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14.9.2016 - Anette Tautz

Digitalisierung aus Sicht der Containerlogistik

Maritime Wirtschaft und Logistik

Wie die gesamte Logistikkette durch eine Datencloud verbunden werden kann

Die Digitalisierung verändert derzeit alle gelernten wirtschaftlichen Prozesse. Doch jede Branche wird anders davon beeinflusst. Was Digitalisierung aus Sicht der standardisierten Containerlogistik bedeutet, und wie im Forschungsprojekt ProDiS an branchenspezifischen Anwendungen gearbeitet wird, erläutert Dr. Ingo Starke. Er ist Geschäftsführer in der Firmengruppe Friedrich Tiemann.


Herr Starke, welchen logistischen Schwerpunkt hat die Firma Friedrich Tiemann?

Die Anfänge unseres Unternehmens gehen zurück ins Jahr 1905, als die Firma von Friedrich Tiemann als Stauerei gegründet wurde. Seither haben wir uns stetig weiterentwickelt. Unsere Hauptgeschäftsfelder liegen heute in den Bereichen Container-Depot mit Container-Reparatur, Container-Frachtstation, Containerhandel, Exportverpackung sowie der Lkw- und Landmaschinentechnik. An den Standorten Bremen und Bremerhaven verbinden wir Tradition mit Innovation.


Was erwarten Sie von einer Digitalisierung der Logistik?

Wir haben ein großes Interesse daran, den Datenaustausch zwischen Teilnehmern innerhalb der Logistikkette zu verbessern und engagieren uns daher im Forschungsprojekt ProDiS, um hier neuartige Lösungen zu erarbeiten. Die Firma Friedrich Tiemann ist im Bereich der standardisierten Containerlogistik tätig. An unseren beiden Standorten in Bremen und Bremerhaven erhalten wir Warensendungen, die wir für den Weitertransport auf See verpacken und in Container stauen. Wöchentlich beladen unsere Mitarbeiter etwa 300 Container – hinzu kommen Landmaschinen, Maschinenteile oder auch ganze Anlagen. Hier wird die Digitalisierung einen Beitrag leisten, Prozesse noch effizienter, zuverlässiger und kostengünstiger zu gestalten. Insbesondere treiben wir die weitere Vernetzung mit Kunden und Partnern voran.

Welches Ziel verfolgt das Forschungsprojekt ProDiS?

Der Name des Projekts gibt die Zielsetzung bereits an: ProDiS – „Prozessinnovation durch digitale Dienstleistungen für den Seehafen der Zukunft“. Das Forschungsvorhaben startete im November 2015 und ist aktuell in der Analysephase. Das Verbundprojekt erarbeitet Konzepte für die Entwicklung und Integration modularisierter und skalierbarer digitaler Dienste für in der Hafenwirtschaft tätige Unternehmen und erprobt sie im betrieblichen Umfeld. Es geht um unternehmensübergreifende, cloudbasierte Lösungen, in der Teilnehmer der Logistikkette relevante Daten einpflegen und abfragen können. Die damit verbundenen Prozesse sollten automatisiert ablaufen können. Aus den Forschungsergebnissen könnten neue Geschäftsmodelle entstehen. Das Projekt wird vom Bundesforschungsministerium gefördert und läuft noch bis 2019.


Wer sind die beteiligten Forschungspartner?

Es gibt sechs Projektpartner: Das Bremer Institut für Produktion und Logistik GmbH (BIBA) als Institut an der Universität Bremen besteht aus den zwei Forschungsbereichen „Intelligente Produktions- und Logistiksysteme“ und „Informations- und Kommunikationstechnische Anwendungen in der Produktion“.

Das Institut für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) ist seit über 60 Jahren eines der führenden europäischen maritimen Forschungs- und Beratungsinstitute.

Axtrion, ein Spin-Off der Luft- und Raumfahrtindustrie, ist ein IT- Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen und entwickelt innovative Technologien für den Mittelstand.

Mit der LSA Logistik Service Agentur GmbH haben wir ein unabhängiges Logistikplanungs- und Managementunternehmen für Fourth Party Logistics, also einer Dienstleistung ohne Einbringung eigener Betriebsmittel, im Projekt.

Für den Bereich der Schwergutlogistik ist die Firma Kronschnabel & Franke dabei, die seit mehr als 50 Jahren im norddeutschen Raum als Spezialist für Schwertransporte und Großkraneinsätze tätig ist.

Schließlich deckt die Firma Friedrich Tiemann im Projekt den Bereich der Containerlogistik ab.

