Welche Immobilien braucht die Innenstadt der Zukunft?
ImmobilienstandortEin Kommentar von Andreas Heyer, Vorsitzender der WFB-Geschäftsführung
Offen, flexibel und in unser Leben integriert – Büroimmobilien gerade in Innenstadtlagen werden sich in den kommenden Jahren stark wandeln. Ein Blick in die Zukunft der Innenstadtimmobilie.
Die Corona-Krise hat das Arbeitsleben für viele Menschen stark verändert. Homeoffice und Remote-Work sind Alltag geworden. Werden Arbeitnehmende nach der Pandemie wieder zurück in ihre Büros kehren oder suchen sie andere Arbeitsformen?
Heute verändern sich die Ansprüche der Menschen zusehends: Wohnungen werden immer größer, das Bevölkerungswachstum nimmt ab, aber der Platzbedarf zu. Der Klimawandel stellt zudem neue Anforderungen an Wohnen, Mobilität und Wirtschaften.
All das wirkt sich auf die Immobilien aus, in denen wir leben und vor allem: arbeiten. War lange Zeit die Funktionstrennung das große Ideal der Stadtplanung – Wohnen im Außenbezirk, Einkaufen in der Innenstadt, Arbeiten in Innenstadtlagen und im Gewerbe- oder Industriegebiet – brechen diese Strukturen heute vermehrt auf.
Warum ist das so? Und wie gehen wir damit um?
Der Mensch im Mittelpunkt der Immobilienentwicklung
Antworten darauf gaben die Expertinnen und Experten der polis Keynote Bremen im April 2021 – einem Impulsformat der Wirtschaftsförderung Bremen in Kooperation mit dem Stadtentwicklungsmagazin polis Magazin für Urban Development .
Sie sehen den Menschen in Zukunft im Mittelpunkt aller Entwicklungen. Im Wettstreit um die Fachkräfte werden diejenigen Firmen künftig attraktiv sein, die ihren Angestellten ein ideales Umfeld bieten. Dazu gehört auch ein anziehendes Gebäude, ein Arbeitsplatz, an dem Arbeitnehmende gerne und produktiv ihre Zeit verbringen.
Wie sieht ein solches Gebäude aus? Es verfügt über offene Arbeitsräume, die sich flexibel an den Bedarf anpassen, Arbeitsplätze, die zugleich Präsenz- und mobile Arbeit erlauben, dazu Anreize bieten wie eine gute Nahversorgung, schnelle Anbindung an den Verkehr (ob nun Individual- oder öffentlichen Nahverkehr) und Möglichkeiten, Fahrräder oder Elektrofahrzeuge abzustellen.
Immobilie in die Stadt integrieren
Hier kommt den Innenstädten eine neue Bedeutung zu. Denn als Arbeitsort sind Innenstädte nach wie vor attraktiv. Sie bieten gute Erreichbarkeit, ideale Nahversorgung und Urbanität – also die Möglichkeit, schnell und unkompliziert mit anderen in Kontakt zu kommen. Zudem bieten sie nach wie vor Prestige – was im Wettkampf um die Talente auf dem Arbeitsmarkt zu einem relevanten Faktor für Unternehmen werden kann. Diese wollen auch in Zukunft ihren Angestellten eine attraktive Lage bieten, trotz Homeoffice. Dazu später mehr.
“Gemischt genutzten urbanen Quartieren, in denen man Wohnen und Arbeiten, aber auch seine Freizeit verbringen kann, werden die Gewinnerstandorte der Zukunft sein”, fasste es Kristina Vogt, Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa zusammen.
Um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, müssen sich die Innenstädte jedoch wandeln – weg vom Konzept der Einkaufsstädte, hin zu öffentlichen Räumen mit Wohlfühlatmosphäre, die allen Nutzenden einen Mehrwert bieten. Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Essen, Erleben, Handwerken und kreativ tätig sein. “Wir müssen Anziehungspunkte schaffen”, bestätigte auch Kurt Zech, Gründer und Vorstand der Zech Group während der polis Keynote.
