„Der Klimaschutz steht endlich im Fokus“
Stadtentwicklungenergiekonsens-Geschäftsführer Martin Grocholl über ambitionierte Ziele und kleine Schritte
Die Themen Energiesparen, Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Für die Bremer Klimaschutzagentur energiekonsens bedeutet das 25 Jahre nach ihrer Gründung: neue Aufgaben und mehr Arbeit. Projekte wie zuletzt „Green Nudging“ sorgen dabei auch überregional für Aufmerksamkeit. Geschäftsführer Martin Grocholl blickt zurück – und nach vorne.
Genau drei Jahrzehnte ist es jetzt her, dass der Erdgipfel von Rio de Janeiro mit mehreren Abkommen zu umwelt- und entwicklungspolitischen Fragen den Ausgangspunkt für eine internationale Klimapolitik gesetzt hat. Im Kontext der daraufhin einsetzenden Diskussionen über mögliche Handlungsstrategien gründete sich im Land Bremen fünf Jahre später eine gemeinnützige Klimaschutzagentur: energiekonsens. Seitdem ist viel passiert. „Damals waren wir noch einsame Rufer“, blickt Geschäftsführer Martin Grocholl zurück. Inzwischen habe der Klimaschutz einen ganz anderen Stellenwert in der Gesellschaft. „Bei der Gründung 1997 war die Frage, ob sich Ökologie und Ökonomie in Konsens bringen lassen – daher auch der Name der Agentur. Heute ist völlig klar, dass diese beiden Bereiche zusammen gedacht werden können und sogar müssen.“
Mehr Nachfragen als Angebote
Im Jubiläumsjahr des 25-jährigen Bestehens steht energiekonsens vor ganz neuen Herausforderungen: Viel Zeit zum Feiern bleibt da nicht. Das Land Bremen hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt und will bis 2038 klimaneutral werden, die steigenden Energiepreise erhöhen den Handlungsdruck auf Privathaushalte und Unternehmen. „Wer das Klima schützen will, muss erneuerbare Energien nutzen und den Energieverbrauch senken“, macht Grocholl deutlich. Diese Erkenntnis habe sich in den vergangenen Jahren immer mehr in der Gesellschaft durchgesetzt, durch den Krieg in der Ukraine aber noch einmal in seiner Bedeutung gewonnen. „Für unsere Arbeit bedeutet das, dass wir von einem Angebots- zum Nachfragemarkt geworden sind.“ Mit anderen Worten: Die Nachfrage nach Beratungen und Informationen ist zuletzt deutlich gewachsen und übersteigt zum ersten Mal das zur Verfügung stehende Angebot. „Der Klimaschutz steht endlich im Fokus“, erläutert der 53-Jährige, „und das völlig zu Recht.“
Überregionales Verbundprojekt soll zu mehr Klimaschutz am Arbeitsplatz motivieren
Mit den aktuellen Kampagnen „#senkmit – Weniger CO2, mehr Zukunft“ und „#machWatt – Solarenergie für Klimaschutz“ gibt energiekonsens alltagstaugliche Tipps zum Energiesparen, informiert zu Photovoltaik und motiviert zum klimabewussten Handeln. Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Kampagnen, Projekte und Netzwerke in Bremen und Bremerhaven, die dazu beitragen, die CO2-Emissionen im Land zu reduzieren. Dabei richtet sich das Angebot an Unternehmen und Privatpersonen ebenso wie an Einrichtungen wie Schulen und Kitas. Und auch überregional hat energiekonsens schon für Aufmerksamkeit gesorgt: zum Beispiel mit dem Verbundprojekt „Green Nudging“, das 40 Unternehmen in drei Bundesländern einbezieht. Ziel ist es, durch kleine Anstöße, sogenannte „Nudges“, die Beschäftigten der teilnehmenden Betriebe zu klimafreundlichem Verhalten am Arbeitsplatz zu animieren.
