Windenergiepionierin Irina Lucke: „Gemeinsam Höhen und Tiefen meistern!“
WindenergieDie Vorstandsvorsitzende der Windenergie-Agentur WAB e. V. im Interview
Irina Lucke ist seit Dezember 2016 Vorstandsvorsitzende der Windenergie-Agentur WAB e.V. Dem Branchennetzwerk der Windkraftindustrie gehören 350 Unternehmen der gesamten Wertschöpfungskette an; es ist der wichtigste deutsche Verband zur Windenergie.
Lucke, die hauptamtlich Geschäftsführerin der EWE Offshore Service & Solutions GmbH ist, gehört zu den Pionieren der Windkraft auf hoher See: Sie arbeitete beim Bau des ersten Offshorewindparks Deutschlands, alpha ventus, mit. Als eine der wenigen Unternehmensleiterinnen in der Windkraftindustrie machte sie sich unter anderem einen Namen als Hauptverantwortliche beim Bau des ersten kommerziellen Offshore-Windparks in der Nordsee, Borkum-Riffgat. Wir haben mit ihr über ihre Aufgaben im Branchenverband und die Herausforderungen sich verändernder Rahmenbedingungen in der Windkraft gesprochen.
Frau Lucke, Sie sind jetzt seit acht Monaten Vorstandsvorsitzende – was hat Sie bewogen, nach vier Jahren im Vorstand nun den Vorsitz zu übernehmen?
Ich bin seit elf Jahren in der Offshore-Branche tätig, seit 2005 Mitglied in der WAB. Der Verein hat mir und den vielen anderen Mitgliedern in den vergangenen Jahren viele Wege geebnet und Chancen eröffnet. Mit meinem Beitritt in den Vorstand 2013 wollte ich das viele Gute, das mir wiederfahren ist, zurückgeben. Diese Arbeit setze ich als Vorstandvorsitzende nun fort. Ich kann mich nun noch viel stärker einbringen und eng mit dem Geschäftsführer Andreas Wellbrock zusammenarbeiten.
Welche Ziele haben Sie sich gesetzt?
In den ersten Monaten galt es für mich zunächst herauszufinden, wie ich meine Kompetenzen am besten in die WAB einbringen kann. Ich komme aus dem Projektgeschäft, die Arbeit bei einem Dienstleister unterscheidet sich deutlich. Mein Ziel ist es, das Bild der WAB in der Öffentlichkeit zu schärfen, neue Ideen einzubringen und mit der Branche alle Höhen und Tiefen zu meistern.
Welche Strategie verfolgen Sie mit der WAB in den kommenden Jahren?
Wir wollen einen Weg für die Energiewende ebnen. Das Thema ist komplex, und wir haben es meiner Meinung nach noch nicht geschafft, es griffig für die Öffentlichkeit zu präsentieren. Hier müssen wir Aufklärungsarbeit leisten und unsere Ziele deutlich machen. Für die Energiewende fehlt in Deutschland ein Masterplan, denn nur gemeinsam können wir eine umweltfreundliche Energieerzeugung schaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, arbeiten wir eng mit Partnern wie zum Beispiel der Stiftung Offshore-Windenergie zusammen, um Infomaterialien und -events über aktuelle Themen wie Sektorenkopplung, Netzausbau, Energieeinspeisung oder -speicherung zu erstellen. Darüber hinaus sind wir in politischen Gremien und überregionalen Netzwerken tätig. Wir haben die Erfahrung und das Know-how, die Entscheider benötigen. Auf uns kann man sich verlassen.
Ohne eine Steigerung beim Ausbau der Windkraft können wir eine ausreichende CO2-Reduktion nicht erreichen.
Sie haben die Energiewende angesprochen – wie steht die WAB zu den energiepolitischen Zielen der Bundesregierung?
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien wird zu sehr gedeckelt. Mit den bisherigen Vorgaben schaffen wir es nicht, die Klimaziele der Bundesregierung und des Pariser Abkommens einzuhalten. Wir fordern daher eine Anhebung der Ausbauziele der Offshore-Windkraft auf 20 Gigawatt (GW) bis 2020 und 30 GW bis 2030. Das würde bisherige Planungen um 10 GW übertreffen. Dieser Schritt wäre dringend nötig, da unser Stromverbrauch in den kommenden 25 Jahren enorm steigen wird, allein schon durch die zunehmende Elektromobilität. Ohne eine Steigerung beim Ausbau der Windkraft können wir eine CO2-Reduktion nicht erreichen.
2017 trat die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) und das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) in Kraft. Dabei wurde die Förderung auf ein ausschreibungsbasiertes Modell umgestellt. Die ersten Ausschreibungen wurden im April dieses Jahres beschieden. Wie hat sich die Branche auf das Vergabemodell eingerichtet?
Die Null-Cent-Angebote* in der ersten Runde waren natürlich ein sensationeller Paukenschlag. Damit habe ich persönlich gar nicht gerechnet, freue mich aber umso mehr. Sie senden ein wichtiges Signal an die Öffentlichkeit: Wir sind wettbewerbsfähig! Diese Entwicklung muss zwangsläufig zu einer Diskussion über die bisherige Deckelung des Windkraftausbaus führen.
