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8.2.2024 - Andrea Bischoff

„Schlüsselbranchen gewinnen weiter an Bedeutung“

Wirtschaftsstandort

Was den Wirtschaftsstandort Bremen in Zukunft erwartet – ein Interview mit Andreas Heyer

Andreas Heyer
Andreas Heyer, Vorsitzender der Geschäftsführung der WFB © WFB/Jens Lehmkühler

Weltoffenheit, Unternehmungsgeist und Handelskunst bilden das Fundament wirtschaftlichen Erfolges an der Weser. Neben traditionell starken Branchen finden auf diesem Fundament auch innovative Unternehmen den richtigen Platz und ein optimales Umfeld für ihre Entwicklung. Welche Themen dabei im Fokus stehen, erläutert Andreas Heyer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Wirtschaftsförderung Bremen, im Interview.

1. Welche Branchen verbinden Sie, wenn Sie auf Bremen blicken, mit dem Begriff „Zukunft"?

Andreas Heyer: Nach wie vor sind die Luft- und Raumfahrt, die Maritime Wirtschaft und Logistik, die Nahrungs- und Genussmittelbranche und der Bereich Automotive national wie international von großer Relevanz. In diesen Branchen ist Bremen hervorragend aufgestellt. Der Bereich Regenerative Energien/Windenergie gewinnt aufgrund der aktuellen Entwicklungen wieder zunehmend an Bedeutung – und auch hier sind wir mit einem Kompetenzcluster als Bundesland vorn dabei.
Alle Themenbereiche haben gemeinsam, dass sie gerade heute, aber auch mit Blick auf die Zukunft eine wichtige Rolle spielen – das hat für den Bereich Logistik zum Beispiel die Versorgungssituation in der Coronakrise gezeigt und das belegen für die anderen genannten Bereiche unter anderem die Entwicklungen im Bereich Energieversorgung und Nachhaltigkeit.

Logistik in Bremen
Mit rund 20.000 Beschäftigten zählt die Logistik zu den größten Branchen im Bundesland Bremen. © WFB/Jonas Ginter

2. Etablierte Branchen stellen aktuell auch die größten Unternehmen in Bremen. Ändert sich das in der Zukunft?

Andreas Heyer: Neben den nach wie vor wichtigen schon genannten Innovationsclustern gewinnen die so genannten Schlüsselbranchen weiter an Bedeutung. Dabei handelt es sich etwa um Querschnittstechnologien, die branchenübergreifend eingesetzt werden und als Innovationstreiber gelten. Dazu gehören zum Beispiel Digitalisierung und Künstliche Intelligenz, Leichtbau und Additive Fertigung, Robotik und Autonome Systeme und auch das große Thema Wasserstoff.

Diese Bereiche werden die bisherigen großen Bereiche nicht ersetzen oder ablösen, aber sie sorgen dafür, dass Innovationen entstehen und Unternehmen in diesen Branchen zukunftsfähig aufgestellt sind und sich weiter entwickeln können. Und auch in diesen Bereichen steht Bremen mit innovativen Unternehmen und einer Vielzahl an wissenschaftlichen Einrichtungen sehr gut da. Zudem unterstützt das Bundesland mit seiner Innovationsstrategie 2030 die weitere Entwicklung.

"Einen Verlust an Boden sehe ich aktuell für keine der wichtigen Branchen in Bremen – aber Veränderungen durchaus."

3. Gibt es Bereiche, die künftig keine so große Rolle mehr spielen werden?

Andreas Heyer: Einen Verlust an Boden sehe ich aktuell für keine der wichtigen Branchen in Bremen – aber Veränderungen durchaus. Betrachten wir zum Beispiel den Bereich Automotive, hat sich in den vergangenen Jahren viel getan, die Branche stellt sich auf nachhaltige Entwicklungen und neue Mobilitätskonzepte ein. Das bedeutet eben nicht, dass sie an Bedeutung verliert, sondern sie entwickelt sich weiter.

Bremen wird als weltweit zweitgrößter Produktionsstandort von Mercedes-Benz, als Heimat vieler relevanter Zulieferbetriebe, mit einem der größten Autohäfen der Welt in Bremerhaven und mit wissenschaftlichen Einrichtungen, die neue Materialien und Technologien entwickeln also weiterhin sein einzigartiges Profil und seinen Platz auf der Karte für die Automotivebranche behaupten.

