Ein Schwabe in Bremen
TourismusSeit zwei Jahren wohnen wir in Bremen. Wow, wirklich? Schon? Jetzt fällt mir erst auf: das ging echt schnell. Ich deute das mal als erstes gutes Zeichen für meine neue Heimatstadt Bremen.
Ich komme aus Stuttgart und geb’s gleich zu: für den gemeinen Schwaben ist Bremen ein Recht unbeschriebenes Blatt. Die Bremer Stadtmusikanten kennt er, Werder selbstverständlich auch, aber dann wird’s doch schon recht dünn. Alles jenseits von Frankfurt ist für ihn, nun ja, Norddeutschland. Soweit so gut. Zugegebenermaßen: das sind natürlich plakative Klischees. Daher jetzt mal Hand auf’s Herz, oder besser gesagt: Budder bei de Fische: was macht Bremen aus Sicht eines Schwaben aus?
Die Sprache. Oder besser: der Schnack
Zunächst sei festgestellt: das Deutsch eines Bremers ist so rein und klar wie ein Glas Lesumer Urquell. Auf einen Schwaben wirkt das natürlich erstmal hanseatisch vornehm: man wird sich bewusst, welch provinzielles Gebruddel man sein ganzes Leben lang von sich gegeben hat, ohne es je wirklich bemerkt zu haben. Doch auch das Bremische hat seine Besonderheiten. Tüdeln zum Beispiel. Ein sehr praktisches Wort. Hatte ich vorher noch nie gehört, mittlerweile habe ich es jedoch fest in meinen Wortschatz integriert. Wenn ich es richtig verstehe (korrigiert mich da gerne), tüdelt jemand, der etwas tut, was der allgemeinen Sache nicht zuträglich ist. Nichts besonders Schlimmes, aber eben auch nichts Sinnvolles. Hör mal auf rumzutüdeln, sagt man dann, um die Person wieder auf Spur zu bringen.
Was mir auch gefällt: um den Pudding gehen, klönen und dass alle einfach Brem sagen, wenn sie über ihre Heimatstadt sprechen. Woran ich mich jedoch nur ganz schwer gewöhnen kann: wenn jemand nach seiner Tante geht- das hört sich immer wieder falsch an.
Die Vorzüge des Flachlands
Ich habe in Bremen eine ganz neue Seite an mir entdeckt: ich bin velophil! Ja, so nennt man die Vorliebe fürs Radfahren angeblich. Und die ist inzwischen so ausgeprägt, dass ich mich kaum noch anders fortbewege. Das hat natürlich seine Gründe: erstens ist Bremen so flach, dass die Gangschaltung fast überflüssig ist. Dicker Pluspunkt! Zweitens sind die Fahrradwege extrem gut ausgebaut, die Stadt respektiert und fördert das Radfahren. Das zeigt sich auch im Stadtbild: für mich hat es etwas erfrischend Fortschrittliches, so viele Radfahrer zu sehen. In der Autostadt Stuttgart hingegen nehmen es höchstens ein paar Hartgesottene mit dem Verkehr, den Abgasen und den kaum vorhandenen Radwegen auf.
Hier ticken die Uhren langsamer
…und das hat Charme. Hier ist eben nicht Hamburg, Berlin oder München. Bremen ist kein Trendsetter und tut gar nicht erst so. Das ist entspannend: die Leute wirken nicht so getrieben nach Aufmerksamkeit, nach Mode, nach Abgrenzung. Während man anderswo grübelt, ob man gewissen Dresscodes entspricht und sich fragt, ob es diesen Sommer wohl angesagter ist Hugo oder Aperol Spritz zu trinken, liegt der Bremer mit einem Hemelinger am Osterdeich und genießt das Leben. Sehr sympathisch – da bin ich sofort dabei.
