Bauen in der Krise
ImmobilienstandortFünf Ansätze, die den Weg aus der Krise weisen
Steigende Baukosten und hohe Zinsen setzen Immobilienunternehmen und private Bauherrinnen und -herren unter Druck. Gleichzeitig bleibt die Suche vieler Menschen nach bezahlbarem Wohnraum erfolglos. Die Immobilienbranche sucht nach Lösungen.
Es ist eine Negativspirale: Während die Nachfrage in einigen Sektoren einbricht, geraten bekannte Immobilienunternehmen und private Bauherren unter Druck, bleibt die Suche vieler Menschen nach bezahlbarem Wohnraum erfolglos. Ein Dickicht von Baunormen, Auflagen und oftmals bürokratisch zugespitzten Genehmigungsprozessen verbaut verbliebene Wege auch denen, die sich durchkämpfen wollen. Und dann gibt es ja noch das große ökologische Thema: Nichts geht mehr ohne hohe - und teure - Standards hinsichtlich Nachhaltigkeit und Energieeffizienz.
Die unmögliche Quadratur des Kreises, sagen die einen, eine heilsame Zuspitzung der Krise, die den Weg zur Bewältigung öffnet, meinen andere. Wie kann einfacher, innovativer, bezahlbarer gebaut werden? Muss es immer ein teurer Neubau sein? Lässt sich der Aufwand für Baugenehmigungen reduzieren und damit die Umsetzung von Bauvorhaben kapitalschonend beschleunigen?
5 Thesen für die Immobilienwirtschaft in der Krise
„Bauen ist heute faktisch unmöglich“, sagte Dr. Andreas Mattner, Präsident des Zentralen Immobilien Ausschuss e.V. (ZIA), und fügte hinzu: „Wer heute baut, geht bankrott.“ Projektentwickler im Wohnungsbau kämen angesichts gestiegener Kosten erst bei einer Durchschnittsmiete von 21 Euro pro Quadratmeter auf eine schwarze Null. In ihrem Frühjahrsgutachten kommt der Rat der Immobilienweisen zu dem Ergebnis, dass in Deutschland bis zum Jahr 2027 ohne Gegensteuerung durch Steuersenkungen und Förderung rund 830.000 Wohnungen fehlen könnten.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden in 2023 insgesamt 260.100 Baugenehmigungen für Wohnungen erteilt – 26,6 Prozent weniger als im Vorjahr und die niedrigste Zahl seit 2012. Die Zahl der Baugenehmigungen sei ein „wichtiger Frühindikator für die zukünftige Bauaktivität, da Baugenehmigungen geplante Bauvorhaben darstellen.‟
Baugenehmigungen in Deutschland 2023
- Antrag von/Genehmigung für Privatpersonen: 81.300 Wohnungsvorhaben (-42,2 Prozent zum Vorjahr)
- Antrag von/Genehmigung für Unternehmen: 117.700 Genehmigungen (-20,3 Prozent zum Vorjahr)
- Antrag von/Genehmigung für öffentliche Hand: 11.000 (-12,1 Prozent zum Vorjahr)
- Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser: -39,1 Prozent zum Vorjahr
- Baugenehmigungen für Zweifamilienhäuser: -48,3 Prozent zum Vorjahr
- Baugenehmigungen für Mehrfamilienhäuser: -25 Prozent zum Vorjahr
Quelle: Destatis
Laut Bundesstatistik gilt dieser Trend auch für Büros, Lagerhallen oder Fabrikanlagen (genehmigte Nichtwohngebäude), bei denen sich der umbaute Raum mit 199,5 Millionen Kubikmetern im Vergleich zum Vorjahr um 15,7 Prozent reduzierte und damit auf den niedrigsten Stand seit 2015 fiel.
