Ein Packhaus zum Verlieben
TourismusSchon bei seinem allerersten Besuch im alten Vegesacker Packhaus war Malte verliebt. Und das sogar gleich zweifach. Damals, 1993, war er fünfzehn und hatte bei Radio Bremen Karten für ein Konzert der Band „Ear Movement“ gewonnen, die im Packhaus auftreten sollten. Sein erstes Date sollte es sein und er reiste vom – gefühlt sehr weiten Weyhe – mit der Bahn und der Herzensdame in den Nordbremer Stadtteil. Doch nicht nur seine Begleitung weckte romantische Gefühle in ihm. „Ich habe mich schon damals sofort in dieses wundervolle Haus verliebt!“, gesteht er. Heute, mehr als zwanzig Jahre später, ist Malte Prieser Geschäftsführer des Kulturbüros Bremen Nord, zu dem auch das alte Packhaus gehört. Zum fünfundzwanzigsten Jubiläum des Kulturzentrums nimmt er mich mit auf eine Tour durch das altehrwürdige Gebäude – und er hat Recht, dieses Haus öffnet das Herz und die Augen für ganz neue Begegnungen.
Wann das Gebäude in der Alten Hafenstraße, ganz in der Nähe des Vegesacker Hafens entstand, lässt sich nicht mehr genau feststellen. Das Kernstück wurde vermutlich um 1750 errichtet und zunächst als Wohnhaus benutzt . Das eigentliche Packhaus wurde dann um etwa 1850 an dieses Wohnhaus angebaut. Mitte der 1920er Jahre residierte hier eine Firma mit dem kuriosen Namen Kistentod AG. Sie verpackte Gegenstände für den Weitertransport per Schiff. Der Name bezieht sich vermutlich darauf, dass man hier, im Gegensatz zu anderen Firmen der Region, erstmalig Kartons aus Wellpappe statt der sonst üblichen Holzkisten verwendete. Der Volksmund verkürzte „Kistentod“ zu „Kito“. Und obwohl die Firma nur knapp zwei Jahre existierte, blieb der Name bis heute erhalten. Unter diesem Namen wurde im Jahr 1990 ein Kultur- und Veranstaltungszentrum im Alten Packhaus eröffnet, das sich seitdem mit Konzert- und Theaterabenden einen festen Platz im Bremer Kulturleben erobert hat.
Doch damit nicht genug. Inzwischen ist unter dem historischen Dach ein Dreigestirn entstanden, das neben dem Kito-Konzertsaal im Dachgeschoss auch das Overbeck-Museum und seit kurzem zudem ein Café mit Bühne im Erdgeschoss umfasst.
Mal ganz nah dran am Zuschauer – ein Saal mit besonderer Atmosphäre
Ich spüre die Geschichte auf Schritt und Tritt. Schon beim Eintreten duftet es nicht nach Bier und altem Zigarettenrauch, sondern wunderbar würzig nach altem Holz. Die massiven Balken treten unter der Decke hervor und an den Wänden werden die ursprünglichen Backsteine sichtbar. Ganz bewusst haben die Restauratoren vor fünfundzwanzig Jahren darauf geachtet, den Charme des ursprünglichen Bauwerkes zu erhalten.
Unser Rundgang führt uns zunächst ganz nach oben, in den Veranstaltungsraum des Kito.
Ich kenne den Raum noch von einigen Kabarett-Abenden, die ich hier erlebt habe und frage Malte nach der Zielgruppe und Ausrichtung seiner Veranstaltungen. „Die Qualität und das Ambiente muss sich im Künstler spiegeln“, ist seine Aussage. Also kein festgelegtes Repertoire, sondern Kabarett, Comedy, Singer/Songwriter, Jazz bis hin zum klassischen Harfenduo. Die Bandbreite ist groß. So kam beispielsweise Midge Ure (Sänger von Ultravox) hierher und fand es im Kito „Really, really cosy“. Paul Kuhn war hier zu Gast und Dieter Hildebrandt kam sogar vier Mal. Alle waren begeistert von der Atmosphäre im Haus und der Nähe zum Publikum. Sänger Maximilian Hecker brachte es auf den Punkt: „Nur ein Blowjob von Kate Moss ist besser als eine Nacht im Kito!“.
