Mit Blech, Charme und Schablone – Die Rekonstruktion der Condor in Bremen ist Detektivarbeit
Luft- und Raumfahrt60 Senioren im Un-Ruhestand: Die legendäre Condor wird rekonstruiert
Ihre Flugeigenschaften und ihre Konstruktionsweise waren legendär: Focke-Wulfs Condor war ein Meisterwerk Bremer Ingenieurskunst. 60 Ehrenamtliche lassen das von der Bildfläche verschwundene Passagierflugzeug in der Hansestadt wieder auferstehen. Die Senioren restaurieren ein vor Norwegen geborgenes Condor-Wrack. Das Vorhaben gleicht einer Detektivarbeit.
Sie überquerte als erstes Passagierflugzeug nonstop den Großen Teich, bestach durch ihre Aerodynamik und kam ganz in Leichtbauweise daher: Die in Bremen gebaute viermotorige Focke-Wulf FW 200 Condor. Vor 80 Jahren hob der Prototyp in der Hansestadt zum Jungfernflug ab – ein Meilenstein der deutschen Luftfahrtgeschichte. Nun erlebt die Condor eine Wiedergeburt, auch dank der Beharrlichkeit von 60 Bremer Senioren im Un-Ruhestand. Die Flugzeugfreunde restaurieren ehrenamtlich im Bremer Airbus-Werk ein vor Norwegen geborgenes Condor-Wrack. Ende 2019 soll die Maschine wieder rollfähig sein.
Meisterwerk der Ingenieurskunst
„Die Condor war die größte Maschine, die jemals in Bremen aus den Hallen rausgerollt ist“, schwärmt Projektleiter Günter Büker. Das viermotorige Langstreckenflugzeug bot Platz für 26 Passagiere und eine vierköpfige Crew. „Diese Maschine hatte hervorragende Flugeigenschaften.“ Das vom einstigen Bremer Flugzeughersteller Focke-Wulf – einem Vorgänger des heutigen Airbus-Konzerns – in nur einem Jahr entwickelte und gebaute Landflugzeug punktete unter anderem durch seine extreme Leichtbauweise, seine Hydraulik für Fahrwerk und Landeklappen sowie mit seinem komfortablen Passagierraum. „Es war ein formschönes Flugzeug“, sagt der 71-jährige Büker. Das Design war prägend für viele andere Maschinen, die später gebaut wurden.
Startschuss fiel vor 15 Jahren
Die Restaurierung ist ein Gemeinschaftsprojekt: Ein Großteil des Rumpfes, das Cockpit und die Flügel werden bei Airbus in Bremen wiederhergestellt. Bei der Lufthansa Berlin-Stiftung in Hamburg werden die drei Fahrwerke, das Leitwerk und das Rumpfheck auf Vordermann gebracht. Das Fahrwerk verfügt übrigens noch über die Original-Gummireifen. Für die Restaurierung der typengleichen Motoren zeichnet Rolls Royce Deutschland verantwortlich. Der Startschuss für die Arbeiten fiel vor 15 Jahren.
„Wir steuern uns selber“
Das Bremer Team ist wie eine Familie; konstruiert und gewerkelt wird immer dienstags und mittwochs. „Was wir machen, ist eine Herausforderung und das ist Teil unserer Motivation“, erzählt Büker. „Das ist kein Hobby, das ist Berufung. Viele Leute sagen gar: ‚Ja, das ist mein Lebenswerk.‘“ Seit 2002 haben bereits rund 120 Menschen an dem Projekt mitgearbeitet. Manche sind inzwischen verstorben, andere aus Altersgründen ausgeschieden. Das derzeitige Durchschnittsalter der Ehrenamtlichen liegt bei Mitte 70. Die Condor ist fast reine Männersache, nur eine Frau ist mit von der Partie.
Vom Weißkittel zum Werker
Die meisten Bremer Beteiligten verbrachten ihr Berufsleben bei Focke-Wulf oder Airbus – aber als „Weißkittel“, also hinter dem Schreibtisch oder am Rechner. Als Pensionäre tauschen sie nun die Theorie mit der Praxis. „Sie lernen zu bohren, zu nieten, mit Blech zu arbeiten“, sagt Büker, der selbst bei Airbus beschäftigt war. Zwar wird das Projekt von Airbus getragen und unterstützt. „Aber wir sind quasi eine Firma in der Firma, wir steuern uns selber. Wir haben keine Hierarchien.“ Je nach Neigung und Können arbeiten die Senioren in den Bereichen Planung, Konstruktion oder Fertigung.
