Fahrerlose Autos der Zukunft: Bremer Wissenschaftler tüfteln mit
AutomotiveWillkommen in der Zukunft des Autofahrens: Bremer Wissenschaftler erforschen das autonome Fahren
Fahrerlose Autos sind die Zukunft – daran forschen auch Wissenschaftler der Universität Bremen. Parkplatzsuche, Einparken, Brems- und Ausweichstrategien zur Unfallvermeidung sind Herausforderungen, die von Fahrzeugen gemeistert werden müssen, wenn sie einmal vollkommen selbstständig das Fahren übernehmen sollen. In Bremen ist ein erstes Testfahrzeug unterwegs.
Aus dem Kofferraum dringt leicht blechern eine Männerstimme: „Autonomer Modus ist eingeschaltet.“ Laura Sommer, eine zierliche Frau von 25 Jahren, schaut vom Fahrersitz hinüber zu ihrem Beifahrer. Kollege Matthias Rick (26) balanciert auf den Knien einen Laptop, lässt seinen rechten Zeigefinger auf dem Mousepad nach rechts fahren, zeitgleich bewegt sich das Lenkrad in dieselbe Richtung. Eine wortwörtliche Fingerübung: Das System muss kurz justiert werden, bevor die Testfahrt beginnt. Es vermeldet dann aus dem Kofferraum eben jenen Satz per Sprechansage: Es kann losgehen mit dem autonomen Fahren.
Testfahrten unter Sicherheitsauflagen
Willkommen in der Zukunft des Autofahrens, oder besser: des Fahrenlassens. Vorweggenommen sei schon hier: Noch ist Phantasie gefragt, selbst wenn man auf dem Rücksitz des Testwagens sitzt, mit dem die beiden Doktoranden im Projekt „AO-Car“ des Zentrums für Technomathematik an der Universität Bremen autonome Fahrmanöver im städtischen Bereich entwickeln und testen. An diesem Tag wollen Sommer und Rick gemeinsam mit Projektleiter Professor Dr. Christof Büskens auf einer Seitenstraße in kleinen Sequenzen zeigen, woran sie arbeiten. Parkplatzsuche, Einparken, Brems- und Ausweichstrategien zur Unfallvermeidung sind nur einige der Herausforderungen, die vom Fahrzeug gemeistert werden müssen, wenn es einmal vollkommen selbstständig das Fahren übernehmen soll. Die Länder Bremen und Niedersachsen haben den Wissenschaftlern eine Ausnahmegenehmigung für ihr Testfahrzeug erteilt. Unter genauen Vorgaben darf es selbstfahrend, aber nicht fahrerlos in Bremen und im Umland unterwegs sein. Für ein erhöhtes Tempo ist ein Sicherheitstraining für Fahrzeugführer obligatorisch.
Die Herausforderung: von komplexen Situationen zum Algorithmus
Testfahrten wie diese finden bei einer Maximalgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern statt. „Der Fahrer kann jederzeit eingreifen“, betont Laura Sommer vom Fahrersitz aus.
Von außen ist das Auto unauffällig, ein Serienmodell, dessen Extraausstattung nicht sichtbar ist. Während es sich in Bewegung setzt, zeigt der Laptop-Monitor, was es mit Hilfe seiner zahlreichen Scanner, Kameras, Ultraschall-Sensoren und einem Radar erkennt: Seitenstreifen, Radfahrer und Fußgänger werden in Echtzeit grafisch angezeigt. In einer Seitenstraße stellen die Wissenschaftler dann einen Pappkarton auf die Straße. Auf dem Monitor baut sich parallel eine sanft verlaufende Kurve darum auf: Das System hat den optimalen Weg unter Berücksichtigung aller erfassten Variablen berechnet, Laura Sommer hält demonstrativ die Hände hoch, als das Auto um den Karton herumfährt.
Ziel: Standardlösung für alle Fahrmanöver
Hinter diesem und weiteren Fahrmanövern verbirgt sich die Arbeit der Technomathematiker: Sie sezieren Situationen und Fahrmanöver, die im Straßenverkehr auftreten können, stellen sie in nicht-linearen Funktionen nach, um sie dann – als Algorithmus verpackt – inklusive optimaler Handlungsoption für ein System handhabbar zu machen. „Als Mathematiker abstrahieren wir Situationen“, erklärt Büskens. Ziel ist, eine Standardlösung zu entwickeln, die für jedes Fahrmanöver angewendet wird.