Wieso ist für die Entwicklung einer Softwarelösung ein ganzes Forschungsvorhaben nötig?

Industrie 4.0 und Digitalisierung sind nicht nur Technologiethemen – und deutlich mehr als nur die Entwicklung von Softwarelösungen. Diese Themen werden auch entscheidenden Einfluss auf die zukünftigen Arbeitsbereiche unser Mitarbeiter haben. Produktionsumgebungen und Logistiksysteme werden zunehmend miteinander vernetzt, und sie werden sich selbst organisieren und steuern. Arbeitsplätze werden sich verändern.

Im Projekt analysieren wir, wo und wie Digitalisierung in der Containerlogistik intensiver als bisher eingesetzt werden kann.


Produktionsunternehmen zeigen Industrie 4.0 bereits in der Umsetzung: Robotereinsatz, hohe Automatisierung, Echtzeitkommunikation, Datenbrillen, und 3D-Drucker, um nur einige Beispiele zu nennen. Im Bereich der Hafen-Logistik ist die Digitalisierung noch nicht so weit fortgeschritten. Für die sehr unterschiedlichen Bereiche Containerlogistik und Offshore-Windindustrie suchen wir digitale Lösungen, die informativ, planerisch oder auch operativ eingesetzt werden können. Containerlogistik bedeutet hierbei: große Ladungs- und Datenmengen sowie wiederkehrende und standardisierte Abläufe. Der Offshore-Bereich ist eher gekennzeichnet von vergleichsweise geringen Mengen (Losgröße 1+), dafür mit großen Ausmaßen und Gewichten. Transporte und Umschlagstätigkeiten sind wetterabhängig und mit behördlichen Auflagen und Genehmigungen versehen.


Was versprechen Sie sich als Firma Friedrich Tiemann von diesem Forschungsvorhaben?

Für uns ist es eine Gelegenheit, uns intensiv mit dem Thema Digitalisierung auseinanderzusetzen. Wir wollen nicht nur auf Impulse der Industrie reagieren, sondern eigene Akzente setzen und Lösungen vorschlagen, die allen Beteiligten in Industrie und Logistik nützen. Es ist ein hochaktuelles Thema für alle Branchen, doch jede Branche versteht natürlich etwas anderes unter Digitalisierung und Industrie 4.0. Deshalb suchen wir nach Lösungen, die für uns passen und uns zukunftsfähig machen.

Logistik zeichnet sich dadurch aus, dass sie wie eine Kette aufgebaut ist: Nacheinander sind verschiedene Partner an Prozessen beteiligt.

Logistikdienstleister sind heute immer mehr auch in die Produktion eingebunden. Daher ist es notwendig, ständige Medienbrüche zu vermeiden und einen Datenaustausch zu fördern.


Dr. Ingo Starke, Firma Friedrich Tiemann

Nicht immer gibt es Datenschnittstellen, und so bleibt der kleinste gemeinsame Nenner oft die E-Mail. Das ist natürlich nicht State of the Art – diese Art des Datenaustauschs bedeutet sehr viel manuelle Tätigkeit, ist entsprechend fehleranfällig und liefert außerdem keine Informationen in Echtzeit. Das hohe Datenaufkommen in der Containerlogistik bedingt daher auch für uns leistungsfähige IT-Lösungen – nicht nur intern, sondern auch zu unseren Kunden und Partnern.

Wieso ist der Datenaustausch so wichtig?

Bisher gibt es einen intensiven Datenaustausch nur unter Vertragspartnern. Mit dem vorherigen, beziehungsweise nächsten Partner in der logistischen Kette gibt es unter Umständen jedoch keine Vertragsbeziehungen, und daher auch keinen nenenswerten Datenaustausch.

Ein Beispiel aus unserem Alltag: In unserer Container-Frachtstation erhalten wir täglich Lieferungen von Speditionen. Wir wissen zwar vorher, welche Fracht geliefert wird, allerdings kennen wir nicht den genauen Lieferzeitpunkt. Gleiches gilt für die Anlieferung von leeren Containern in unserem Depot. Der Bereich außerhalb unseres Betriebsgeländes ist bisher quasi eine ‚Black Box‘ für uns. Auf diese Ungewissheit reagieren wir mit größtmöglicher Flexibilität und dem Vorhalten von gewissen Kapazitäten. Trotzdem kommt es bei ca. 400 LKW-Bewegungen pro Tag vor, dass Wartezeiten entstehen oder vorgehaltene Kapazitäten nicht genutzt werden. Beide Situationen kosten Geld – entweder unsere Partnern oder uns. Diese Situation könnte verbessert werden, wenn man aus den Bewegungsdaten der LKWs die Ankunftszeiten ableitet und unser Betrieb mit einer entsprechenden Kapazitätsplanung darauf reagieren kann.


