Wie Bremer Forscher das Stromnetz von morgen schaffen wollen
WindenergieMit dem Ausbau der erneuerbaren Energien muss unser Stromnetz mithalten. Bremer Forscher wollen es grundlegend umgestalten – intelligenter und effizienter als heute. Dazu setzen sie auf eine in diesem Bereich bisher kaum verbreitete Technologie.
Um die Herausforderungen im heutigen Stromtransport zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Stromnetze in Europa. Die teilen sich, grob gesagt, in Gleich- und Drehstromnetze auf. Innerhalb Deutschlands gibt es bisher nur Drehstromnetze, auch als Wechselstromnetze bezeichnet. Wechselstrom ist das, was bei uns aus der Steckdose kommt. Er erlaubt es, elektronische Geräte günstig und einfach zu konstruieren, zu betreiben und erleichtert die Umwandlung von Überlandleitungen mit Hochspannung hin zum Hausnetz mit 230 Volt.
Es gibt aber auch Nachteile: Auf langen Strecken entstehen Verluste in der Stromübertragung, was die Wirtschaftlichkeit senkt. Hier kommen die Gleichstromnetze ins Spiel. Sie gibt es bisher vor allem zwischen Staaten (zum Beispiel zwischen Deutschland und Norwegen) oder zwischen Offshorewindparks und dem Festland. Sie werden auch Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsstrecken, kurz HGÜ-Strecken genannt.
HGÜ sind verlustarm, eignen sich aber nicht, um Strom in die Steckdose zu übertragen: Dafür sind die Stromverbraucher wie Kühlschränke oder Fernseher nicht ausgelegt und entsprechende Komponenten würden sie teurer machen.
Realisierung von Gleichstromnetzen eine Herausforderung
Und es gibt noch ein Problem bei HGÜ-Netzen: Sie werden bisher nur bei Punkt-zu-Punkt-Verbindungen eingesetzt, um Strom von A nach B zu transportieren. Komplex verbundene Stromnetze, wie sie im Bereich des Drehstroms üblich sind, lassen sich hiermit noch nicht realisieren. Wie eine Autobahn ohne Autobahnkreuze. Genau das hätte aber deutliche Vorteile, denn so könnte Strom über HGÜ flexibler und somit effizienter in verschiedene Regionen verteilt werden, je nachdem, wo er benötigt wird.
Das BMWi-Forschungsprojekt MuTiG am Bremer Centrum für Mechatronik (BCM) der Universität Bremen hat jetzt genau das untersucht – wie sich Gleichstromnetze „vermaschen“ lassen, also ein komplexes verbundenes Netz bilden können. In der Fachsprache ist das auch als „Multi-Terminal-HGÜ-Konzept“ bekannt.
Vorteil vermaschter Gleichstromnetze
Nach drei Jahren Forschungsarbeit sind die Bremer Forscher zufrieden mit ihren Ergebnissen: „Für die Netzbetreiber sind Gleichstromnetze attraktiv und haben viele Vorteile. Wir haben gezeigt, dass vermaschte Gleichstromnetze realisierbar sind und sich wirtschaftlich betreiben lassen. Unsere Ergebnisse sind damit eine gute Argumentationsgrundlage für die Industrie. Denn der Aus- und Umbau der Strominfrastruktur ist natürlich mit erheblichen Investitionen verbunden“, so Holger Raffel, Geschäftsleiter am BCM. Und langen Investitionszyklen von 10, 15 oder noch mehr Jahren. Ein enorm komplexes und weitreichendes Vorhaben.
MuTiG - kurz für „Multi-Terminal intelligent/integrated Grids“
Deshalb haben sich die Bremer Forscher in ihren MuTiG-Untersuchungen mit einem klar umrissenen Einsatzgebiet für Gleichstrom beschäftigt: der Vernetzung von einzelnen Windkraftanlagen mittels eines HGÜ-Netzes.
Denn Windkraftanlagen eignen sich besonders gut als Untersuchungsgegenstand. Sie werden auf hoher See heute ohnehin per Gleichstrom ans Festland angebunden, sind aber untereinander zum Teil mit Drehstrom vernetzt – also hatten die Forscher ein klar definiertes Einsatzgebiet, in dem sowohl Gleich- als auch Drehstrom zum Einsatz kommt. So, wie es auch im bundesweiten Netz später einmal denkbar wäre.
