Zu Besuch im Wätjens Park
TourismusAuch im Bremer Norden sind Orte zu finden, an denen sich Stadtgeschichte erleben lässt. Einer dieser Orte ist der Wätjens Park – einst Landsitz der großen Bremer Kaufmanns- und Reedereifamilie Wätjen. Die historische Spurensuche lässt sich heute gut mit einem Spaziergang durchs Grüne verbinden. Wohlmöglich lässt sich dabei sogar ein Blick ins Schloss werfen und hier aktuelle Kunst in alten Gemäuern bestaunen.
Es ist noch fast sommerlich warm, als ich mich Mitte Oktober zum Wätjens Park nach Bremen-Nord aufmache. Der Himmel strahlt in klarem Blau und auch die Bäume sind noch erstaunlich grün. Nur das Licht der tieferstehenden Sonne verrät, dass es schon Herbst ist. Ich parke mein Auto am Südrand des Parks und betrete die Grünanlage über einen der kleinen Zugänge. Sofort werden die Geräusche der umliegenden Industrie von Bäumen und Büschen verschluckt. An ihre Stelle tritt Vogelgezwitscher. Ich schlendere über den Schotterweg in Richtung Westen. Hinter einer Hecke mache ich eine Obstwiese aus, anschließend gelange ich in einen ersten waldartigen Abschnitt. Am Wegesrand entdecke ich eine Futterkrippe für Rehe.
Im Laufe meines Rundgangs werde ich immer wieder feststellen, dass dieser Park aus ungewöhnlich viel Waldfläche besteht. Wer mal so richtig abtauchen möchte, der ist hier genau richtig. Mir begegnen zahlreiche Spaziergänger mit ihren Hunden. Immer wieder wandert mein Blick nach oben in die Baumkronen, durch deren Zweig- und Blätterwerk ich den blauen Oktoberhimmel ausmache. Ich atme tief ein.
Wie die Familie Wätjen sich einen Sommersitz schuf
Der Park erstreckt sich heute insgesamt über eine Fläche von rund 35 Hektar. Der Bremer Kaufmann und Reeder und spätere Senator Diedrich Heinrich Wätjen kaufte das Grundstück 1830 und machte es zum familiären Sommersitz. Als Landschaftsarchitekt wurde kein Geringerer als der Wallanlagenplaner Isaak Altmann beauftragt, der aus der Grünanlage einen Park im Stil englischer Landschaftsgärten machte. Nach Wätjens Tod übernahm sein Sohn Christian Heinrich 1858 die Betreuung des Anwesens. Er vergrößerte es auf rund 50 Hektar und ließ an mehreren Stellen Gebäude für sich und seine Kinder errichten. Das Herzstück entstand mitten drin: Wätjens Schloss im neugotischen Tudorstil. Er ließ außerdem im Park seltene Bäume pflanzen, die er teilweise sogar aus Übersee liefern ließ. Auch diese Vielfalt entdecke ich bei meinem Spaziergang.
Nach Gang durch einen kleinen Waldabschnitt, der mich kurz vergessen lässt, dass ich mich nicht in einem riesigen Waldgebiet, sondern in einem überschaubaren Park befinde, öffnet sich rechter Hand der Bewuchs. Der Blick auf einen Säulen Tempel wird frei. Diesen sogenannte Gedächtnistempel ließ Diedrich Heinrich Wätjen Junior 1888 in Gedenken an seinen Vater und Großvater errichten. Inmitten der von Säulen getragenen Kuppel ragt die Büste Christian Heinrich Wätjens empor.
Ich spaziere weiter durchs grüne Unterholz und gelange über einen schmalen Trampelpfad in die erste wirklich parktypische Szenerie. Hier, am nordwestlichen Ende des Parks, ist eine Art Rosen- und Blumengarten in Kaskadenform angelegt. Die Beete verlaufen über mehrere Stufen. Hinten ist gerade ein Gärtner am Werk. Über ihm ragen die Äste eines uralten Baums empor. Er wird durch dicke Stahlseile vorm Umfallen bewahrt. Rhododendren rahmen die Wege.
Zum Ersten Weltkrieg musste die Familie schließlich den Park aufgeben. Die einst größte Segelschiffreederei stand vor ihrem Aus. Die anliegenden Industriebetriebe Bremer Vulkan und Bremer Wollkämmerei kauften das Parkgrundstück auf und nutzten es für ihre Zwecke. Der Park verwilderte zunehmend und verfiel gewissermaßen in einen fast 100-jährigen Dornröschenschlaf. Aus diesem konnte er schließlich erst nach dem Konkurs der Bremer Vulkan-Werft 1997 wieder geweckt werden. Die Stadt übernahm das Gelände und restaurierte große Teile.
