„Je früher ein Unternehmen nach Vietnam geht, desto größer sind seine Erfolgschancen.“
InternationalesLudwig Graf Westarp, Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) über Investitionen in Vietnam
Vietnam gehört zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften. Wie können exportorientierte Unternehmen aus Bremen davon profitieren? Ein Interview mit dem Vietnam-Experten Ludwig Graf Westarp über die beste Strategie für den Start in Fernost.
Seit 2016 ist Bremeninvest, die Auslandsmarke der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB), mit einem eigenen Büro in Vietnam. Es hilft vietnamesischen Unternehmen beim Start in den deutschen Markt via Bremen, vermittelt Kontakte und ermöglicht Kooperationen zwischen der hiesigen Wirtschaft und Vietnam. Dass ein möglichst früher Einstieg in die vietnamesische Wirtschaft gewinnbringend sein kann, davon ist auch Ludwig Graf Westarp überzeugt. Der Vietnamexperte erklärt im Interview, wie der Einstieg gelingt.
Westarp leitet beim Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft (BVMW) das Vietnam-Büro sowie das Büro Republik Moldau und ist Gründer der in Deutschland und Vietnam tätigen Firma SKARO. Mit Führungsverantwortung für bis zu 2.000 Mitarbeiter:innen konnte er bereits namhafte internationale Unternehmen regional leiten und arbeitete mit Vietnam an der Entwicklung und Veröffentlichung der Nationalen Strategie für Umweltschutz bis 2020 mit Blick bis 2030.
Lange Zeit hieß Fernost-Geschäft für deutsche Unternehmen automatisch China. Für welche Unternehmen ist Vietnam heute als Produktionsstandort attraktiver?
Westarp: Vietnam bietet besonders große Chancen für deutsche Investoren und Investorinnen in den Bereichen Maschinenbau, Hightech, IT und den erneuerbaren Energien. Im Vergleich zu China liegt das Lohnniveau in Vietnam noch deutlich niedriger. Dies spricht zwar für Vietnam als Produktionsstandort, andererseits suchen ausländische Investoren und Investorinnen neben niedrigen Produktionskosten auch nach einem vorhandenen Absatzmarkt. Dieser ist in China in der Regel größer als in Vietnam.
China ist für viele Unternehmen aber kein verlässlicher Partner mehr. Das Land befindet sich in einem Handelskonflikt mit den USA und steht in Europa häufig in der Kritik. Die Erkenntnis, dass einseitige Abhängigkeiten verwundbar machen, sorgt im Fall von China nun dafür, dass deutsche Unternehmen verstärkt nach Alternativen in geographischer Nähe suchen, damit auch in Vietnam.
… das im Gegensatz zu China auch Teil der südostasiatischen ASEAN-Wirtschaftsregion ist.
Ja. Südostasien ist mit den zehn ASEAN-Mitgliedsstaaten mit ihren 660 Millionen Einwohner:innen und ihrer ASEAN Freihandelszone ein sehr interessanter Absatzmarkt. Zu diesem Markt bietet Vietnam den Zugang. Vietnam verfolgt eine Diversifizierungsstrategie, indem es sich bemüht, neben den Hauptinvestoren Singapur, Südkorea und Japan auch Investitionen aus anderen Ländern, beispielsweise aus Deutschland, zu gewinnen. Zurzeit findet in Vietnam eine Entwicklung weg von der Textilproduktion hin zur komplexeren Montage und Produktion von Maschinen und elektronischen und elektrischen Geräten statt. Neuartige Technologien bieten gute Möglichkeiten für Investierende, um die sich die Regierung bemüht, indem sie kontinuierlich an einer Verbesserung des Investitionsklimas arbeitet. Auch verfügt Vietnam über eine junge, dynamische Bevölkerung mit einem Altersdurchschnitt von nur 30 Jahren. Die Menschen in Vietnam sind bereit, hart zu arbeiten. Sie sind technikaffin und offen, sich auf Neues einzulassen. Zudem liegt Vietnam geostrategisch günstig und verfügt über Industrie, einen ausgeprägten Dienstleistungs-, Tourismus- und IT-Sektor. Hinzu kommt die hohe politische Stabilität des Einparteienstaates und das Bestreben Vietnams, ausländische Investitionen (FDI) ins Land zu holen.