Assistenzsysteme lösen bislang Einzelprobleme
Denn ein Problem der derzeitigen Technik zeigt sich im Projekt „AO-Car“ deutlich: Die bereits in Autos verbauten Assistenzsysteme, die automatisierte Vorgänge ausführen, sind Insellösungen. Unabhängig voneinander entwickelt, bauen sie auf unterschiedlicher Software und Problemlösungsmodellen auf – das macht die Vernetzung zu einem Gesamtsystem, das ein Ersatz für den Fahrer wäre, zum Problem. Auch wenn Berichte und Werbespots immer häufiger suggerieren, autonomes Fahren sei schon morgen möglich, lässt sich der Entwicklungsstand doch treffender wie folgt beschreiben: „Es gibt fertige Lösungen für einzelne Szenarien, aber nicht für den komplexen Straßenverkehr, den wir in Städten vorfinden“, erklärt Büskens. Was Autofahrer an Wahrnehmung, Handeln und Lernen leisten müssen, ist sehr komplex.
Parklücke erkennen
Beispiel: Einparken. Assistenzsysteme können das, aber: „Das Auto soll ja nicht nur einparken, sondern auch die Parklücke finden, wenn es auf einen Parkplatz fährt“, sagt Sommer. Das Terrain muss erkundet, eine Parklücke als solche erkannt werden, ebenso mögliche Hindernisse wie Fußgänger, Poller, Einkaufswagen. Dieses Szenario wollen die Bremer bis zum Jahresende als erste Etappe bewältigt haben.
Transfer aus der Raumfahrtforschung
An der Uni Bremen arbeiten drei Arbeitsgruppen (AG) an dem Projekt. Neben der AG für Optimierung und Optimale Steuerung von Büskens sowie der für Computergrafik und Virtuelle Realität befasst sich die AG Kognitive Neuroinformatik mit der Weiterentwicklung der Sensorfusion und mit Entscheidungsfindungen. Weiterer Partner ist das Institut für Raumfahrttechnik und Weltraumnutzung an der Universität der Bundeswehr München. Ebenso wie Büskens Team bringen sie Erfahrungswerte aus Raumfahrtprojekten ein, denn: „Vieles lässt sich übertragen“, sagt Matthias Rick. Egal ob Sonde auf einem entfernten Planeten oder Auto im Stadtverkehr, die Anforderungen seien ähnlich: Das Fahrzeug soll zuverlässig von A nach B manövrieren und dabei bekannte wie unbekannte Variablen meistern.
Autonomes Fahren: „Das wird uns bis 2050 und darüber hinaus beschäftigen“
Bis wir also gemütlich morgens im Auto auf dem Weg zur Arbeit die E-Mails checken und zwischendurch die Augen schließen können, während das Fahrzeug uns durch den Pendlerverkehr lenkt, wird es noch Jahrzehnte dauern, ist sich Büskens sicher. Selbstfahrende Autos auf der Autobahn hält der Technomathematiker dagegen in wenigen Jahren für „technisch und juristisch möglich, aber der Fahrer wird in Grenzsituationen immer noch die Verantwortung übernehmen müssen“. Denn vom automatisierten zum komplett autonom fahrenden Auto mit all seinen Facetten, „das wird uns bis 2050 und darüber hinaus beschäftigen.“ Für Büskens und sein junges Forscherteam zählt ohnehin eher der Weg zum Ziel: „Jeder Schritt auf dem Weg zum autonomen Fahren verbessert die Ist-Situation, weil es den Verkehr sicherer macht.“
Das Fahrgefühl? Fremd
Nach über 100 Testfahrten haben Laura Sommer und Matthias Rick inzwischen auch Erfahrung mit dem Gefühl hinterm Lenkrad, wenn das Auto die Steuerung übernimmt: „Es ist gewöhnungsbedürftig“, sagt Laura Sommer lachend. „Eigentlich dachten wir: 20 Stundenkilometer, das ist ja fast nichts. Aber die ersten Male fühlte es sich doch extrem an. Vor allem, weil man sich ständig fragt: Muss ich eingreifen?“ Auch Matthias Rick bestätigt: „Fahren, ohne dass man selbst fährt, muss man erst lernen.“
Pressekontakt:
Zentrum für Technomathematik an der Universität Bremen, Prof. Dr. Christof Büskens, Tel: 0421 218 63 861, E-Mail: bueskens@math.uni-bremen.de
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