Auch der Vereinheitlichung durch die globalen Ladenketten hält Bremen noch wacker stand. Ich liebe es durch die Stadtteile zu spazieren und mir die verschiedenen Geschäfte anzusehen. Allein in unserer Straße in Walle gibt es Einzelhändler für Elektronik, Rollläden, Lampen, Gemüse, Hüte, Bücher – alle inhabergeführt. Bremer Kaufleute, denke ich dann immer, sind traditionell hart aber genauso fair. In der Realität sind sie vor allem eins: gute Gesprächspartner – ich werde immer bestens beraten. Als mein Rasierapparat defekt war hat der Elektrohändler mir ein 7 Euro Ersatzteil bestellt, anstatt mir einen neuen aufzuschwätzen. Ich war gerührt. Das kannte ich von den Elektrodiscountern so nicht. Seitdem schnurrt das Gerät wieder wie ein Kätzchen und ich winke freundlich durch die Scheibe, wenn ich an dem Geschäft vorbeilaufe. Ich kann also jeden nur ermutigen, diese manchmal unscheinbaren Geschäfte in der Nachbarschaft zu unterstützen, sie tragen so viel zum einzigartigen Stadtbild bei.
Gelebte Vielfalt
Bremen ist bunt. Und heterogen, wie man so schön sagt. Und genau darin liegt die Stärke dieser Stadt. Denn eines wird immer wieder offensichtlich: die Bremer sind mehrheitlich recht tolerante Zeitgenossen. In den Eckkneipen von Findorff treffen sich Fans des gepflegten Brettspiels, in der Neustadt (und anderswo) wird „Urban Gardening“ betrieben und in Walle kommen regelmäßig Kurzfilmfans zusammen. Die Aufzählung könnte ich endlos fortführen. Die Stadt schafft ihren Bewohnern kreative Räume und so können unterschiedlichste Menschen ihren Neigungen nachgehen. Dabei lassen sie sich gegenseitig gewähren. Da fühlt man sich auch als Schwabe gleich wohl. Eine Straßenbahnfahrt ins Weserstadion mit meinem roten VfB Stuttgart-Schal habe ich bereits schadlos überstanden. Klar, ein paar Sprüche musste ich kassieren, aber das sollte man wohl abkönnen. Und ja, mir ist bewusst, dass der VfB inzwischen in der 2. Liga spielt (edit: der Wiederaufstieg ist in trockenen Tüchern. Yes!).
Wie das Rollo, so die Menschen
Dieser Bericht wäre unvollständig, wenn das Rollo unerwähnt bliebe. Bremens kulinarischer Fingerabdruck. Die gerollten Teigfladen gehen immer. Und sie sind wohl genauso fest in Bremen verankert wie der Roland. Nirgendwo sonst ist mir der Rollo vorher untergekommen, doch auf Bremer Speisekarten ist er allgegenwärtig. Und jeder mag ihn. So finden anständige Bremer Partynächte gerne mal bei einem gemeinsamen Rollo ihr Ende. Vielleicht kein Zufall, dass sich die Bremer so sehr mit dem Gericht identifizieren: es ist zwar keine besonders edle Kreation, dafür bodenständig, aufrichtig und man weiß, was man bekommt. Passt zu Bremen, wie ich finde.
Gastbeitrag von Stefan Krieger
Zum Autor
Stefan Krieger liebt das Reisen und das Schreiben. Im Idealfall macht er beides gleichzeitig. Gemeinsam mit seiner Frau Aylin hat er das Buch 101 Dinge, die ein Weltenbummler wissen muss verfasst. Außerdem bloggt er regelmäßig über die ganz großen Themen des Reisens auf www.todaywetravel.de.
Erfolgsgeschichten
Seit 2018 setzen die Themenjahre in Bremen innovative Impulse für Stadtmarketing und regionale Wirtschaftsförderung. Sie stärken den Tourismus in der Hansestadt und fördern vielseitige Kooperationen. WFB-Projektleiterin Kristina Brandstädter weiß, was das Bremer Modell erfolgreich macht und welche Ansätze andere Städte nutzen können.
Mehr erfahrenIn der neuen Episode unseres Podcasts geht es um den Werder Bremen-Faktor: Das Verhältnis von Fußball, Sport und Wirtschaft in Bremen. Mit dem Vorsitzender der Werder-Geschäftsführung Klaus Filbry und WFB-Geschäftsführer Oliver Rau.
zum PodcastBremen gehört seit Anfang November 2024 offiziell als Street Art City zu den exklusiven Partner:innen der international agierenden „Street Art Cities“-App.
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