Von der Theorie in die Praxis
In der ersten Phase nach der Gründung der Agentur Ende der 90er Jahre sei es häufig um die Frage gegangen, ob bestimmte Handlungsoptionen überhaupt umsetzbar seien, berichtet Grocholl. „Da haben wir viele wissenschaftliche Studien finanziert, die untersucht haben, wie Klimaschutz eigentlich funktioniert.“ In der zweiten Phase habe es dann vermehrt Modellprojekte gegeben, um die Theorie in die Praxis zu bringen. „Und heute geht es vor allem um die Frage, wie wir den Klimaschutz in die Breite bekommen. Wie überzeugen wir Menschen und Unternehmen, das technische Wissen auch tatsächlich auf die Straße zu bringen?“ Insbesondere das Thema urbane Wärmewende beschäftige ihn und sein Team mit Nachdruck. „Wenn wir die Emissionen im Gebäudesektor reduzieren wollen, braucht es eine vielfältige Ansprache“, erklärt Grocholl. Als Klimaschutzagentur berate energiekonsens sowohl Unternehmen aus der Wohnungsbaubranche als auch Eigenheimbesitzer zu gezielten Modernisierungsthemen.
Sinnstiftung als Triebfeder
Für den gebürtigen Elsflether sind Umweltschutz und Nachhaltigkeit Themen, die ihn schon sein Leben lang begleiten. „Ich bin auf einem landwirtschaftlichen Betrieb aufgewachsen“, erzählt er. „Da erkennt man den Wert von Natur noch einmal ganz anders und entwickelt den Wunsch, Dinge erhalten zu können.“ Nach seinem Abitur studierte Grocholl in Münster Publizistik, Geschichte und Wirtschaftspolitik und kam dann nach Bremen, um hier beim BUND seinen Zivildienst zu leisten. Anschließend arbeitete er noch ein Jahr für die Umwelt- und Naturschutzorganisation, bevor er 2001 bei energiekonsens anheuerte – zunächst als Pressesprecher. Nachdem sich seine Aufgaben immer mehr in Richtung Projektarbeit verschoben hatten, wurde er 2009 Prokurist und stieg 2010 schließlich in die Geschäftsführung ein. „Sinnstiftung ist für mich eine riesige Triebfeder bei der Arbeit“, sagt der 53-Jährige. „Etwas Gutes zu tun, Dinge bewegen und gestalten zu können, das ist mir schon sehr wichtig.“
Bremen mit ambitionierten Zielen
Ein zentrales Hilfsmittel dabei ist für ihn die Kommunikation. Denn auch, wenn das Thema längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist: Es gibt immer noch auch diejenigen, die überzeugt werden müssen. Für sie hat Grocholl ein gewinnendes Argument parat: „Letztlich machen wir keinen Klimaschutz, sondern Menschheitsschutz“, betont er. „So gesehen ist Klimaschutz etwas total Egoistisches. Wenn wir das verstehen, sind wir einen großen Schritt weiter.“ Mit Blick auf die ambitionierten Ziele und die geplante Finanzierung liege Bremen im bundesweiten Vergleich ganz weit vorne, meint der passionierte Fahrradfahrer, der sich auch deswegen in der Stadt so wohlfühlt, weil er hier alle Termine mit dem Rad erreichen kann. Trotzdem sei es in Bremen ähnlich wie in anderen Bundesländern: Bei der erforderlichen Wärme- und Mobilitätswende gebe es noch Einiges zu tun.
Jeder Schritt zählt
Wenn Martin Grocholl eines Tages in Rente geht, würde er gerne sagen können, dass die Dinge besser geworden sind und er mit seiner Arbeit etwas erreicht hat. Momentan ist sein Ausblick grundsätzlich optimistisch. „Wenn die Gelder so zur Verfügung gestellt werden, wie das jetzt geplant ist, wird das einen ordentlichen Push geben“, ist er überzeugt. Seine Hoffnung: In Zukunft werden sich noch mehr Menschen für den Klimaschutz einsetzen, und das in einer breiten Übereinkunft zwischen Politik und Gesellschaft. Sein Tipp: Niemand sollte sich von der Größe der Aufgabe blockieren lassen. Stattdessen gehe es darum, zu tun, was im Kleinen möglich sei. „Denn jeder Schritt zählt, und das summiert sich“, betont der energiekonsens-Chef. „Jeder, der mitgeht, ist ein kleiner Klimaschützer.“
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