhersteller BYD sieht darin aber auch eine Chance. Im Sommer 2024 kündigte das Unternehmen eine Milliardeninvestition in ein neues Werk in Manisa an, einem etablierten Industriestandort im Westen des Landes. Mit einer geplanten Kapazität von bis zu 150.000 Fahrzeugen pro Jahr soll die Produktion dort nicht nur die türkische Nachfrage bedienen, sondern auch auf den Nahen Osten und andere Märkte abzielen.
Manisa bietet hervorragende infrastrukturelle Bedingungen: Bereits ansässige globale Unternehmen wie Bosch unterstreichen die Attraktivität des Standorts und auch Volkswagen hatte kurz vor der Coronakrise hier ursprünglich den Bau eines Werks geplant.
Durch die Produktion in der Türkei will BYD mehrere Vorteile nutzen:
- Umgehung von EU-Importzöllen: Seit Oktober 2024 gelten in der EU hohe Zölle auf chinesische Elektrofahrzeuge. BYD-Produkte aus der Türkei wären dank der Zollunion EU-Türkei jedoch davon ausgenommen.
- Absatzmarkt Türkei: Mit lokaler Produktion entfallen auch die türkischen Importzölle auf chinesische Fahrzeuge, was die Marke für die heimischen Verbraucher:innen attraktiver macht.
- Marktzugang Naher Osten: Die Türkei bietet eine strategische Position, um angrenzende Märkte effizient zu bedienen.
Die Entscheidung von BYD zeigt nicht nur die Vorteile des Standorts Türkei, sondern unterstreicht auch die Wettbewerbsfähigkeit der türkischen Automobilfertigung. Die Kombination aus kosteneffizienter Produktion, strategischer Lage und Zugang zu internationalen Märkten macht die Türkei zu einem attraktiven Ziel für Investitionen in die Zukunft der Automobilindustrie.
Kurzmeldung: Türkische Luftfahrtindustrie im Aufwind
Die beiden Konzerne Turkish Aerospace Industries (TAI) und Baykar Technology gehören jetzt zu den 50 umsatzstärksten Luft- und Raumfahrtunternehmen der Welt. Während das erste im Bereich Forschung und Zulieferung bekannt ist, hat sich das zweite als Drohnenhersteller einen Namen gemacht.
Delegationen reisen zwischen Bremen und Izmir
Im Herbst 2024 machte sich die Flugverbindung zwischen Bremen und der Izmir besonders bezahlt. Denn gleich mehrere Reisen führten beide Städte zusammen:
- So besuchte Izmirs Bürgermeister Cemil Tugay im Oktober Bremen und nutzte die Zeit, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Wirtschaft zu treffen. Ein direkter Gegenbesuch fand im November statt, wo die Bremer Bausenatorin Özlem Ünsal Izmir besuchte, um über internationale Zusammenarbeit im Bereich der Städteplanung zu sprechen.
- Zuvor organisierte Bremeninvest im Oktober noch eine Markterkundungsreise nach Izmir für das Bremer Unternehmen syniotec. Dieses möchte in der Bauwirtschaft international expandieren und hat dafür die Türkei als Zielmarkt ausgewählt. Bremeninvest stellte Kontakte her und betreute die Reise.
- Eine weitere Chance zum Pflegen der bremisch-türkischen Partnerschaft ergab sich im Dezember 2024 auf den Deutsch-Türkischen Wirtschaftstagen in Izmir. Vertreter:innen von 32 deutschen Unternehmen – darunter auch aus Bremen – aus verschiedenen Branchen nahmen an über 350 B2B-Meetings teil und förderten wichtige Verbindungen zwischen der türkischen und der deutschen Geschäftswelt. Die Veranstaltung hob zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten hervor. Bremeninvest präsentierte sich mit einem eigenen Stand.
Das hohe Interesse beider Regionen aneinander zeigt, dass trotz aller wirtschaftlichen Herausforderungen Chancen und Potenziale im internationalen Geschäft nach wie vor vorhanden sind – es braucht kompetente Partnerinnen und Partner, welche die richtigen Kontakte herstellen können.