Die Begegnung mit der Kunst
Ich bin inzwischen am original erhaltenen Wätjens Brunnen vorbei von der Nordseite aus zum Schloss gelangt. Mein Weg führte vorbei an einer Gebäudeanlage aus rotem Backstein, die einst wahrscheinlich die Stallungen und Wohnort für die Angestellten der Wätjens darstellte. Auch heute scheint hier Wohnraum zu sein. Es wirkt sehr idyllisch.
Ich folge einem Schild in Richtung Schloss, das mir verrät, dass ich hier offensichtlich auch Kunst vorfinde. In mir regt sich ein leichter Kaffeedurst und ich träume schon von einem kleinen Café mit leckersten Heißgetränken und Kuchen im Angebot. Vor einem mächtigen Seiteneingang mit schweren Holztüren bleibe ich stehen. Auf einem Tisch steht eine leere Kaffeetasse und meine Hoffnungen steigen. Stattdessen erklärt mir die Frau, die hier gerade im Vorgarten arbeitet, dass sich im Innern leider kein Café befindet, sondern eine Privatwohnung. Dann bittet sie mich allerdings herein und verschwindet auf der Suche nach dem Hausherren. Etwas verwirrt von dem ungeahnten Szenenwechsel bleibe ich im Eingangsbereich des beeindruckenden Gewölbeflurs stehen. Vor mir auf dem Boden liegt ein riesiger schwarzer, sehr kuschelig aussehender Hund und schläft. Auf einem kleinen Tischchen entdecke ich Flyer, die mir nach kurzer Draufsicht verraten, bei wem ich hier gelandet bin. Ich stehe in der Wohnung des Künstlers Peter KF Krüger, der sich inzwischen in den Weiten seines Anwesens finden lassen hat und sich nun mit herzlichem Händeschütteln vorstellt. Er bittet mich herein. Während wir durch sein Esszimmer, seine Küche und wieder zurück in den Gewölbegang gehen, realisiere ich so langsam, dass hier überall an den Wänden Bilder des Künstlers hängen. Sein bekanntestes Motiv allerdings findet sich mitten in Bremen an der Ecke Rembertiring, Auf den Häfen, an der Giebelwand eines Hauses. Es heißt „Das Fenster“ und zeigt ein altes Paar, das aus einem Flügelfenster schaut.
Peter Krüger erzählt, dass er hier im Wätjens Schloss seit sieben Jahren wohnt und arbeitet. Auch in sein Atelier darf ich einen Blick werfen. Einmal im Monat öffnet er seine Türen auch der Öffentlichkeit. Wir sind inzwischen durch eine kleine Hintertür durch einen wunderschönen Innenhof hinüber in einen anderen Teil des Schlosses gegangen. Es gebe mehrere Wohnungen im Schloss und in einer weiteren, deren Tür er jetzt öffnet, würde seine Galeristin wohnen. Vor mir tut sich eine ziemlich schrill eingerichteten Wohnung auf und schon begrüßt mich Ulrike Kafka. Auch sie führt mich vollkommen selbstverständlich durch ihre privaten Räume, an deren Wänden ebenfalls unzählige Bilder von Peter KF Krüger hängen. Sie würde hier das Konzept einer Wohngalerie verfolgen, erklärt mir Frau Kafka. Ich bin ziemlich beeindruckt: Von der Einrichtung, den Bildern, dem Konzept und der Offenheit, mit der mir die Beiden begegnen.
Nach dieser netten Begegnung und der Erkenntnis, dass hier auch heute noch Geschichte fortgeführt wird, entlässt mich das Schloss wieder in den Park. Auf meinem weiteren Spaziergang freue ich mich immer wieder darüber, dass man manchmal auf der Suche nach einem Kaffee auf noch viel Besseres stoßen kann.
Ich mache noch einen kleinen Schlenker in den neueren Teil im Osten des Parks. Er wurde als Ausgleichsfläche für zuvor zerstörtes Grün im Zuge der Restaurierungen angelegt und unterscheidet sich von der Bepflanzung her deutlich vom Rest des Parks.
Als ich wieder in meinem Wagen sitze, fühlt es sich ein bisschen so an, als ob ich gerade aus einer Parallelwelt komme. Hier im Wätjens Park lässt sich hervorragend die Zeit vergessen und gleichzeitig in ein gutes Stück Bremer Geschichte eintauchen. Wer außerdem noch ein bisschen aktuelle Geschichte aufnehmen möchte, der kann ja mal bei Peter Krüger an die Tür klopfen.
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