„Das intime Ambiente verändert auch die Auftritte der Künstler“, stellt Malte fest. „Sie kommen hier ins Plaudern, sind ganz nah am Publikum.“ Einige Reaktionen der Künstler zeigt auch die derzeit laufende Ausstellung zum 25jährigen Jubiläum des alten Packhauses.
Dem Himmel so nah – Worpsweder Kunst öffnet Horizonte
Eine Etage tiefer betreten wir das Overbeck-Museums. Direktorin Dr. Katja Pourshirazi ist gerade im wohlverdienten Urlaub, deshalb zeigt Malte mir die Räume.
Seit einem Vierteljahrhundert ist auch das Overbeck-Museum kultureller Anziehungspunkt in Bremen-Vegesack. 1990, im gleichen Jahr wie das KITO, öffnete die Ausstellungsstätte ihre Pforten. Die Gründung geht zurück auf Gertrud Overbeck, die Enkelin des Malerpaars Fritz Overbeck und Hermine Overbeck-Rohte.
Seitdem hat sich das Overbeck-Museum mit mehr als 120 Ausstellungen weit über Bremen hinaus einen Namen gemacht. Dabei stand nicht nur das Werk des Worpsweder Gründervaters Fritz Overbeck (1869-1909) und seiner Frau, der Malerin Hermine Overbeck-Rohte (1869-1937), im Mittelpunkt: Sonderausstellungen präsentierten darüber hinaus Künstlerinnen und Künstler unterschiedlichster Ausprägung, von der Jahrhundertwende bis zur Gegenwart. Darüber hinaus greift die Ausstellungsstätte immer wieder auch verwandte Themen auf, etwa mit den Schwerpunkten Landschaftsmalerei oder Kunst aus Worpswede. Fritz Overbeck gehört zu den fünf Gründungsvätern der Malerkolonie Worpswede. 1905 verließ Overbeck Worpswede, um sich in „Bröcken bei Vegesack“ mit seiner Familie niederzulassen.
Anlässlich des Jubiläums zeigt das Overbeck-Museum vom 12. Juli bis zum 4. Oktober die schönsten Bilder aus seiner Sammlung. Großer Wert wurde und wird darauf gelegt, das Werk für eine große Zielgruppe zugänglich zu machen. Und so finden immer wieder Workshops für Schulklassen und Kindergruppen statt, deren Produktionen mit viel Stolz ebenfalls gezeigt werden. Das leuchtende Weiß der Birken und der berühmte Worpsweder Himmel, die Brandungswellen der Nordsee und die Blumenpracht im Garten der Overbecks – die Kinder schauen genau hin und geben ihre ganz eigene Interpretation wieder.
Im Erdgeschoss betreten wir Neuland. Hier eröffnete vor wenigen Wochen erstmalig ein Café, das „Erlesenes“. Malte Prieser ist begeistert über den Neuzugang: „Ich bin soo stolz! Damit ist das Haus fit für die nächsten 20 Jahre. Die Besucher haben schon ewig den Wunsch nach einer guten Gastronomie im Haus. Und das alte Packhaus wird jetzt zum ganzheitlichen Kulturzentrum.“
“Erlesenes” für Genießer
Die Betreiberin des Café ist Kerstin Prause. Sie kennt das Gastronomiegeschäft bereits, war sie mit dem „Erlesenes“ doch zunächst einige Häuser weiter in der Alten Hafenstraße ansässig. Doch die neue Location ist für sie ein riesiger Gewinn. Als wir den Gastraum betreten ist sie ein wenig platt und berichtet, dass morgens schon siebzig Menschen zum Frühstück ins Café gekommen waren (so können beispielsweise auch die Übernachtungsgäste des Schulschiffs Deutschland, das am Vegesacker Hafen liegt, hier ihr Frühstück einnehmen). Doch sie ist glücklich über die neuen Räumlichkeiten „Der Zuspruch hier im Packhaus ist großartig. Wir haben so viele neue Gäste, alle komplett unterschiedlich, ob junge Mütter, Seniorengruppen oder Studenten der Jacobs University, alles ist vertreten. Einfach toll!“
Dass das Café eine Herzensangelegenheit von Kerstin und ihrem Team ist, zeigt sich auf den ersten Blick. In jeder Ecke lässt sich etwas entdecken. Ob Deckenlampe mit Tafelbesteck, poppige Tapeten oder Retrolook im Gestühl, hier ist so einiges in liebevoller Handarbeit entstanden. Auch Kerstins Vater, ein ehemaliger Bootsbauer, hat fleißig mitgeholfen. Einige der Möbel und Einrichtungsgegenstände sind auch zu kaufen, eine Kooperation mit dem Laden 38 um die Ecke.