Welche Schwierigkeiten könnten sich bei der Entwicklung cloud-basierter Logistiklösungen ergeben?

Auf technischer Seite ist heute schon sehr viel möglich, das zeigen entsprechende Studien und Forschungsprojekte. Für Neuerungen und Veränderungen muss man aber empfänglich sein und sie aktiv nach vorn bewegen. Gerade in der mittelständisch geprägten Hafenwirtschaft ist der Wille zur Entwicklung und Umsetzung von innovativen Dingen nicht sonderlich stark ausgeprägt – das jedenfalls ist mein Eindruck. Wie schon angedeutet werden sich Prozesse, Arbeitsumgebungen und die Organisation von Unternehmen ändern. Hier müssen frühzeitig die richtigen Weichen gestellt werden. Innerbetriebliche Aspekte lassen sich aber mit der richtigen Einstellung lösen. Schwierigkeiten sehe ich eher im unternehmensübergreifenden Bereich. Unternehmen brauchen Anreize, sich zu vernetzen und intensiv Daten und Informationen auszutauschen. Gerade in der Logistik, innerhalb von supply chains, ist es wichtig, dass sich auch Akteure miteinander vernetzen, die in keiner Vertragsbeziehung miteinander stehen. Dafür bedarf es kluger Lösungen und Anreize. Neben langjährigen Vertragsbeziehungen gibt es in der Logistik immer wieder Ad-hoc-Kooperationen: kurzfristige Geschäftsbeziehungen – speziell in der Projekt-Logistik – in denen es keine enge Zusammenarbeit gibt. Hier fällt man bisher immer wieder zurück auf Excel und E-Mail. Auch für solche kurzfristigen Partnerschaften werden leistungsfähige Daten- und Informationsbeziehungen benötigt. Diese müssen schnell und kostengünstig zu etablieren sein – ähnlich dem Prinzip „plug & play“. Um dies zu erreichen, müssen digitale Lösunge standardisiert und skalierbar sehr. Hier gibt es enormes Entwicklungspotential.

Welche Anreize gibt es für Unternehmen, ihre Daten zur Verfügung zu stellen – für andere einsehbar?

Natürlich muss die Datennutzung rollenbasiert sein. Jedes Unternehmen erhält nur die Daten, die es auch braucht. Daten und Informationen dürfen keine Rückschlüsse auf Geschäftsmodelle, Preise oder Lieferanten zulassen.

Logistikunternehmen haben erkannt, dass es nicht mehr reicht, Waren von A nach B zu bringen oder sie einfach umzuschlagen. Gerade in der Container-Logistik sind viele Prozesse im Handling der Container standardisiert, die dazugehörigen Datenströme sind es jedoch nicht. An vielen Stellen gibt es individuelle Software-Lösungen oder gar Unterbrechungen bei der Datenweitergabe. Industriekunden haben noch nicht die gewünschte und geforderte Transparenz in der Logistikkette – und schon gar nicht in Echtzeit.

Logistikern muss klar werden, dass die schnelle und umfassende Datenweitergabe mindestens genauso wichtig ist, wie der Umschlag und Transport von Gütern und Containern. Nur so lassen sich Produktion und Logistik enger vernetzen, Transport- und Vorhaltezeiten verkürzen, Lagerbestände reduzieren und insgesamt Prozesse noch effizienter gestalten. Die digitale Strategie wird nicht nur für Logistikunternehmen in den nächsten Jahren zum bestimmenden Erfolgsfaktor.


Herr Dr. Starke, vielen Dank für das Gespräch!


Mehr zum Thema erfahren Sie bei Dr. Ingo Starke, Container Service, Friedrich Tiemann & Sohn GmbH & Co. KG, Südweststraße 33, 28327 Bremen, Tel.: 0421 64909-49, istarke@tiemann.de


Mehr zum Thema Maritime Wirtschaft und Logistik erfahren Sie hier oder bei Jörg Kautzner,

Clustermanager Logistik und Automotive, Tel.: 0421 361-32172, joerg.kautzner@wah.bremen.de


Mehr zum Thema Digitalisierung erfahren Sie hier oder bei Andreas Born, Innovationsmanager Industrie 4.0, Tel.: 0421 361-32171, andreas.born@wah.bremen.de

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