Wo hapert es noch?
Robuste und einfache Lieferketten sind in Vietnam noch verbesserungsbedürftig, weshalb Firmen trotz aller Probleme oftmals immer noch in China bleiben und erst etwa 450 deutsche Unternehmen in Vietnam tätig sind. Wichtig für Vietnams Erfolg ist es, dass Vietnam seine Zuliefererindustrie ausbaut, bei der verlässlich und in hoher Qualität Vorprodukte und Dienstleistungen eingekauft werden können, die für die Fertigung unerlässlich sind.
Mit 100 Millionen Einwohnenden wird Vietnam auch als Absatzmarkt interessant. Neben klassischen deutschen B2B-Exportprodukten wie Maschinen, Anlagen und Werkzeugen oder Autos, gibt es auch andere deutsche Produkte, die eine Chance für unseren Mittelstand bieten?
Eine besondere Chance besteht im Bereich der grünen Technologien. Deutsche mittelständische Unternehmen haben im Kontext der Energiewende viel entwickelt und verfügen über besonderes Know-how, das großes Potenzial hat, auch in Vietnam zum Einsatz zu kommen. Deutschland ist mit einem Welthandelsanteil von 12 Prozent nach China mit 15 Prozent der zweitgrößte Exporteur von Umwelt- und Klimaschutzgütern. Dabei geht es um weniger umweltbelastende Mobilität, Energieeffizienz und nachhaltige Energieerzeugung.
Eine Vielzahl deutscher Unternehmen hat im Wesentlichen genau die Technologien im Fokus, die auch die größten Wachstumsmärkte versprechen: von Batterietechnik über effizientere Solarzellen und Antriebskonzepte zur Elektromobilität bis zur Wasserstoffproduktion und Energiespeicherung.
Hier können deutsche Firmen viel in Vietnam erreichen. Denn Vietnams Strombedarf wächst massiv. Bis 2025 erwartet die vietnamesische Regierung einen jährlich um zehn bis zwölf Prozent steigenden Stromverbrauch. Durch Dezentralisierung der Stromerzeugung soll die Versorgungssicherheit erhöht werden. Dabei rücken erneuerbare Energien vermehrt in den politischen Fokus.
In China besitzen deutsche Produkte oft ein Premium-Image und sind damit attraktiv – gibt es ein ähnliches Image für deutsche Waren in Vietnam?
„Made in Germany“ hat in Vietnam einen hervorragenden Ruf. Gerade im Bereich Investitionsgüter sind deutsche Produkte für lokale Unternehmen aber häufig zu kostenintensiv. Angesichts noch niedriger Arbeitskraftkosten verzichtet bislang ein Großteil an lokalen aber auch ausländisch investierten Unternehmen auf komplexe Anlagen oder die umfassende Automatisierung der Produktion und greift auf günstigere Maschinen – besonders aus China – zurück.
Laut der Außenwirtschaftsagentur des Bundes Germany Trade and Invest (GTAI) dürfte Vietnam in den kommenden Jahren allerdings auch für deutsche Unternehmen als Absatzmarkt an Bedeutung gewinnen. Wenn es nämlich darum gehen wird, die Qualitätsanforderungen des europäischen oder US-amerikanischen Marktes erfüllen zu können, werden die exportorientierten vietnamesischen Produktionsunternehmen auf die Zulieferung hochwertiger Maschinen und Komponenten angewiesen sein.
Auch ist die wohlhabender werdende Mittelschicht sowie die kleine, aber finanziell sehr gut aufgestellte Oberschicht bereit, für Konsumgüter aus Deutschland mehr Geld auszugeben. Dies sieht man im Stadtbild in Form von Luxusautos wie Porsche oder Mercedes, aber auch in Wohnungen, wo gerne eine Küche „Made in Germany“ eingebaut wird.