Bei allen guten Nachrichten bringt das Ausschreibungsverfahren auch Unsicherheiten mit sich: Die Banken haben in den vergangenen Jahren Finanzierungspraktiken entwickelt, die heute so nicht mehr funktionieren, weil Verbindlichkeiten durch die Subventionen wegfallen oder kleiner werden. Hier müssen sich ganz neue Geschäftsmodelle finden. Zu unseren Mitgliedern gehören auch Banken, Versicherer oder Rechtsanwälte – die gesamte Wertschöpfungskette – und hier versuchen wir, gemeinsam neue Wege zu beschreiten. Um unsere Wettbewerbsfähigkeit zu steigern, müssen wir zudem an Technologien arbeiten. In den vergangenen Jahren hat sich die Branche vor allem auf Effizienzsteigerungen beim Aufbau der Offshoreparks konzentriert. Jetzt gilt es, die Betriebskosten zu senken, hier sehen wir noch große Potenziale.
*Anm. der Redaktion: Der Begriff bezieht sich auf mehrere Angebote der ersten Ausschreibungsrunde für Offshore-Projekte, die ohne eine Subventionierung aus der EEG-Umlage pro erzeugter Kilowattstunde (= 0 Cent) Strom auskommen. Die Betreiber erzielen Gewinne ausschließlich durch den Verkauf des erzeugten Stroms.
Welchen Herausforderungen müssen sich die Mitgliedsunternehmen der WAB zurzeit noch stellen?
Wir bewegen uns zunehmend auf internationalem Boden. Einige unserer Mitgliedsunternehmen sind seit Jahrzehnten international tätig. Andere, vor allem die vielen kleinen und mittleren Unternehmen der Region, bringen wir auf Branchenveranstaltungen wie der WINDFORCE-Konferenz auf das internationale Parkett. Unsere Aufgabe ist es, den KMU hier Chancen zu bieten, sich zu vernetzen. Neben unseren Messe- und Konferenzbeteiligungen mit Gemeinschaftsständen gehören dazu auch unsere Branchenstammtische, wo sich bis zu 300 Teilnehmer zusammenfinden.
Damit geht einher, dass sich allmählich auch ein gesamteuropäischer Markt für Erneuerbare Energien entwickelt. Das wird besonders in der Offshore-Industrie deutlich, wo ausländische Investoren in Deutschlands Parks bauen, oder deutsche Betreiber in anderen Ländern tätig werden. Dieser Schritt ist richtig und sinnvoll, denn die Energiewende lässt sich nicht in einem Land alleine vollziehen – es gibt keinen closed job.
Wie hilft die WAB dabei, diese Herausforderungen anzugehen?
Wir begleiten die Branche auf dem gesamten Weg. Neben unseren Netzwerk- und Informationsangeboten arbeiten wir auch an ganz konkreten Projekten: Ganz neu ist unsere „Wind-to-Gas-Strategie Bremen“. Ziel des Projektes ist die Untersuchung des technischen und wirtschaftlichen Potenzials von Power-to-Gas-Anwendungen zur Nutzung von Überschussstrom aus Windenergieanlagen. Die WAB ist hier die Plattform, wir veranstalten Vortragsreihen und bringen alle Akteure zusammen.
Der Nordwesten bleibt ganz klar das Zentrum der Offshore-Industrie in Deutschland.
Die Zukunft des Bremerhavener Adwen-Werks ist unsicher. Gleichzeitig entsteht der Offshore Terminal Bremerhaven, in Cuxhaven baut Siemens eine neue Fertigung. Gemixte Signale also - wie sehen Sie den Nordwesten in der Windkraft derzeit aufgestellt?
Der Nordwesten bleibt ganz klar das Zentrum der Offshore-Industrie in Deutschland. Bremerhaven ist Pionier, hier hat sich eine starke Fertigungs- und auch Forschungslandschaft entwickelt. Diese enorme Vielfalt hilft dem Standort auch weiterhin. Der Bau der Siemens-Fabrik in Cuxhaven ist ein weiteres gutes Zeichen für die Zukunft. Natürlich bergen alle Veränderungen, wie etwa die Novelle des EEG, Unsicherheiten, aber wir sollten diesem Prozess Zeit geben. Wir werden darin auch Chancen sehen, und ich bin guter Dinge, dass wir uns aus dem Tal der Unsicherheit wieder herausbewegen.
England ist ein wichtiger Windenergiemarkt – welche Veränderungen befürchten Sie durch den BREXIT?
Wie für viele andere Branchen auch, sind die Auswirkungen des EU-Austritts bisher kaum bis unmöglich abzuschätzen. Wir müssen die konkrete Ausgestaltung abwarten. Auf der letzten WINDFORCE Baltic Sea-Konferenz in Talinn haben wir uns in Diskussionsrunden mit englischen Branchenunternehmen intensiv ausgetauscht. Ergebnis: Ein stabiler Ausbau Erneuerbarer Energien ist auch in Großbritannien weiterhin nötig, unsere englischen Partner wünschen sich eine enge Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Von daher bin ich optimistisch, dass wir einen gemeinsamen Weg finden werden.
Frau Lucke, vielen Dank für das Interview.
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Näheres zu Förderprogrammen für die Windkraft gibt es bei Dieter Voß, Der Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfe, Abteilung Industrie, Innovation, Digitalisierung
T +49 (0) 421 9600-328, dieter.voss@wah.bremen.de
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