Gemeinsam gegen den Fachkräftemangel: Wie Bremer Unternehmen sich gegenseitig unterstützen
StandortmarketingFachkräftemangel – ein Begriff, der immer wieder zu hören ist. Ob in der IT- oder in der Gesundheitsbranche: Arbeitgebende suchen händeringend nach qualifiziertem Personal, denn davon hängt der Erfolg als Unternehmen ab.
Bremen geht das Thema Fachkräfte als Teamaufgabe an: Die Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa und die WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH organisieren in regelmäßigen Abständen einen Stammtisch, der sich an Personalverantwortliche aus der Wirtschaft richtet und zum Austausch einlädt. Ein Gespräch mit Dr. Yvonne Bauer, Referentin für Arbeit 4.0 und Fachkräfte bei der Senatorin für Wirtschaft, Arbeit und Europa, und Nadja Niestädt, Projektleitung Marketing bei der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH.
Frau Niestädt, Frau Dr. Bauer: Seit wann gibt es den Stammtisch für Personalverantwortliche und wie ist er entstanden?
Yvonne Bauer: Es fing damit an, die Fachkräftestrategie des Bremer Senats auszuwerten, Fragen zu beantworten wie: Wo stehen wir gerade und wo liegen die Herausforderungen darin, Fachkräfte zu finden und zu halten? Was erleben Personalverantwortliche in ihrer täglichen Praxis?
Nadja Niestädt: Die WFB wurde daraufhin gebeten, diesen Prozess zu gestalten und zu begleiten, daraus entstand der Auftrag für eine Workshop-Serie. Im November 2018 fand die erste Veranstaltung statt. Über die Workshops hatten wir die Möglichkeit, Nähe zu Firmen aufzubauen, zu halten und intensivieren – daraus hat sich ein besonderes Netzwerk gebildet.
Dieses „Kind“ haben wir schließlich Stammtisch für Personalverantwortliche genannt. Auch wenn es keine Stammtische im klassischen Sinne sind, sondern Netzwerkveranstaltungen – es gibt immer Input, Impulse und einen Austausch zwischen den Teilnehmenden. Bremen ist ein attraktiver Standort mit vielen tollen Unternehmen. Uns war es wichtig, anderen die Chance zu geben, diese kennenzulernen, deswegen sind wir mit der Veranstaltung gerne dort zu Gast.
Bauer: Trotzdem hat der Stammtischcharakter von Beginn an gepasst, denn die Unternehmen laden als Gastgeber:innen ein. Wir haben von Anfang an gemerkt, dass sich das Konzept bewährt, weil es einen größeren Erfahrungsaustausch ermöglicht. Das hat auch eine Basis geschaffen, die uns letztendlich durch die Coronazeit getragen hat.
Input, Impulse und Erfahrungsaustausch – ist es das, was den Stammtisch so erfolgreich macht?
Bauer: Der Stammtisch lebt davon, dass Betriebe bereit sind, sich in die Karten schauen zu lassen. Es ist immer wieder überraschend, wie offen sich die Firmen zeigen. Außerdem entsteht ein wichtiger Dialog von den Unternehmen hin zu Politik und Verwaltung. Themen aus dem Stammtisch können wieder im Ressort und in der Wirtschaftsförderung aufgegriffen werden.
Niestädt: Einer der letzten Stammtische behandelte zum Beispiel das Thema Kinderbetreuung. Mit dabei: Senatorin Kristina Vogt und zwei Staatsräte – Ebenen, die sonst für Unternehmen nicht so schnell erreichbar sind.
Bauer: Auch für die Senatorin ist der Stammtisch eine gute Möglichkeit, um mit den Firmen in Kontakt zu treten. Wann bietet sich schon einmal die Möglichkeit, mit 40 Unternehmen gleichzeitig zu sprechen? Wir freuen uns, dass sie sich dafür viel Zeit nimmt. Lernen voneinander ist auch in diesem Zusammenhang wichtig.
Niestädt: Wir haben mit dem Stammtisch eine wertschätzende Vertrauensbasis geschaffen, indem wir offen gezeigt haben: Auch wir haben nicht das Patentrezept. Aber wir können voneinander lernen, wenn wir uns austauschen. Das ist das Ziel des Stammtisches.
Erinnern Sie sich an einen prägenden Moment, in dem der Wert des ehrlichen Austauschs greifbar wurde?
Bauer: Ja, direkt beim ersten Stammtisch. Die Gastgeberin war OHB, es ging um deren Strategie, Fachkräfte zu rekrutieren. Hinterher hieß es dann: Ihr habt es leicht, Arbeitsplätze in der Raumfahrt sind beliebt. Aber was müssen andere Arbeitgeber:innen tun, um zukünftig für Fachkräfte attraktiv zu sein? Daraus resultierte ein großes Thema: Jobportale für Bremen und Bremerhaven.
Wer sind die Teilnehmenden, welche Firmen und Branchen sind häufig vertreten?
Niestädt: Wir arbeiten branchenübergreifend und unterstützen jedes Unternehmen. Manchmal gibt es auch gar keine branchentypischen Phänomene – auch ein IT-Unternehmen kann zum Beispiel von einem Gesundheitsunternehmen etwas lernen.
