Immer scharf am Wind – Mühlen in Bremen
TourismusDen alljährlichen Mühlentag am Pfingstmontag nehme ich zum Anlass, mir in Bremen mal zwei Windmühlen von innen anzuschauen. Wie noch zwei weitere im Bremer Stadtgebiet stehen auch sie an der Niedersächsischen Mühlenstraße, die auch durch Bremen führt.
Es ist ein traumhafter Frühlingsmorgen, an dem ich mit dem Rad zur Oberneuländer Mühle fahre. Die Bäume und Pflanzen könnten nicht grüner sein und der warme Geruch von Frühling liegt in der Luft. Ich bin verabredet mit Jan Werquet und Christian Vogel vom Focke-Museum. Seit den 1970er Jahren gehört die alte Mühle nämlich zum Museum und dient der Anschauung, um Schulklassen und anderen Interessierten das alte Müllerhandwerk nahezulegen. Nach dem Eintreten landet man daher auch erst einmal in der interaktiven Ausstellung. Hier kann per Hand Korn gesiebt und gemahlen werden und alle relevanten Werkzeuge von der Sense bis zur großen Ofenkelle, mit der das Brot aus der Hitze geangelt wurde, sind ausgestellt.
Aufstieg in die Vergangenheit
Wir halten uns nicht lange auf, sondern machen uns an den Aufstieg – immer entlang der Außenwände des Steinunterbaus der Mühle. Die Treppenaufgänge werden von Max-und-Moritz-Bildern von Wilhelm Busch begleitet – irgendwie makaber. Auf der dritten Ebene gelangen wir in den mit Reet bedeckten Aufbau, wo der ursprüngliche Mahlraum der 1848 erbauten Mühle noch erhalten ist. Es riecht nach altem Holz und ich kann es quasi Knacken und Ächzen hören, während ich mit dem Kopf im Nacken staunend das Skelett aus dicken und dünneren Holzbalken, aus Zahnrädern und Drehwinden betrachte. Auch Christian Vogel stellt fest, wie ausgeklügelt das ganze System ist. Jan Werquet zeigt auf verschiedene Zahnräder, die mit vertikalen Achsen verbunden werden können. „Sie treiben die Mühlsteine an“, sagt er. „Das eigentliche Herzstück der Mühle liegt natürlich noch weiter oben im Kopf, wo die große Achse die Windkraft auf ein vertikales Zahnrad überträgt“, erklärt Jan Werquet. Was er damit genau meint, zeigt er mir anhand des detailierten Modells, das hier in einem Glaskasten den alten Aufbau der Mühle veranschaulicht.
Ein Käfer, ein Bösewicht
Allerdings drehen sich die Flügel momentan nicht – so habe ich schon unten von meinen beiden Begleitern erfahren. Denn die große Achse sei aktuell mit einer Manschette fixiert. Schuld daran trägt ein Käfer – genauer gesagt: der bunte Nagekäfer. Wie sein Name schon verrät, hat er das Holz der großen Flügelachse morsch gefressen. Weil man kein Risiko eingehen will, ist die Mühle also kurzum stillgelegt worden. Selbiges ist übrigens auch einige Kilometer weiter westlich der Horner Mühle widerfahren – sie ist momentan sogar ganz flügellos und sieht etwas nackig dadurch aus.
Jan Werquet erzählt, dass es sich bei dieser Mühle um einen sogenannten Galerieholländer handelt. Das ist quasi die Typbezeichnung. Die hölzerne Galerie, die am oberen Ende des steinernen Unterbaus einmal herumgeht, wurde für Wartungsarbeiten an den Flügeln genutzt. Auch die anderen drei Windmühlen, die an der Mühlenstraße in Bremen stehen, sind von diesem Typus. Sie sind in Horn und in Arbergen sowie in den Bremer Wallanlagen zu finden. In Bremen-Nord im Stadtteil Blumenthal ist auch noch eine erhalten.
Im Zentrum der Macht
Einige Tage später radel ich in die Innenstadt zur zentralsten Mühle der Stadt. Heute ist sie weit und breit ein Einzelstück, doch in vergangenen Zeiten standen hier in den Wallanlagen 15 Exemplare – auf fast jeder Ausbuchtung der zackenförmigen Befestigungsanlage um die Stadt herum eine.
