Das Tischlerei-Museum: Versteckter Schatz
TourismusMitten im Milchquartier verbirgt sich im Hinterhof eines alten Häuserblocks ein wahrer Schatz: das Tischlerei-Museum. Von der Köpkenstraße aus durch eine Unterführung des Vorderhauses erreichbar schmiegt sich die Anlage an die Rückseite der umliegenden Häuser. Die ehemalige Tischlerei konserviert über 100 Jahre Handwerksgeschichte. Wer sich hier umschaut, reist weit zurück und erhält einen tiefen Einblick auch in Bremer Stadtgeschichte.
Ich bin mit dem 1. Vorsitzenden des Fördervereins Tischlerei-Museum Bremen e.V. verabredet. Herr Baethke möchte mir einen Einblick ins Museum ermöglichen und empfängt mich bereits an der Ecke zur Köpkenstraße. Hier, so erklärt er, habe man einen seltenen Blick von außen auf das historische Gebäude der Tischlerei. Tatsächlich mache ich kurz darauf einen alten Backsteinschornstein durch eine schmale Baulücke aus.
Ich bin etwas irritiert und frage, wofür eine Tischlerei einen Abzug braucht. Herr Baethke hat die Antwort parat: „Die Tischlerei wurde in den 1880er Jahren in ihrer heutigen Form gegründet. Damals betrieb man die Maschinen mit Dampfkraft und noch nicht mit Strom.“
Wenige Minuten später stehen wir auch schon im Innern der Hinterhofanlage vor einer über zwei Meter hohen Dampfmaschine. Beim Betreten der Tischlerei durch einen hausunterführenden Gang hat es mir kurz die Sprache verschlagen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sich hier wenige Meter vom brodelnden Alltagsleben des Viertels ein solcher Schatz versteckt. Ehrlich gesagt, hab ich mit einem kleinen Raum mit ein paar wenigen verstaubten Maschinen gerechnet, als ich zum ersten Mal am Schaukasten des Tischlerei-Museums in der Köpkenstraße vorbeikam. Jetzt aber stehe ich in einer großen Halle mit zahlreichen großen, mittelgroßen und kleinen Holzbearbeitungsgeräten, die allesamt historische Dimension ausstrahlen. Jede der schweren, gusseisernen Maschinen scheint ihre ganz eigene Geschichte aus über 100 Jahren Handwerks- und Industriearbeit erzählen zu wollen.
Herz und Adern der Anlage
Bevor wir uns die einzelnen Arbeitsgeräte genauer anschauen, zeigt mir Herr Baethke ausführlich das Herz der Anlage: die zweizylindrige, aufrecht stehende Dampfmaschine. Sie ist zwar nicht das Original der Tischlerei, aber baugleich. Die alte Dame hat locker 100 Jahre auf dem Buckel, erfahre ich. Auf Knopfdruck zeigt mir Herr Baethke, dass sie dennoch voll funktionsfähig ist. Ein nachträglich eingebauter Elektromotor bringt die Zahnräder, Kolben und Gestänge in Bewegung – allerdings in deutlich langsamerem Tempo als zu dampfbetriebenen Zeiten. Das Wasser hierfür wurde übrigens durch eine Grundwasserpumpe, die noch im Original ausgestellt ist, nach oben zum Kessel befördert.
Die Dampfmaschine betrieb eine sogenannte Transmissionsanlage. Breite Bänder auf Rollen, die sich wie Adern durch die Halle in Bodenschächten verteilen, wurden durch die Kraft der Maschine zum Laufen gebracht. An sie konnte an jeder Arbeitsstation die jeweilige Maschine angedockt und so in Betrieb genommen werden. Diesen Vorgang zeigt mir Herr Baethke, selbst gelernter Tischlermeister und inzwischen im Berufsbildungswerk als Lehrer tätig, beispielhaft an einer Bandsäge. Über eine Kontaktstelle schließt er die Säge an ein laufendes Transmissionsband an und tatsächlich beginnt sich das Sägeblatt kurz darauf zu bewegen. Fast alle Maschinen im Raum sind noch voll funktionsfähig, erfahre ich, während wir uns die anderen Arbeitsstationen anschauen.
Historische Ausmaße über das Handwerk hinaus
Ich tauche nicht nur immer tiefer ins Tischlerhandwerk ein, sondern nehme auch mal wieder eine gehörige Portion Bremer Geschichte in mir auf.
Herr Baethke erzählt, dass einst in der Köpkenstraße im Vorderhaus zwei Tischlereibetriebe direkt nebeneinander lagen. Als sich Ende der 1880er Jahre die Gelegenheit bot, legten die beiden Tischlermeister Heinrich Seebach und Gustav Deckwitz ihre Betriebe zu einem sogenannten Fabriken-Etablissement zusammen, schufen sich gemeinsam eine Dampfmaschine an und konnten so ihren Absatz erheblich steigern. Zudem vermieteten sie ihre Maschinen an kleinere Betriebe und ermöglichten auch diesen, vom technischen Fortschritt zu profitieren. Die Firma Seebach & Deckwitz war auf Fenster und Türen spezialisiert und hatte im Schnitt rund 25 Angestellte in ihren Hallen tätig.
Noch heute gehört auch das Vorderhaus, das sich bei genauerem Blick anhand gleicher Türen und Fassaden eindeutig als Doppelhaus erkennen lässt, zum Gesamtensemble dazu. Ebenso zählt ein kleines Einliegerhaus an der Rückseite des Vorderhauses zur Anlage.
Knapp 100 Jahre wirkte die Tischlerei durch mehrere Generationen hinweg, dann fand sich in den 1980er Jahren keine Nachfolge und die letzten Nachkommen meldeten schließlich den Betrieb bei der Handwerkskammer ab. Die Anlage stand kurz vor dem Abriss, doch dann wurde durch ein Gutachten des Focke-Museums ihr historischer Wert bestätigt und die Tischler-Innung Bremen rettete die alte Werkstatt samt Wohngebäuden, die sie vermietet. Seit 1992 ist der Förderverein tätig, 1995 öffnete man das hergerichtete Museum für die Öffentlichkeit. Heute können Interessierte im Sommerhalbjahr (die Tischlerei ist nicht beheizt) an jedem zweiten Sonntag in Jahrhunderte alte Handwerksgeschichte eintauchen. Der Eintritt basiert auf Spendenbasis. Etwa 800 Besucherinnen und Besucher registriert der Verein jedes Jahr.
Für ein paar Fotos schlendere ich noch einmal durch die große Halle. Ich lasse meine Hände über die Maschinenoberflächen und Hölzer gleiten, stelle mir vor, wie es früher hier gewummert haben muss, wenn die große Dampfmaschine unablässig den ganzen Tag lief. Dazu das Kreischen der Sägen und Fräsen, wenn sie mit Holz in Berührung kamen. Ein Klopfen und Hämmern an verschiedenen Werkbanken. Holzstaub in der Luft.
Sicher keine leichte Arbeit, aber aus heutiger Sicht irgendwie fast romantisch. Ich freue mich beim Verlassen der Anlage darüber, dass ich diesen versteckten Schatz entdeckt habe. Von nun an werde ich beim Anblick des roten Backsteinschornsteins im Innern des Hinterhofs an der Köpkenstraße immer einen Hauch Holzgeruch in der Nase haben.
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