Bauer: Unter den Teilnehmenden sind Start-ups und Techfirmen, Großunternehmen aus der Industrie, aber auch Mittelständler und andere.
Niestädt: Manchmal sind nicht nur Personalverantwortliche dabei, sondern auch Marketing- oder Kommunikationsbeauftragte. In der Workshop-Phase haben auch schon Geschäftsführer:innen teilgenommen. Wir freuen uns immer über neue Teilnehmer:innen!
Bauer: … die vielleicht auch ein Thema platzieren wollen. Wenn sich jemand mit einem Vorschlag an uns wendet, finden wir eine Person, die innerhalb eines Vortrags beim nächsten Stammtisch Input geben kann.
Das bringt uns zum nächsten Stichwort: Planung. Wie entsteht das Thema für einen Stammtisch, wenn es keine direkte Anfrage durch ein Unternehmen gibt?
Bauer: Ich orientiere mich an der Fachkräftestrategie für Bremen – darin stehen viele Themen, die wir angehen wollen. Zum Beispiel „Dual Career“, das für den nächsten Stammtisch geplant ist. Dabei handelt es sich um etwas, das uns Unternehmen immer wieder mit auf den Weg gegeben haben. Genauso kann es passieren, dass neue Themen auftauchen.
Eine Frage, die wir von vielen Unternehmen seit der Coronakrise gehört haben: Wie können wir aktiv um unser Personal werben und die Kurzarbeit zur Erarbeitung sogenannter „Future Skills“ nutzen, um nach der Pandemie gut aufgestellt zu sein? Das haben wir als Anlass für einen Stammtisch zum Thema Kurzarbeit genommen und viel Zuspruch von den Unternehmen erhalten.
Nach vier analogen Formaten fand der Stammtisch seit Juni 2020 bedingt durch die Corona-Krise digital statt. Was hat sich seitdem verändert?
Niestädt: Es war keine Frage, das Ganze auch digital weiterzuführen. Inzwischen schauen wir auf neun Stammtische zurück, von denen fünf digital stattfanden. In den analogen Zeiten hatten wir im Durchschnitt rund 50 Teilnahmen, digital rund 35. Die analogen Stammtische waren im Ablauf meistens ähnlich. Ein Unternehmen stellte sich als Gastgeber:in mit einem Personalthema vor: Wer bin ich und was mache ich für die Personalgewinnung und -bindung?
Bauer: Besonders der letzte Stammtisch zum Thema „Frauen in Führungspositionen“ hat sehr dafür gesprochen, dass es inzwischen nicht mehr nur darum geht, wie sich Unternehmen darstellen und bewerten, sondern auch darum: Was ist in meinem Unternehmen gerade los, wie kann ich neue Zielgruppen erreichen? Wir haben zum Beispiel durch Digital Media Women eine Studie über die Bremer Wirtschaft beauftragt, um Unternehmen mit Frauen an der Spitze zu identifizieren.
Eine andere zentrale Frage seit Corona lautet: Wie kommunizieren Personaler:innen in dieser Situation? Und wie können wir aus Führungskräften Teamplayer machen, die es schaffen, auch im Homeoffice den Draht zu Mitarbeitenden zu halten? Hier ist Sozialkompetenz sehr wichtig.
Wie können sich Personaler:innen zusätzlich Unterstützung holen?
Niestädt: Unsere Internetseite „Fachkräfte für Bremen“ hat sich auch als digitale Plattform weiterentwickelt. Neben dem Stammtisch stellen wir für Personaler:innen eine Toolbox bereit, in der Materialien und Informationen liegen, die bei der Personalgewinnung eingesetzt werden können. Wir freuen uns über Hinweise, falls dort etwas fehlt.
Bauer: Es gibt auch Werbematerial, um die Fachkräftestrategie überregional zu unterstützen, zum Beispiel englische Videos über Bremen. Unternehmen können das Material einfach herunterladen, um es für ihre Rekrutierung zu nutzen.
Wenn die Pandemie einmal überstanden ist, welche Themen werden dann auf der Tagesordnung stehen? Können Sie einen Ausblick geben?
Bauer: In Zukunft wird es immer relevanter, Fachkräfte überregional und international zu gewinnen. Städte wie Hamburg und Berlin sind hier immer noch im Vorteil, aber Bremen und Bremerhaven bieten viel Potenzial. Faktoren wie die grüne Umgebung oder die familiäre Atmosphäre unserer Stadt können auch für die Akquise von Fachkräften noch wichtiger werden.
In der Postpandemiephase müssen sich Unternehmen auch wieder mehr mit dem Thema Weiterbildung beschäftigen, Stichwort: Digitalisierung/KI. Was müssen langjährige Mitarbeitende in Zukunft können und wie können sie diese Kompetenzen erwerben? Das wollen wir uns unter dem Thema Ressourcenmanagement anschauen. Im Bereich Kompetenzmanagement gibt es bereits viele Schulungen. Aber nicht nur Digitalisierung, auch zum Stichwort Nachhaltigkeit entstehen viele Fragen. Was bedeutet eigentlich nachhaltiges Wirtschaften? Hier geht es um Querschnittstechnologien, die branchenübergreifend relevant werden.
Frau Dr. Bauer, Frau Niestädt, vielen Dank für den spannenden Austausch!
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