Auch in Bremen und Niedersachsen ist die Zahl der Baugenehmigungen in 2023 laut einer Aufstellung des Bauindustrieverbands Niedersachsen-Bremen e.V. stark gesunken. Demnach wurden im vergangenen Jahr knapp 19.000 neue Wohnungen und damit 40 Prozent weniger als im Vorjahr genehmigt. „Das ist schon als dramatisch zu bezeichnen‟, sagte Bauunternehmer Johann Gottfried Stehnke vor der Presse als Vertreter des Bauindustrieverbands in Bremen bei der Präsentation der Zahlen im März dieses Jahres. Vielen Wohnungsbaugesellschaften fehle das Geld für Neubauten, gleichzeitig müssten sie aufgrund gestiegener Anforderungen erheblich in die Sanierung ihres Gebäudebestands investieren, ergänzte Holger Muhle vom Bremer Bauunternehmen Kathmann. „Wir werden nachher schön sanierte Wohnungen haben – aber viel zu wenig". Ein weiteres Ansteigen der Mieten sei zu befürchten.
Bremen wäre nicht das, was es heute ist, wenn die Hansestadt es in ihrer langen Geschichte nicht immer wieder geschafft hätte, Krisen als Chance zu nutzen. Im herausfordernden Gesamtszenario der Bau- und Immobilienbranche lassen sich in Bremen aktuell auch hellere Farbtöne ausmachen.
Zwar habe die Anfang 2022 beschlossene Zinswende der EZB zu „größeren Turbulenzen‟ und zu einem Einbrechen des Investitionsmarktes geführt. Aber inzwischen scheine „der erste Schock überwunden zu sein – die Bremer Märkte passen sich an‟, heißt es im aktuellen Immobilienmarkt-Report 2023 der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH. Der Wohnraumbedarf „(bleibe) in der Stadt Bremen unverändert hoch‟. Weiter vorangetrieben werden neue Stadtquartiere. So entstehen unter anderem im Hulsberg-Viertel circa 1.000 Wohneinheiten, im Tabakquartier und in der Gartenstadt Werdersee werden voraussichtlich bis Ende dieses Jahres 220 bzw. 600 neue Wohnungen geschaffen. Für Entlastung sorgt aktuell auch die Gewoba mit ihrem Neubauproprogramm: 500 Wohnungen sind im derzeit im Bau, 500 weitere „in fortgeschrittener Planung‟, wie Gewoba-Chef Christian Jaeger in einem Presseinterview erläuterte.
Als Fels in der Brandung hat sich in Bremen der Markt für Büroimmobilien erwiesen. Ein großes Potenzial entwickelt sich derzeit mit zahlreichen Neubauprojekten in der Überseestadt. Allerdings zeichnet sich hier seit diesem Jahr ein deutlicher Rückgang der Bautätigkeit ab, wie im Immobilienmarkt-Report 2023 der WFB nachzulesen ist: „Gerade spekulative Projektentwicklungen werden unter den unsicheren Rahmenbedingungen auf Eis gelegt.‟
Ein sicherer Anker bleibt auch der dynamische und wachsende Markt für Logistikimmobilien. Aktuell sind Hallen mit einer Gesamtfläche von 3,3 Millionen Quadratmetern in Betrieb. Der Umsatz im Bereich der Neubauten und Revitalisierungen ist in 2023 auf 110.000 Quadratmeter gestiegen (Vorjahr: 42.700 Quadratmeter). Ein Ende der Dynamik ist vorerst nicht in Sicht.
Andreas Heyer, Vorsitzender der Geschäftsführung WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH
These 1: Sanieren im Bestand als zentrale Aufgabe begreifen
Zu den vielen Stimmen, die sich jetzt zu Wort melden, gehören Unternehmen wie die e+k upcycle GmbH & Co. KG (Starnberg), die sich als „Beratungsexperten für zukunfts-, klima- und sozialgerechte Transformation von Immobilien‟ (Eigendarstellung) verstehen. Geschäftsführer Michael Heigl machte auf einer der bekannten Polis Keynotes Veranstaltungen in Bremen, die dem kontinuierlichen Austausch mit der Immobilienwirtschaft gewidmet sind, keinen Hehl aus seiner Grundüberzeugung: „Im Bestand steckt meines Erachtens die Zukunft.‟
„Die Sanierung von Immobilien ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Der Gebäudebestand in Europa ist größtenteils überaltert. 80 Prozent der heutigen Bestandsgebäude werden auch im Jahr 2050 existieren. Dies führt dazu, dass die Weiterentwicklung und Sanierung immer mehr an Bedeutung gewinnt, um den Anforderungen der EU-Klimastrategie gerecht zu werden. Vor allem auch, um das ausgegebene Nullemissionsziel bis 2050 zu erreichen‟, rechnen die Experten von e+k upcycle vor. 52 Millionen Tonnen Bauschutt jährlich seien zu viel, die Deutsche Umwelthilfe argumentiere, durch Sanierung ließen sich 1,1 Millionen Tonnen CO2 jährlich einsparen, und Umbau statt Neubau sei häufig günstiger.