„Man kämpft sich von Stück zu Stück“
Beruflich wenig handwerklich unterwegs war beispielsweise Wolfgang Bosse. Heute liebt er die Arbeit mit Werkzeug und Metall. An diesem Vormittag bringt er zusammen mit seinem Kollegen Karl Kaszemeik Rumpfspante in die millimetergenaue Form. Die beiden sind erst zufrieden, wenn die Blechteile bündig mit der Schablone abschließen. „Das ist Fummelarbeit. Aber es macht Spaß, wenn man das voreinander kriegt.“ Ein paar Meter weiter nieten Klaus Birkner und Rudolf Leidinger Cockpitteile. Mehr als ein bis zwei Millimeter Toleranz sind beim Zusammenbau nicht drin. „Man kämpft sich von Stück zu Stück“, sagt Birkner. „Viele Sachen mussten wir drei bis vier Mal machen, bis das funktioniert hat.“
Bei null angefangen
Die Wiederherstellung der Condor ist Detektivarbeit. Das Wrack ist nicht vollständig, Baupläne sind nicht mehr vorhanden, auch intakte Schwesterflugzeuge fehlen. „Wir haben quasi bei null angefangen“, so Projektleiter Büker. „Wir hatten nur Fotos und Wartungshandbücher.“ Mit viel Akribie und Geduld setzten der Konstrukteur Bernd Poppe und seine Kollegen das Puzzle zusammen. „Wir haben uns von Teil zu Teil weiter vorgewagt, um zu gucken, wie das alles zusammenpasst.“ Ein Meilenstein für die Umsetzung des Projekts war die Entwicklung des „Strak“, die Definition aller Oberflächen des Flugzeuges in einem digitalen 3-D-Modell.
Für jedes Bauteil eine 1:1 Schablone
Fehlende Bauteile werden aus Blech gefräst, inklusive vorgebohrter Nietlöcher. „Wir setzen auf Konstruktionen, die mit einfachsten Mitteln gefertigt werden können“, sagt Oswald Kaiser. Für jedes Bauteil gibt es eine Zeichnung im 1:1-Format, die auch als Schablone dient. Die Innen- und Außenflügel der Maschine sind fast fertig, nun konzentrieren sich die Condorianer auf den Rumpf und das Cockpit. „Wenn wir die Flügel mit dem Rumpf verbinden – das wird noch ziemlich komplex“, weiß Horst Becker.
Denkmal soll rollfähig werden
In die Lüfte aufsteigen wird die Condor nie mehr. Für die Zulassung im Luftverkehr hätte die Maschine in einem autorisierten Betrieb gefertigt werden müssen. Auch die Kosten für eine flugfähige Ausführung wären weitaus höher. Aber das historische Vehikel wird rollfähig sein. „Und alles was sich dreht oder bewegt, bewegt sich wieder“, betont Horst Becker. Das reicht vom Fahrwerk über die Landeklappen bis hin zum verstellbaren Propeller und Landescheinwerfer.
Letzte Reise geht nach Berlin
Ende 2019 oder Anfang 2020 soll die Restaurierung abgeschlossen sein. Der Termin ist für Horst Becker ein weiterer Ansporn. Gleichzeitig hat er „ein etwas flaues Gefühl im Bauch“. Denn mit der Fertigstellung naht der Abschied. Gemäß Vertrag kommt das Flugzeug in die Obhut des Deutschen Technikmuseums Berlin. Die Condor soll in den Hangar 6 in Tempelhof einziehen, mitsamt einer begleitenden Ausstellung zu Entwicklung, Einsatz und Restaurierung. „Die Leute können sich in das Fliegen vertiefen“, sagt Projektleiter Büker. Geplant ist unter anderem ein Flugsimulator, von dem aus die Besucher Landeklappen und Co. steuern. Die Bremer hoffen, dass die Berliner Zusagen auch tatsächlich eingehalten werden. „Wir haben keinen Plan B“, räumt Büker ein.
Pressekontakt:
Günter Büker, Tel.: 0160 - 96959717 oder Horst Becker, Tel.: 0173 - 6044037
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