Was sind die größten Herausforderungen beim Markteintritt/Geschäften mit Vietnam?
Je früher ein Unternehmen nach Vietnam geht, desto größer sind seine Erfolgschancen. Bedacht werden sollte aber, dass internationale Wettbewerber:innen schon in Vietnam sind und auch, dass Produkte kopiert und dann in schlechterer Qualität, aber zu günstigen Preisen, von vietnamesischen Unternehmen angeboten werden.
Die Pflege der Kundinnen- und Kundenbeziehungen kann besonders wichtig für den Erfolg sein. Für einen Markteinstieg in Vietnam ist eine permanente Vertretung vor Ort wichtig. Zur Marktbeobachtung und Kundinnen- und Kundenpflege empfiehlt sich die Eröffnung einer Repräsentanz oder die Einschaltung einer lokalen Handelsvertretung.
Gibt es Sprachbarrieren?
Sprachbarrieren sind insofern ein Thema, als das Vietnamesisch eine schwer zu erlernende Sprache ist. Andererseits ist das Interesse der Vietnamesinnen und Vietnamesen am Kommunizieren auf Englisch stark.
Auch gibt es kein anderes südostasiatisches Land, in dem man so oft auf deutsche Sprachkenntnisse trifft, wie in Vietnam. Durch die frühere Länderpartnerschaft der ehemaligen DDR mit Vietnam gibt es über Jahre gewachsene Deutsch-Vietnamesischen Beziehungen. Etwa 180.000 Vietnamesinnen und Vietnamesen leben heute in Deutschland, andere 100.000 sind mit guten Kenntnissen der deutschen Sprache nach Vietnam zurückgekehrt.
Sollte man sich Markt-Know-how vor Ort einkaufen, Personal vor Ort einstellen oder mit Wirtschaftsagenturen zusammenarbeiten, damit der Einstieg gelingt?
Zu einer sorgfältigen Vorbereitung und Begleitung beim Markteinstieg in Vietnam ist unbedingt zu raten. Denn in Vietnam sind Unternehmen mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, die von infrastrukturellen Problemen bis hin zu intransparenten Verwaltungsentscheidungen reichen.
Ein Beispiel: Durch den starken Zustrom ausländischer Direktinvestitionen sind in Vietnam die gewerblichen Immobilienpreise, besonders für Produktionsstandorte, gestiegen. Hier könnten sich Unternehmen zum Beispiel von Vietnam-erfahrenen Expert:innen im Hinblick auf Standorte in weniger entwickelten Gebieten beraten lassen. Auch das Ausfindigmachen von Lieferant:innen, die die gewünschte Menge, Qualität und Lieferfristen anbieten, kann in Vietnam Zeit und Mühe kosten und braucht erfahrene Partner:innen, die bei der Suche unterstützen.
Wie sicher ist Vietnam, wenn es um Rechtssicherheit und den Schutz des geistigen Eigentums geht?
Mit dem Europa-Vietnam Investitionsschutzabkommen (EVIPA), das mit dem Freihandelsabkommen eng verbunden ist, hat Vietnam ein deutliches Zeichen für Rechtssicherheit gesetzt. Das Investitionsschutzabkommen (IPA) wird nach Ratifizierung durch die EU in Asien die höchsten Standards zu Bankfähigkeit und Investitionsfähigkeit mit „Investor State Dispute Settlement“ (ISDS) bieten. Wenn ausländische Investor:innen einen Streit mit der vietnamesischen Regierung haben, können sie diese im ISDS verklagen und gegen Vietnam vom Ausland aus vollstrecken. Dies zeigt, wie wichtig Vietnam ausländische Investitionen sind. Als Investitionsstandort möchte Vietnam die erste Wahl in der Region werden.