Woran ich appellieren möchte, ist, dass man weggeht von diesen Monostrukturen, also wirklich reinen Büroobjekten oder reinen Wohngebäuden. Ich denke, eine nachhaltige Stadtgesellschaft oder auch ein nachhaltiges Gebäude braucht den Nutzungsmix.
Michael Heigl, e+k upcycle GmbH & Co. KG
These 2: Intelligenten Nutzungsmix fördern führt zu mehr Nachhaltigkeit
Darüber hinaus gelte es, „die Kunst des intelligenten Weglassens‟ zu verfeinern, zum Beispiel durch eine Konzentration auf das technisch Notwendige. Schließlich plädiert Heigl für eine Abkehr von „Monostrukturen‟: „Woran ich appellieren möchte, ist, dass man weggeht von diesen Monostrukturen, also wirklich reinen Büroobjekten oder reinen Wohngebäuden. Ich denke, eine nachhaltige Stadtgesellschaft oder auch ein nachhaltiges Gebäude braucht den Nutzungsmix.‟ Die Starnberger sind dabei, ihre Vision von „Multi-Use‟ am Umbau des Galeria Kaufhof-Gebäudes in Worms zu verwirklichen, mit einer Mixtur aus Einzelhandel, Gewerbe, Büros, Bildungseinrichtungen und Wohnen.
These 3: Einfacheres Baurecht führt zur Reduzierung der Baukosten
Dass die gegenwärtige Krise in der Bauwirtschaft eine Chance bietet, „für die Bauwende endlich mal etwas zu tun‟, davon ist Elisabeth Gendziorra, Geschäftsführerin des BFW Landesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen Nordrhein-Westfalen e.V. überzeugt. Auf Bundes- und Landesebene setzt sich der mittelständisch geprägte Verband für eine Reduzierung der Baukosten und gezielte staatliche Förderprogramme ein. Wesentliche Kostentreiber sind für den Verband das komplizierte (föderal ausgerichtete) Baurecht, eine lange Liste von Auflagen sowie schwer finanzierbare Standards. Gendziorra: „Kommunen, Bund und Länder, diese drei Gesetzesebenen sind für 25 Prozent der Baukosten durch Auflagen verantwortlich.‟
Kommunen, Bund und Länder, diese drei Gesetzesebenen sind für 25 Prozent der Baukosten durch Auflagen verantwortlich.
Elisabeth Gendziorra, Geschäftsführerin des BFW Landesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen Nordrhein-Westfalen e.V.)
KfW 40 Standard, ein besserer Schallschutz, mehr Brandschutz, eine qualitativ hochwertigere Fassadengestaltung, attraktivere Außenanlagen – in den zurückliegenden (Niedrigzins-) Jahren seien die Ansprüche immer weiter gestiegen, argumentiert die Verbandsfunktionärin. Ein Aufwand, der aktuell so nicht mehr darstellbar sei. Beim BFW habe man zudem untersucht, welche Kosten langwierige Baugenehmigungsverfahren verursachen. Nach eigenen Berechnungen liege der Wert derzeit bei vier Prozent der jeweiligen Gesamtprojektkosten.