Wie kann das gelingen? Ein wichtiger Punkt ist die Öffnung des Erdgeschosses in Büroimmobilien. Sie stellen für Unternehmen die Verbindung zur Außenwelt dar – werden aber noch nicht als solche begriffen. Öffnen Immobilienentwickelnde ihre Erdgeschosse, können sie Raum für Gastronomie, für Workshops und Angebote, für das Zusammentreffen und kreativ Zusammenarbeit bieten.
„Der Umbau der bestehenden Stadt ist eine Herkulesaufgabe. Immobilienentwickler müssen Verantwortung für den öffentlichen Raum übernehmen“, sagte etwa Achim Nagel, Geschäftsführer von Primus Development auf der polis Keynotes Bremen im April 2021.
Mehr als Dienst am Gemeinwohl
Diese Öffnung ist dabei keine altruistische Tat, kein reiner Dienst am Gemeinwohl. Die Arbeitnehmenden werden sich in Zukunft vermehrt zu solchen Angeboten hingezogen fühlen, die einen attraktiven Arbeitsplatz bieten und die eine Mehrfachnutzung zulassen: arbeiten, zusammentreffen, essen und trinken an einem Ort. Die Rendite des Erdgeschosses wird sich somit künftig nicht mehr allein über die vermietete Ladenfläche generieren (die durch zunehmende Leerstände ohnehin bedroht ist), sondern durch den Mehrwert, den sie den darüber liegenden Stockwerken bietet.
Zudem werde der Einzelhandel in Zukunft eher Showrooms in den Innenstädten einrichten, prognostizierte Unternehmer Kurt Zech - Bestellung und Lieferung der Ware würden dann über das Internet geschehen.
Reduktion der Fläche oder Neuorientierung?
Der Trend hin zu mehr Kollaboration und zum gemeinsamen Arbeiten, verbunden mit Remote Work – das wirkt sich auch auf die Bürofläche selbst aus. Können Unternehmen künftig Platz einsparen, wenn Beschäftigte vermehrt mobil arbeiten? Werden Unternehmen Coworking-Angebote wahrnehmen und Flächen teilen? Ja und nein, war der Tenor der polis Keynotes.
Sandra Tewes vom Immobilieninvestor Corpus Sireo sieht eine Flächenreduktion von 10 Prozent bis 2025 – also nur ein marginales Einsparpotenzial. Kurzfristig werde der Hype rund um Remote Work überschätzt und Unternehmen werden wieder zu einer höheren Präsenzarbeit zurückkehren. Langfristig werde es aber eine Veränderung der Flächennutzung geben. “Auswirkungen werden kurzfristig überschätzt, aber langfristig unterschätzt. Veränderungen brauchen Zeit!”, sagte der Managing Director.
Wo individuelle Büroflächen wegfallen oder kleiner werden, entstehen neue Orte, die mehr gemeinsames und kreatives Arbeiten, mehr Wohlfühlatmosphäre ermöglichen und so die Gesamtproduktivität steigern. Das Desksharing wird dabei nicht zum Standardfall werden – Unternehmen werden auch künftig an Einzelarbeitsplätzen pro Beschäftigten festhalten, auch wenn einen Teil ihrer Zeit im Homeoffice verbringen.
Statt nach Einsparpotenzial in der Flächenanmietung zu schauen, wird es eher wichtig, sich zu fragen: Haben die Angestellten die Umgebung, die sie benötigen, um optimal zusammenzuarbeiten – innerhalb des Unternehmens, abteilungsübergreifend aber auch unternehmensübergreifend?
Hier kommt das Konzept des „öffentlichen Wohlfühlraumes“ wieder ins Spiel, das somit direkt in Flächenüberlegungen mit hereinspielt. Die Stadt der Zukunft braucht deshalb offene, flexible Immobilien, die Raum nicht nur für Unternehmen bieten, sondern Angebote an die gesamte Stadtgesellschaft machen, um Talente anzuziehen und kreatives Zusammenarbeiten zu fördern. “Wir brauchen Mut, Neues zu denken und neue Wege zu gehen”, brachte es Prof. Johannes Busmann, Herausgeber des Stadtentwicklungsmagazins polis während der Diskussionsrunde der Keynote treffend auf den Punkt. Mut und Visionen – und die Bereitschaft sowohl der Immobilienwirtschaft als auch der Stadtgesellschaft, die Verantwortung für diese Entwicklung mitzutragen.
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