Wenn Windkraftanlagen in Rente gehen
WindenergieBundesweit einmalige Anlage zur Glasfaser-Kunststoff-Recycling von Rotorblättern in der Windkraftindustrie
Recycling von glasfaserverstärkten Kunststoffe (GFK) ist bundesweit erstmals in Bremen möglich. Dahinter steckt die neocomp GmbH, die GFK entsorgt. Davon profitiert die Windkraftindustrie, aber auch andere Industriezweige.
Wo wir mit 20 Jahren erwachsen werden, gehen Windkraftanlagen meist in Rente: Entweder werden sie nach zwei Jahrzehnten gebraucht weiterverkauft oder am Ende ihrer Lebensdauer demontiert. Während Turm und Gondel aus Beton und Stahl bestehen und einfach entsorgt werden können, ist die fachgemäße Entsorgung und das Recycling von Rotorblättern bis vor kurzem unmöglich gewesen.
Denn die Flügel bestehen zu großen Teilen aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK). Auf Deponien verrottet er nicht, gleichzeitig kann er nicht verbrannt werden, da die feinen Fasern Filter in Verbrennungsanlagen verstopfen. Bisher war die Entsorgung von Rotorblättern kein großes Thema, denn der Bauboom in der Windkraftindustrie begann Anfang der 2000er – um 2020 werden die ersten Parks das Ende ihres Lebensdauer erreicht haben und der Bedarf an Entsorgung wachsen.
neocomp recycelt glasfaserverstärkte Kohlenstoffe
Für diese Zeit hat sich Hans-Dieter Wilcken jetzt schon vorbereitet. Der Geschäftsführer des bremischen Entsorgers Nehlsen hat mit dem Unternehmen „neocomp GmbH“ die bundesweit einzige Anlage zur Glasfaser-Wiederverwertung aufgebaut. „Die Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Abfall (LAGA) hat unser Verfahren zum Stand der Technik erklärt – das ist eine besondere Anerkennung für uns“, ist der Bremer stolz. Eine Wertschätzung ebenso wie der renommierte Umweltpreis GreenTec Award, den das vor zwei Jahren gegründete Unternehmen im Mai 2017 gewann.
Marktvorteile sichern mit Glasfaser-Recycling
„In der Abfallwirtschaft ist es eine besondere Herausforderung, neue Verfahren zu entwickeln“, erläutert Wilcken weiter. Die Konkurrenz sei groß, der Preiskampf hart und die abfallrechtlichen Hürden hoch. Neue Verfahren hätten es da schwer, gegen Bewährtes zu bestehen. Besondere Umweltfreundlichkeit könne da ein Zünglein an der Waage sein, so Wilcken. Denn gerade in der „grünen“ Branche Windkraft achten Hersteller vermehrt auf umweltfreundliche Lieferketten – bis hin zur Entsorgung.
Glasfaserrecycling: Aus Glas mach Zement
Bei neocomp geht es mit „brachialer Gewalt“ zu, wie Wilcken bei einem Rundgang erklärt. Herz der Anlage ist ein großer Schredder, der die Glasfaserteile stufenweise auf Papierschnipselgröße zerkleinert. Danach vermischt er sie mit sogenannten Papierspuckstoffen. Das sind Reste aus der Altpapierentsorgung, die dort nicht verarbeitet werden können, etwa Kunststoffaufkleber, Plastikbänder oder Verpackungen. Aus der Mischung entsteht ein feines Granulat, ein idealer Zusatzstoff für die Zementherstellung. Ein Zementwerk im schleswig-holsteinischen Lägerdorf verarbeitet die Bremer Mischung weiter. Im Zement wird die GFK-Mischung chemisch gebunden, es bleiben keine erkennbaren Rückstände zurück. Der Wertstoffkreislauf, das Recycling, ist perfekt.
Anlage für den bundesweiten Bedarf der Windindustrie ausgelegt
Das junge Unternehmen mit seinen sechs Mitarbeitern kann derzeit 30.000 Tonnen Glasfasern pro Jahr verarbeiten. Das ist deutlich mehr als bisher an Abfallstoffen in der Windkraftindustrie anfällt. „Mit unserer Anlage können wir den bundesweiten Bedarf auch in den kommenden Jahren decken“, so Wilcken. Um wirtschaftlich zu arbeiten, nimmt neocomp deshalb auch GFK-Reste aus anderen Branchen entgegen – wie etwa aus der Baustoffindustrie oder dem Maschinen- und Fahrzeugbau.
Internationale Aufmerksamkeit mit Glasfaserrecycling erregt
Die umweltfreundliche Entsorgung von GFK-Teilen hat sich mittlerweile rumgesprochen. Ein dänischer Windkraftanlagenhersteller hat neocomp als Entsorgungspartner ausgewählt – trotz geringfügig höherer Kosten als der in Dänemark erlaubten Deponielagerung. „Wir streben in Zukunft Kooperationen mit allen großen Herstellern an, dafür bieten wir neben der umweltfreundlichen Entsorgung auch die fachgemäße Zerlegung vor Ort an“, so Wilcken.
Start-up-Charakter treibt Innovation bei Nehlsen voran
Für Nehlsen im Bremer Industriepark ist der Aufbau eines Start-ups wie neocomp ein wichtiger Schritt, um Wettbewerbern einen Schritt voraus zu sein. „So können wir neue Verfahren schnell an den Markt bringen, der Start-up-Charakter hilft uns, dynamisch zu sein. Unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass Abfälle vermieden werden – idealerweise gar nicht mehr anfallen“, wünscht sich Wilcken. Und das nächste Material mit hohem Entsorgungs-Schwierigkeitsgrad hat er auch schon im Visier – kohlefaserverstärkte Kunststoffe (CFK).
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Näheres zur Windkraft gibt es bei Dieter Voß, Der Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, Abteilung Industrie, Innovation, Digitalisierung, 0421 361-32175, dieter.voss@wah.bremen.de
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