Neu gegründetes, deutsch-türkisches Softwareunternehmen ArkheTech erstellt digitale Zwillinge
Die bremische Uzuner Consulting GmbH gründete im November 2024 die Tochtergesellschaft ArkheTech Software GmbH. ArkheTech bestand zuvor bereits als türkisches Unternehmen in Izmir und kam mit Unterstützung von Bremeninvest im Sommer 2024 nach Bremen. Hier fand das junge Team mit der Uzuner Competence Group (UCG) eine starke Partnerin für eine Gründung der deutschen GmbH. Das Software-Unternehmen spezialisiert sich auf digitale Zwillinge, virtuelle Versionen zum Beispiel von Industrieanlagen oder ganzen Städten, die dann am Computer begangen, geplant und erweitert werden können. Das soll Planungskosten verringern und die Effizienz erhöhen. Zudem entwirft ArkheTech digitale Unterrichtsmodule im Medizinbereich. Das Unternehmen sitzt in Bremen, unterhält aber auch in Izmir ein Büro und entwickelt dort Software. Bremeninvest kooperiert mit der Uzuner Competence Group in Izmir mit dem Ziel, türkische Unternehmen für den Wirtschaftsstandort Bremen zu begeistern.
In Bremen neu gestartet: prominall GmbH
Der türkische Heimtiersnack-Hersteller prominall hat sich im Herbst 2024 in Bremen niedergelassen. „Unser Ziel ist es, die Bedürfnisse von Haustieren bestmöglich zu erfüllen und ihnen ein gesundes, glückliches Leben zu ermöglichen“, erklärt Öztunc Agduk, Geschäftsführer der neu gegründeten prominall GmbH in Deutschland. Das Unternehmen produziert in der Türkei hochwertige Hundesnacks aus Rind, Ziege, Lamm, Kamel, Huhn und Pferd und erfüllt zahlreiche internationale Industriestandards.
Für Bremen habe sich das Team ganz bewusst entschieden: „Bremen liegt im Norden Deutschlands und ist mit seiner strategischen Lage, der fortschrittlichen Logistikinfrastruktur und dem unternehmensfreundlichen Umfeld ein idealer Knotenpunkt für unser Unternehmen. Zu den Vorteilen, die Bremen bietet, gehören die gute Anbindung an wichtige europäische Städte, eine starke Wirtschaftsstruktur und eine innovative Unternehmenskultur. Der Bremer Hafen bietet einen großen Vorteil für unsere wirtschaftlichen Aktivitäten, der unsere Logistikprozesse effizienter macht.“
Bei der Ansiedlung unterstützte das Team von Bremeninvest prominall umfassend. Der erste Kontakt entstand über das Bremeninvest-Büro in Izmir. In Bremen begleitete Bremeninvest das Unternehmen durch die Gründungsphase und bot intensive Unterstützung, unter anderem bei der Prüfung des Businessplans, der Koordination von Bank-, Notar- und Steuerberaterterminen sowie durch den Zugang zu Netzwerken und Informationen. Auch bei Terminen mit der Handelskammer stand Bremeninvest beratend zur Seite.
Erfolgsgeschichten
Bremen als neuen Unternehmensstandort? Ja bitte! Jedes Jahr entscheiden sich dutzende Unternehmen aus aller Welt für die Hansestadt. Einen entscheidenden Anteil daran hat unsere Marke „Bremeninvest“, die weltweit die berühmte Nadel im Heuhaufen findet.
Mehr erfahrenEin Blick auf die Statistik zur Bremer Wirtschaft 2024 offenbart: Das kleinste deutsche Bundesland hat viel zu bieten. Ein Überblick über den Industrie- und Dienstleistungssektor mit den wichtigsten aktuellen Zahlen.
zur StatistikDas Wetter auf See präzise vorhersagen, Treibstoffkosten sparen, Plastikverschmutzung reduzieren, die Fischzucht verbessern: Im Silicon Valley arbeiten zahlreiche Unternehmen an der maritimen Zukunft. Wie diese aussehen kann, dazu gibt uns Bürodirektor Tim Ole Jöhnk direkt vor Ort einen aktuellen Einblick.
ins Silicon Valley