Bei Schedl in Bremen
Bremen ist Zentrum für die Automobilindustrie: Das effiziente und leistungsfähige Automotive-Netzwerk umfasst mehr als 40 Zuliefererunternehmen und rund 17.000 Beschäftigte © WFB/Jonas Ginter

4. Die Nahrungs- und Genussmittelbranche hat sich in den vergangenen Jahren am Standort sichtbar verändert. Welche Zukunft hat sie am Standort?

Andreas Heyer: Bremen ist nach wie vor eine „Markenhauptstadt“ der Genuss- und Lebensmittelbranche. Wer beim Einkauf gut hinsieht, wird häufig Bremen als Produktionsort auf vielen Verpackungen von Lebensmitteln entdecken. Die Nahrungs- und Genussmittelindustrie zählt im Bundesland rund 10.000 Beschäftigte in 250 Betrieben und ist aktuell die zweitstärkste Branche. Rund 30 Prozent aller bremischen Importe und knapp zehn Prozent der Exporte gehen auf das Konto der Ernährungswirtschaft. Trotz einiger öffentlichkeitswirksamer Verlagerungen einzelner Unternehmen wird sich daran so schnell nichts ändern.

Und mit dem Hanse Kitchen hat Bremen einen Food Hub für die Start-up-Szene etabliert, der eine Plattform für Gründungen bietet und sie von der Produktentwicklung bis zur Markteinführung begleitet. Insgesamt gibt es eine sehr agile Gründungs- und Wissenschaftsszene, die mit neuen, nachhaltigen und innovativen Produkten punktet. Insofern ist der Lebensmittelstandort Bremen nach wie vor hervorragend aufgestellt.

5. Welche Rolle spielt die Raumfahrt und insbesondere Bremens Mitinitiative beim angedachten Raumhafen in der Nordsee?

Andreas Heyer: Das Thema Raumfahrt boomt, gerade in Deutschland und gerade im Bereich New Space. Die deutsche und europäische Raumfahrtbranche und auch die Forschung würden von kostengünstigen und unkomplizierten Startmöglichkeiten enorm profitieren.

Bremen zählt zur Weltspitze unter den Luft- und Raumfahrtstandorten, hier erwirtschaften mehr als 140 Unternehmen und 20 Institute mit rund 12.000 Beschäftigten pro Jahr über 4 Milliarden Euro. Insofern ist es folgerichtig, dass die German Offshore Spaceport Alliance (Gosa), die den Weltraumbahnhof plant, ihren Sitz in Bremen hat und das viele namhafte Bremer Unternehmen wie OHB, BLG Logistics, MediaMobil mit seiner Expertise für Offshore-Kommunikationssysteme  oder die Harren Group Teil der Initiative sind.

6. Wie sieht es mit den bremischen Häfen aus?

Andreas Heyer: Die bremischen Häfen zählen zu den wichtigsten Universalhäfen in Europa und bieten die Basis für viele Wirtschaftszweige im gesamten nordwestdeutschen Raum. Bremen hat als Land mit seinem Hafenentwicklungskonzept 2035 die Weichen für die Zukunft gestellt und den Handlungsbedarf für die kommenden Jahre definiert.

Neben einer anforderungsgerechten Infrastruktur und der wirtschaftlichen Entwicklung stehen dabei auch die ökologische und soziale Nachhaltigkeit im Fokus. Auch hier spielen Schlüsselbranchen eine große Rolle – etwa durch die Digitalisierung logistischer Prozesse oder zum Beispiel durch klimaneutrale Entwicklungen. Aktuell läuft beispielsweise ein Forschungsprojekt des Smart Mobile Instituts der Hochschule Bremerhaven, das Dampflokomotiven zurück auf die Schiene bringt – die Rangierloks im Überseehafen könnten dann künftig mit Wasserstoff und Brennstoffzellen angetrieben werden, mit Wasserdampf als einziger Emission.

Die bremischen Häfen
Eine regulär betriebene Rangierlok ist mit Sensoren ausgestattet, um Daten zu sammeln. © WFB/bremenports

7. Liegt die Zukunft der Energieversorgung also in Bremen?

Andreas Heyer: Wasserstoff spielt im Energiemix der Zukunft eine zentrale Rolle. Das Thema ist eine Gemeinschaftsaufgabe, die über Ländergrenzen hinaus gelöst werden muss. Die norddeutschen Küstenländer haben eine gemeinsame Wasserstoffstrategie verabschiedet und wir sind aktiv in der Wasserstoffinitiative HY-5 der norddeutschen Bundesländer.