Die erste Mühle an dem Standort der heutigen Wallmühle ist schon 1699 erbaut worden, schließlich wurde 1898 dann die aktuelle Mühle errichtet. Sie hat als einzige Pleiten, Feuer und Kriege überlebt. Nach dem Krieg vermietete die damalige Müllerin einen Teil der Mühle an einen Verwandten, der eine Fahrschule betrieb. Seit 1997 ist im unteren Teil mit schönem Außenbereich das Restaurant Kaffeemühle zu finden. Als ich ankomme, ist gerade emsiger Mittagstisch-Betrieb. Ich setze mich an einen Tisch in der Sonne und ein Blick in die Karte lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Über mir drehen sich die vier Windmühlenflügel langsam im Wind. Ab und zu meine ich ein leises Quietschen zu vernehmen.
In windigen Höhen
Etwa eine halbe Stunde später finde ich mich im Kopf der Mühle, 29 Meter über dem Erdboden, wieder. Über mir dreht sich mit unnachgiebiger Wucht die große Kurbelwelle – übrigens nahezu lautlos. Sie ist aus Stahl und daher nicht vom bösen Käfer gefährdet.
Ich kraxel gerade eine abenteuerliche Holzstiege nach oben und balanciere dann über einen dicken Dachbalken, um Franz Schnelle über die Schulter schauen zu können, wie er die Achse mit Rindertalg einfettet. Seit 20 Jahren kümmert er sich im Auftrag der Mühlenvereinigung Niedersachsen-Bremen um alte Mühlen in der Region. Die Wallmühle kennt er in und auswendig – und die Geschichte des Mühlenwesens auch. Auf den bisherigen Etagen hab ich etwas über die Mahlsteine gelernt, über verschieden Kornarten, über Schälmaschinen und Siebvorrichtungen. Ich habe auch erfahren, dass die Ursprünge der Windmühlen in Afghanistan liegen.
Franz Schnelle erzählt außerdem etwas zum Müllerhandwerk und zu den damals vorherrschenden politischen Strukturen. Die Müller seien mit einem Anteil des Korns der Bauern bezahlt worden, den sie einbehielten und wiederum davon einen Teil weiter an ihren Verpächter reichten. Oft habe man ihnen vorgeworfen, dass sie die Kornbauern über den Tisch ziehen würden. In den 1950 Jahren ging dann schließlich die Müllertradition gezwungenermaßen zu Ende. Die Müller traten ihre Kontingente an industrielle Großmühlen ab, die wiederum die Rente der Müller übernahmen.
Ausblick in die Zukunft
Auf dem Weg nach oben lassen wir auch die Galerie nicht aus: Als ich hinaustrete, fällt mein erster Blick direkt auf eine Reihe Windräder am Bremer Horizont. Gewissermaßen stehe ich also gerade mitten in der Vergangenheit und blicke in Richtung Zukunft – Industrialisierung: vorher, nachher. Linkerhand rauschen beharrlich die riesigen Flügel über die Galerie hinweg. Zwölf Meter misst einer. Herr Schnelle erzählt, dass der Mühlkopf samt Flügeln an die 22 Tonnen wiegt. Ich habe ordentlichen Respekt und achte tunlichst darauf, nicht versehentlich in die Umlaufbahn der Flügel zu geraten.
Zurück auf festem Boden, bin ich irgendwie ein wenig beruhigt. Es war für mich durchaus recht abenteuerlich in über 100-jährigem Gebälk herumzuklettern. Mein Blick wandert nach oben, zum Kopf der Mühle, in dem ich gerade noch war. Die Windrose an der Rückseite lenkt je nach Windrichtung den Kopf und steuert das gesamte System mit einer Kraftübersetzung von 1 zu 1000 – das weiß ich jetzt. Was das genau bedeutet, sollte man sich am besten von Franz Schnelle persönlich erklären und zeigen lassen (vielleicht ja am Mühlentag). Nur soviel vorneweg: Wenn ein kleines Zahnrad ein viel größeres Zahnrad in Bewegung setzen soll, dann geschieht das sehr langsam aber mit einer ungeheuren Kraft.
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