Windkraftanlagen bringen zusätzlich eine besondere Herausforderung mit sich, die sie als Untersuchungsgegenstand interessant macht: starke Schwankungen in der Energieversorgung durch den wechselhaften Wind. Die wirken sich nicht nur auf die Menge an Strom aus, der zur Verfügung steht, sondern auch auf die Stabilität des Netzes, die immer sichergestellt sein muss.
Technische und wirtschaftliche Machbarkeit untersucht
Im MuTiG-Projekt entstanden Computermodelle sowie ein realer Prüfstand mit vier vernetzten, nachgebildeten Windparks bzw. Netzknoten sowie 300 Kilometern an simulierten HGÜ-Leitungen zwischen ihnen. „Anhand dieses Versuchsaufbaus haben wir verschiedene Szenarien getestet und Betriebskonzepte inklusive Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen untersucht“, so Steffen Menzel, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt.
Zudem hat das Team an neuer Leistungselektronik geforscht. Denn: Bisher fehlt es an marktreifen Komponenten, um vermaschte HGÜ-Netze zu errichten. „Ein Problem sind zum Beispiel sichere Schutzschaltungen für Gleichstromnetze. Die gibt es bisher nicht, was den sicheren Betrieb vernetzter HGÜ-Leitungen unmöglich macht“, so Menzel weiter.
Auch die Regelung der Netzstabilität haben sich die Bremer vorgenommen – eine große Herausforderung der Stromversorgung der Zukunft. Mit einer neuen, maschinensatz-basierten Regelung haben sie eine Lösung gefunden. „Heutige Umrichter können quasi beliebig schnell schalten – in Mikrosekunden um tausende Ampere. Das kann aber die Netzfrequenz belasten, wenn wechselnde Windlasten in so kurzer Zeit vom Windpark an das Gesamtnetz weitergegeben werden. Deshalb haben wir eine intelligente Regelung entwickelt, die dynamisch unterschiedliche Betriebsfälle abdecken kann und den Einspeisestrom so dämpft, dass die Netzfrequenz stabil bleibt“, so René Reimann, zweiter wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt.
Gleichstromnetze sind kosteneffizienter bei langen Übertragungsstrecken
Im MuTiG-Verbundprojekt waren noch weitere Partner an Bord: neben dem BCM der Universität Bremen das Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme (IWES) in Bremerhaven und die wpd offshore solutions GmbH (Bremen). Das IWES trug zum Projekt etwa ein Berechnungstool bei, das die Wirtschaftlichkeit von HGÜ-Netzen errechnet. Die Industriepartnerin wpd steuerte ihre Erfahrungen in der Planung und im Betrieb von Windparks auf hoher See bei.
So konnten die Forscher auch nachweisen, dass durch intelligente HGÜ-Netze der Ausbau einer auf regenerativen Energien basierender Stromversorgung theoretisch günstiger verlaufen könnte. „Wir benötigen dann zum Beispiel nicht mehr diese riesigen Umrichterplattformen auf hoher See, wie sie heute gebaut werden. Kleinere Plattform sind günstiger“, so Reimann.
Zudem senke die Gleichstromtechnik Übertragungsverluste. Um es in Zahlen auszudrücken: Auf 100 Kilometern Leitungslänge sind die Verluste bei Gleichstrom gegenüber Drehstrom um 42 Prozent geringer (bezogen auf das Gesamtsystem). Ein vernetztes HGÜ-System könnte zusätzlich um knapp die Hälfte effizienter arbeiten als ein herkömmliches HGÜ-System.
Vom Labor in die Wirklichkeit
Bis diese Stromautobahnen aus Gleichstrom entstehen, wird noch einige Zeit vergehen. „Unsere Ansätze lassen sich auf große HGÜ-Projekte wie die in Planung befindliche Südlink-Trasse übertragen. MuTiG zeigt, das vermaschte HGÜ-Netze technisch machbar sind – die Umsetzung liegt nun an Industrie und Politik“, schließt Geschäftsleiter Raffel.
Die Vernetzung von HGÜ-Leitungen kann zudem weitere Vorteile für das deutsche Energienetz haben. Zum Beispiel, wenn es darum geht, nach Blackouts möglichst schnell wieder ein Stromnetz zu aufzubauen, wie das Bremer Forschungsprojekt Wind-2-Grid zeigt.
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