Ergänzend hinzu kommt die Bremer Wasserstoffstrategie, in der wir die besonderen Stärken des Standorts einbringen – in der Raumfahrtindustrie verfügen wir beispielsweise bereits über viel Expertise, in der Stahlverarbeitung wird Wasserstoff bereits in Form von grauem Wasserstoff bereits eingesetzt , auch die Nahrungs- und Genussmittelwirtschaft nutzt ihn.

Neben dem Standortvorteil durch unsere Häfen, wo Import-Terminals entstehen können, bestehen gute Voraussetzungen für Erzeugungsanlagen von Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen. Auch die Forschungslandschaft ist hier hervorragend aufgestellt und überregional vernetzt.

Die Bremer Wasserstoffstrategie beschreibt mehr als 20 Projekte, wir haben den Vorteil, dass wir schon früh in diesem Feld aktiv waren. Zu den Schlüsselprojekten zählen beispielsweise das Vorhaben HyBit, das den Einstieg in die Dekarbonisierung der Stahlproduktion markiert, das Hydrogen Lab Bremerhaven, mit einem Testfeld für Elektrolyse und der Entwicklung von Anwendungen zur Nutzung, und auch die Unterstützung der material- und fertigungstechnischen Forschung für den Einsatz von Wasserstofftechnologie in Industrieanwendungen, etwa in unserem Forschungs- und Technologiezentrum ECOMAT, dem Leibniz-Institut für Werkstofforientierte Technologien (IWT), dem Faserinstitut Bremen (FIBRE) und dem Bremer Institut für angewandte Strahltechnik (BIAS). Der konzipierte ECOMAT Hydrogen Campus wird zudem als ein Fokuspunkt für die Anwendung von Wasserstofftechnologien über Branchen hinweg eine wichtige Rolle spielen.

8. Die größten Herausforderungen, denen sich Unternehmen stellen werden müssen, sind …?

Andreas Heyer: Wir befinden uns in einer Phase der Transformation. Die Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen und muss sich wandeln und an aktuelle Entwicklungen anpassen – und das in einem vergleichsweise hohen Tempo und in verschiedenen Bereichen, wie etwa der Digitalisierung, der Nachhaltigkeit aber auch in Bezug auf neue Arbeitsformen und die Gewinnung von Fachkräften.

Solche Transformationsprozesse sind nicht leicht und wirken oft fast erschlagend, gerade für kleine und mittelständische Unternehmen. Deshalb bieten wir Hilfestellung durch verschiedene Programme und Maßnahmen, die wir agil an sich ändernde Rahmenbedingungen anpassen.

"Die Wirtschaft steht vor großen Herausforderungen und muss sich wandeln und an aktuelle Entwicklungen anpassen – und das in einem vergleichsweise hohen Tempo und in verschiedenen Bereichen"

9. Sie haben das Thema Fachkräfte angesprochen – wie relevant ist das Thema für die Bremer Wirtschaft?

Andreas Heyer: Neben Faktoren wie der Energie- , Rohstoffpreis- und Zinsentwicklung und weiteren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist der Fachkräftemangel eines der wichtigsten Themen, die die Wirtschaft beschäftigen – nicht nur in Bremen, sondern deutschlandweit. Wir haben verschiedene Services entwickelt, um Unternehmen bei der Fachkräftegewinnung zu unterstützen.

Unser mit der Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation entwickelte Stammtisch für Personalverantwortliche ist inzwischen zum etablierten Netzwerk mit über 250 Kontakten geworden, die sich auf regelmäßigen Veranstaltungen zu aktuellen Herausforderungen austauschen und über eine Toolbox Material zur Verfügung gestellt bekommen, mit dem sie Bewerber:innen vom Standort Bremen überzeugen können. Dazu kommt unser Dual Career Service, ein kostenloses Angebot für Unternehmen, falls Lebenspartner:innen mit nach Bremen oder Bremerhaven ziehen möchten. Der ermöglicht eine Initiativbewerbung bei Unternehmen verschiedener Branchen hier vor Ort. Und zusammen mit der Handelskammer Bremen und dem Förderprogramm IQ unterstützen wir als Willkommensservice Unternehmen und Fachkräfte aus anderen Nationen bei Fragen rund um Aufenthalt, Arbeitsgenehmigung, Anstellung und Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen.

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