These 4: Weniger Föderalismus wagen
Ganz oben auf der Agenda stehen für die Freien Immobilien- und Wohnungsunternehmen einheitliche Landesbauordnungen, noch besser: eine einheitliche Bundesbauordnung. Die Reduzierung von Komplexität müsse einhergehen mit weiteren Erleichterungen: „Die Kommunen stöhnen, aber es muss sein, weil Bestandsumbau nur möglich ist, wenn man Erleichterungen zulässt‟, sagt Elisabeth Gendziorra. Typhäuser in Serie? Engere Abstände von Wärmepumpen zum Nachbargrundstück? Einfachere Fassaden? Weniger Pkw-Stellplätze? Niedrigere Kfw-Standards? Alles möglich und kostensparend, für den mittelständischen Bauverband ist die Wunschliste noch um einiges länger.
Von Nachbarn lernen
Wie gehen unsere europäischen Nachbarn mit dem Thema um? Kann man sich dort etwas Erfolgreiches abschauen? Die Krise in der (Wohnungs-) Bauwirtschaft hat ja nicht nur Deutschland getroffen. Jemand, der davon nicht nur aus Exkursionen und Delegationsreisen nach Dänemark oder in die Niederlande berichten kann, sondern aus eigener beruflicher Praxis, ist Julia Gottstein, die seit Jahren als Senior Architect für das Associate UNStudio (Amsterdam) tätig ist.
Auf eine heftige Baukrise und Wohnungsnot haben die Niederländer laut Gottstein bereits 2010 reagiert, mit einer Sondierung zwischen dem, was an Baunormen wichtig und notwendig ist und sonstigen Standards, die sich auch kostensparend vereinfachen lassen. Gottstein: „Über das ganze Land wurden beispielsweise alle sicherheitstechnischen Normen vereinfacht und gleich erstellt. Warum müssen in Deutschland unter anderem unterschiedliche Brandschutzkonzepte und Brandschutznachweise in Köln, in Bremen und München erstellt werden?‟
These 5: Effizienz schaffen durch digitale Projektplattformen und produktive Diskussionen
Als zweiten Baustein einer Strategie für mehr Effizienz, Transparenz und Kosteneinsparung nennt die Architektin das niederländische „Umgebungsgesetz‟ von 2017, mit dem „Prozesse zu synchronisieren, zu vereinheitlichen und zu digitalisieren (sind). Das Umgebungsgesetz ist im Prinzip ein Rahmen, den die Regierung in Den Haag vorgestellt hat, in dem jede Gemeinde selbst noch mal verschiedene Regularien nachschärfen kann. Die Stadt muss alle Beteiligten aber immer an einen Tisch bekommen‟, erläutert Gottstein. Alle Projektdetails sind in diesem Verfahren öffentlich zugänglich über eine digitale Dokumentation.
Hinter dem Funktionieren eines uns vielleicht kompliziert erscheinenden Abstimmungsprozesses steckt laut Gottstein eine kulturelle Besonderheit der Niederländer: „Bei den Holländern ist ein viel kollaborativerer Ansatz vorhanden. Es wird viel mehr miteinander diskutiert und ausverhandelt, es wird viel produktiver nach Lösungen gesucht. Wir in Deutschland schauen viel zu oft darauf, was alles nicht funktioniert.‟ Für diese konstruktive Herangehensweise gibt es in den Niederlanden einen spziellen Begriff: das „Poldern‟ – eine Diskussion fördern.
Miteinander diskutieren und gemeinsam nach Lösungen suchen – dieses Ziel verfolgen auch Bürgerbeteiligungen, die in Bremen bei der Gestaltung von Quartieren zunehmend zu einem Standard geworden sind. Marcel Linnemann, Geschäftsführer des Bremer Immobilienunternehmens Justus Grosse und unter anderem engagiert bei der Entwicklung des Tabakquartiers in Bremen-Woltmershausen, empfiehlt, das Instrument „Bürgerbeteiligung‟ verantwortungsvoll zu nutzen: „Ich glaube, es ist ganz, ganz wichtig, die Menschen mitzunehmen, ihnen das Projekt vorzustellen, sich auch Wünsche anzuhören und diese wahrzunehmen.‟ Um die Glaubwürdigkeit des Prozesses nicht zu gefährden, sei es essentiell, vorgetragene Wünsche auch tatsächlich zu berücksichtigen. Linnemann: „Wenn man Bürgerbeteiligung anbietet, dann muss man auch wirklich etwas davon umsetzen und umsetzen können.‟
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