Im Einsatz für die Care-Arbeit
WissenschaftSoziologin der Uni Bremen als „Bremer Frau des Jahres 2021“ ausgezeichnet
Wie ging es den Menschen, die Sorgearbeit leisten, in der Corona-Krise? Mit dieser Frage hat sich die Bremerin Dr. Sonja Bastin ausführlich beschäftigt und dafür eine Ehrung erhalten.
Einkaufen, putzen, Elternabende besuchen, mit dem Hund rausgehen, kochen, mit den Kindern Hausaufgaben machen oder emotionale Unterstützung bieten – all diese vermeintlichen Kleinigkeiten gehören für viele Menschen ganz selbstverständlich zum Alltag. Ob man sich nun um die Kinder, die alternden Eltern oder den Haushalt kümmert: Ohne unbezahlte Fürsorgearbeit geht es nicht in Familien, Partnerschaften und anderen Beziehungen. Doch die Aufgaben scheinen nicht gleichmäßig verteilt, wenn man auf die Zahlen schaut: Frauen investieren laut Bundesfamilienministerium pro Tag im Durchschnitt 52 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Sorgearbeit als Männer, Mütter sogar über 80 Prozent mehr als Väter.
Das ist nicht erst in Coronazeiten ein Problem: „Die Pandemie hat verdeutlicht, dass unser Sorgesystem nicht nur ungerecht, sondern auch instabil ist“, sagt die Bremer Soziologin Dr. Sonja Bastin von der Universität Bremen. Bastin wurde für ihre Arbeit zum Thema Care-Arbeit als „Bremer Frau des Jahres 2021“ ausgezeichnet. Damit gehört sie zu insgesamt elf Bremerinnen, die diese Ehrung erhalten haben. Mit der Auszeichnung möchte der Landesfrauenrat Bremen auf die Bedeutung von Care-Arbeiterinnen aufmerksam machen.
Forderung nach strukturellen Veränderungen
Studium der Soziologie und Sozialforschung an der Universität Bremen, Promotion am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock, seit 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bremer Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik – schaut man sich den Lebenslauf von Sonja Bastin an, wird schnell klar: Die Bremerin beschäftigt sich schon lange mit gesellschaftlichen Strukturen – und sie setzt sich für Veränderungen ein. Vor allem in der Corona-Krise sei deutlich geworden, dass zu wenig Rücksicht auf die Belange von Familien genommen wird. „Die Arbeit in den Familien wurde zu keinem Zeitpunkt als systemrelevant angesehen“, sagt Bastin. „Was Familien da leisten, ist aber die Basis für alles.“ Der Lockdown habe zwar die Aufmerksamkeit verstärkt auf das Thema Care-Arbeit gelenkt, doch gehe es in den öffentlichen Diskussionen weiterhin vor allem um den Bereich Betreuung und Kita-Ausbau. „Aber es ist nicht getan mit einer Ganztagsbetreuung“, betont die 37-Jährige. „Es sind tiefgreifende strukturelle Veränderungen nötig.“
Mehr Anerkennung für Sorgearbeit
Vor allem die mentale Belastung von Müttern sei in der Krise gewachsen. Doch welche Ansätze gibt es, damit Familien und Mütter im Speziellen mehr Zeit zum Durchatmen gewinnen? Die Wissenschaftlerin wünscht sich neben engmaschigen Beratungen auch aktive Entlastungsmöglichkeiten von außen für alle Familienmitglieder – beispielsweise indem diese im Haushalt unterstützt werden.
Die wichtigsten Bedingungen für eine langfristige gesellschaftliche Veränderung sind aus Sicht der „Bremer Frau des Jahres 2021“ zum einen, mehr Bewusstsein für das Thema Care-Arbeit zu schaffen. Und zum anderen, die Erwerbsarbeitszeit für Menschen auf 30 Stunden pro Woche zu reduzieren, damit genügend Zeit für gemeinnützige Tätigkeiten wie Kindererziehung, Pflege von Angehörigen oder andere soziale Aufgaben bleibt. Für diese Care-Arbeit sollte es nach Überzeugung Bastins zusätzliche Vergütungen geben. „Dann wäre ein echter zeitlicher und finanzieller Ausgleich da“, sagt Bastin.