Apropos Freihandel: Trägt das Freihandelsabkommen bereits Früchte oder sind die Chancen, die dieses Abkommen bietet, bisher noch unerschlossen?
Das EU-Vietnam Freihandelsabkommen gilt seit August 2020. Bereits circa. 65 Prozent aller Zölle auf Waren mit europäischem Ursprung sind weggefallen. Schrittweise werden bis 2030 fast alle Zölle auf europäische Waren beseitigt. Umgekehrt wird auch die Einfuhr vietnamesischer Ursprungswaren in die EU bis 2027 nahezu komplett zollfrei sein.
Das EU-Vietnam Freihandelsabkommen geht aber über das Thema Zölle weit hinaus. Es öffnet beispielsweise den Markt für öffentliche Aufträge und verpflichtet zur Einhaltung von Mindeststandards im Hinblick auf Arbeitnehmerrechte, zur Nachhaltigkeit und zum Umweltschutz und schützt Begriffe wie etwa „Lübecker Marzipan“ auch in Vietnam.
Nach der dreijährigen Umsetzung ist der Exportumsatz Vietnams in die EU um fast 50 Prozent gestiegen. Unter den vietnamesischen Exporten verzeichneten landwirtschaftliche Produkte wie Reis, Cashewnüsse, Pfeffer und Gummi die höchsten Zuwächse. Auch die EU-Exporte nach Vietnam stiegen um über 40 Prozent, hauptsächlich Maschinen, Ersatzteile, Rohstoffe für Textilbekleidung, Schuhe, Milch und Milchprodukte sowie Süßwaren. Meiner Beobachtung nach gab es in diesem Jahr auch bei deutschen Unternehmen noch einmal einen deutlichen Anstieg des Interesses an Vietnam.
Wie attraktiv ist Deutschland für vietnamesische Unternehmen als Standort – speziell der Norden?
Vietnam und Deutschland verbindet seit 2011 eine strategische Partnerschaft aber auch eine über lange Zeit gewachsene Freundschaft, die sich in zahlreichen zwischenmenschlichen Beziehungen aber auch in Gestalt zivilgesellschaftlicher Organisationen, wie der Deutsch-Vietnamesischen Gesellschaft (DVG), zeigt. Deutschland bietet internationalen Firmen sehr gute Bedingungen. Die Infrastruktur ist hervorragend, das Finanzsystem modern. Darüber hinaus ist Deutschland ein großer Konsumentenmarkt und aus diesem Grund sehr attraktiv für vietnamesische Unternehmen.
Vietnamesische Unternehmen nutzen Deutschland (auch Bremen) als wichtigen Startpunkt für ihr Europageschäft. Wichtige Importgüter sind dabei zum Beispiel Kaffee und Seafood.
Was würden Sie deutschen Unternehmer:innen gern mit auf den Weg geben, die mit Vietnam (ob im Import oder Export) zusammenarbeiten wollen? Was ist der beste Anknüpfungspunkt?
Deutsche Unternehmen weise ich auf Vietnams Zukunftsorientierung und seine Einbindung in die Weltwirtschaft als WTO-Mitglied seit 2007 hin. Ich zeige auf, dass Vietnam ein Land ist, das sich auf seinem Weg zur Industrienation um viele Freihandelsabkommen und ein sicheres Investitionsklima für ausländische Investoren bemüht. Ein weiteres Argument für Wirtschaftsaktivitäten in Vietnam ist die hohe politische Stabilität des Landes.
Als Anknüpfungspunkt besonders geeignet ist für deutsche Unternehmen in Vietnam zurzeit der Energiesektor. Hier findet eine Verlagerung von der ASEAN-geführten regionalen Infrastruktur hin zur nationalen Umsetzung von Programmen statt. Vietnam ist in ASEAN mit über 30 Prozent führend bei Investitionen in erneuerbare Energien und plant für die kommenden Jahre gewaltige Wind- und Solarenergieprojekte.
Herr Westarp, vielen Dank für das Gespräch!
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