Ein Blick auf die Speisekarte verrät, wie sehr sich Kerstin Prause mit dem alten Packhaus, seiner Geschichte und dem Standort identifizert. So gibt es beispielsweise ein Hermine und ein Fritz Overbeck Frühstück. Die frischen Kuchen haben inspirierende Namen wie Weserwelle oder Vegesack Torte. Mein Tipp: Unbedingt mal das „Erlesenes Triple“ probieren. Das sind drei verschiedene Kuchensorten zum Dahinschmelzen. Und abends wird Barkeeper Christian Cocktails mit spannenden Namen wie Kit.O oder Sex on the Ferry kredenzen. Ach ja, ab September gibt es sogar ein eigenes Kito-Eis. Ki-rsch/To-blerone. Genial! Ihr merkt schon, mich hat das neue Café sofort in seinen Bann gezogen! :-)
Für Malte passt das Erlesenes in das Gesamtkonzept wie Deckel auf Topf. Der Dreiklang lautet nun: Hören (im Kito), Sehen (im Overbeck-Museum) und Genießen (im Erlesenes). Doch das neue Café verfügt sogar über eine eigene kleine Bühne, so dass hier in Zukunft ebenfalls Veranstaltungen und Konzerte stattfinden können.
„Wir haben hier eine tolle Kooperation, sprechen uns ab, ergänzen uns.“ Maltes Meinung nach bietet das Erlesenes eine wunderbare Kulisse für Gespräche vor oder nach dem Besuch eines Konzertes oder der Ausstellung an. „Wer weiß, ob man hier nicht nach den Veranstaltungen noch bei einem Bier oder Wein ins Gespräch mit den Künstlern kommt“.
Eine echte Kaffeehauskultur ist auch Kerstins Ziel. Sie wünscht sich angeregte Gespräche, Diskussionen, Gedankenaustausch und Lebendigkeit für ihr neues Projekt.
Und so zieht sich die Liebe zum Haus und zur eigenen Arbeit durch das gesamte alte Packhaus. Das spürt auch Malte als Koordinator und „Chef“ des Kulturbüro Nord. Für ihn sind es eben auch und besonders die Menschen, die das Haus mit Leben erfüllen, die Mitarbeiter und vielen Ehrenamtlichen. „Wir brennen für unsere Sache und das überträgt sich auch auf das Publikum“, stellt er fest.
Sein Fazit für die weitere Entwicklung von Kito und Co.? „Wir haben schon viel geschafft in den letzten Jahren. Aber es ist auch noch viel Luft nach oben. Wir entdecken neue Zielgruppen, neue Ideen und neue Kooperationen.“ Gerade die Gesamtentwicklung der Alten Hafenstraße liegt dem Team am Herzen. Als Teil der Maritimen Meile Vegesack, als Ort, der die Menschen anzieht und als attraktiver wie authentischer Teil Vegesacks. „Wir freuen uns auf die zukünftige Arbeit“, sagt Malte. Und das glaube ich ihm. Wer mit so viel Liebe an seinem Projekt arbeitet kann nur erfolgreich sein.
Die Ausstellung zum 25 jährigen Jubiläum des alten Packhauses endete am 4. Oktober 2015.
Mehr Infos über die Attraktionen im Bremer Norden gibt es hier.
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