„So etwas hilft, Dinge zu verstehen“
Sonja Bastin kommt aus einer Großfamilie, aufgewachsen in Stade. Auch weil sie sich damals mit um ihre jüngeren Geschwister kümmerte, lernte sie früh, was Care-Arbeit bedeutet. 2004 zog sie nach Bremen, um hier Soziologie und Sozialforschung zu studieren – in ihrer Arbeiterfamilie ein Novum. „Mich hat einfach schon immer interessiert, wie Familien durch gesellschaftliche Strukturen geformt werden“, erzählt die dreifache Mutter. „Das Studium war dahingehend sehr aufschlussreich.“ Die mit Fürsorgetätigkeiten verbundenen Herausforderungen im Alltag auch selbst permanent zu erfahren, empfindet sie als lehrreich: „So etwas hilft dabei, Dinge zu verstehen“, sagt Bastin.
Bremen als Vorbild für Chancengerechtigkeit
Es sind tief verwurzelte gesellschaftliche Strukturen, mit denen sich die Soziologin beruflich und privat immer wieder konfrontiert sieht. Fürsorgearbeit bedeutet viel Verantwortung, aber wenig Wertschärtzung. Sie weiß: Wenn man etwas erreichen will, muss man den Finger in die Wunde legen. Schon vor der Corona-Krise machte die Bremer Soziologin als Mitglied der Initiative „Equal Care Day“ auf das Thema Care-Arbeit aufmerksam. Ziel der Initiative ist es, Kümmerarbeit zu honorieren, damit Sorgetätige nicht finanziell und ideell benachteiligt werden für ihre systemrelevante Arbeit.
Zudem gestaltete sie das Bremer Projekt „carat – caring all together“ mit: Ziel der Veranstaltungsreihe ist es, Akteurinnen und Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft zusammenbringen. Das Land Bremen möchte dabei mit gutem Beispiel vorangehen und Vorbilder für eine chancengerechte Verteilung und Bezahlung von Arbeit, Ausbildung und Care-Aufgaben schaffen. Schirmherr des Projekts, das noch bis Ende 2024 läuft und aus Mitteln des Professorinnenprogramms des Bundes finanziert wird, ist Bremens Bürgermeister Dr. Andreas Bovenschulte.
Bremen als Wahl-Heimat
Die empirische Sozialforschung an der Universität Bremen ist für die Soziologin eine wichtige Stellschraube, um auf Missstände aufmerksam zu machen und gleichzeitig aktiv Dinge zu bewegen. Auch deswegen sei sie nach ihrer Promotion in Rostock an die Bremer Uni zurückgekehrt: „Wenn es um die Qualität der sozialwissenschaftlichen Forschung geht, ist Bremen gut aufgestellt“, sagt Sonja Bastin. Doch nicht nur beruflich fühlt sich die Wahl-Bremerin in der Hansestadt gut aufgehoben. Sie mag die kurzen Wege innerhalb der Stadt, fährt gerne von Horn, wo sie wohnt, ins Viertel oder in die Neustadt. Wenn Sonja Bastin mit ihrer Familie ein bisschen Erholung in der Natur sucht, geht sie gerne an den Unisee und durch den Rhododendronpark oder fährt mit dem Fahrrad durchs Blockland. „Wenn man einmal in Bremen war, kommt man gerne zurück“, sagt sie. „Bremen hat großes Potenzial, schnell ein Heimatgefühl auszulösen.“
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Foto 1: Sonja Bastin forscht an der Universität Bremen zur Bedeutung der Care-Arbeit. © WFB/Jens Lehmkühler
Foto 2: Sonja Bastin ist für ihre wissenschaftliche Arbeit als Bremer „Frau des Jahres 2021“ geehrt worden. © WFB/Jens Lehmkühler
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