Molekularbiologen der Universität Bremen weisen seltenes Phänomen nach
WissenschaftPflanzen mit zwei Vätern
Bei Menschen und Tieren verläuft es in der Regel tödlich, bei Pflanzen führt das seltene Ereignis zu überlebensfähigen Nachkommen: Eine Befruchtung, bei der eine Eizelle mit zwei Spermazellen verschmilzt – wodurch die Nachkommen drei Eltern haben können. Wissenschaftlern der Uni Bremen ist jetzt der Nachweis dieses Phänomens bei Pflanzen gelungen.
Einfluss auf die Evolution
Professorin Dr. Rita Groß-Hardt steht vor einer Reihe kleiner Plastiktöpfe. In ihnen wachsen Keimlinge der auch als Schotenkresse bekannten Ackerschmalwand. Was in der Wachstumskammer des Fachbereichs Biologie/Chemie der Universität Bremen aussieht wie ein unauffälliges Pflanzenexperiment, hat es in Wirklichkeit in sich: „Das Besondere an diesen Pflanzen ist, dass sie in ihren Zellen die Chromosomen von zwei Vätern und einer Mutter haben“, sagt Rita Groß-Hardt. Mit anderen Worten: Der Pflanzennachwuchs hat mehr als zwei Eltern. Gut möglich, dass die Fachwelt nun die Entwicklungsgeschichte der Pflanzen umschreiben muss, denn die Bremer Molekularbiologen gehen davon aus, dass die von ihnen beobachtete sogenannte Polyspermie eine wichtige Rolle bei der pflanzlichen Evolution gespielt hat.
Fortpflanzung als ultimatives Ziel
Wie Menschen und Tiere bilden auch Pflanzen für die Reproduktion Eizellen und Spermazellen. Aus biologischer Sicht ist die Fortpflanzung für alle Arten der Welt das ultimative Ziel: Häufig produziert der männliche Part große Mengen an Spermazellen, um Nachkommen zu sichern. Diese Strategie erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Befruchtung, birgt aber zugleich das Risiko, dass eine Eizelle mit mehr als einer Spermazelle verschmilzt. Dieser als Polyspermie bezeichnete Prozess ist bei Menschen und Tieren üblicherweise tödlich und führt zum schnellen Abort. Er ist aber auch sehr selten, da die Natur verschiedene Mechanismen entwickelt hat, um dies zu verhindern. Dem Forschungsteam um Professorin Dr. Rita Groß-Hardt ist nun der Nachweis gelungen, dass Polyspermie auch im Pflanzenreich vorkommt und dort zu überlebensfähigem Nachwuchs führt.
Genetischer Trick führt zum Beweis
Die Wissenschaftler haben sich dabei eines genetischen Tricks bedient. „Am liebsten wäre es uns gewesen, wenn die Pflanze ein Schild hochhält auf dem steht: Ich habe zwei Väter“, erzählt Groß-Hardt und lacht. Ganz so einfach war es dann doch nicht, aber das Ergebnis lässt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig. Das Forscherteam brachte in einen der Väter ein Gen ein, das Pflanzen resistent gegen ein bestimmtes Unkrautvernichtungsmittel macht. In einen zweiten Vater wurde ein Element eingefügt, das genau dieses Gen aktivieren kann. Anschließend bestäubten die Forscher eine dritte Pflanze, die Mutter, mit Pollen beider Väter.
Studie in renommierter Fachzeitschrift veröffentlicht
Bei normalen Befruchtungen verschmilzt nur die Spermazelle eines Vaters mit der Eizelle: Das Gen für die Herbizid-Resistenz wird dann entweder nicht vererbt oder es ist nicht aktiv. In den seltenen Fällen einer Polyspermie entstehen hingegen Pflanzen, die gegen das Unkrautvernichtungsmittel resistent sind. „Wir haben die Samen zum Keimen ausgestreut und sie dann mit dem Herbizid behandelt“, erläutert Thomas Nakel, der zusammen mit Dr. Dawit Tekleyohans große Teile der in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlichten Studie durchgeführt hat. „Der Vorteil unseres Verfahrens ist, dass wir relativ schnell sehr viele Nachkommen testen können. Alle Keimlinge, die keine drei Eltern haben, fallen tot um.“
Fingerspitzengefühl erforderlich
Für ihre erste und inzwischen abgeschlossene Versuchsreihe brauchte die Gruppe viel Geduld und Fingerspitzengefühl. „Wir haben mit einem handelsüblichen Staubsauger, für den ich nur einen speziellen Filter gebaut habe, die Pollen von den Vaterpflanzen abgesaugt und sie dann mit einem Pinsel auf die Narbe der Mutterpflanze getupft“, berichtet Nakel. „Da ist es schon hilfreich, wenn man eine ruhige Hand hat.“ Mit mehr als 2.000 Pflanzenkreuzungen erzeugten die Forscher insgesamt über 120.000 Nachkommen – von denen schließlich sieben die Behandlung mit dem Herbizid überlebten. „Das klingt erst einmal wenig“, meint Groß-Hardt, „kann im Lichte der Evolution aber sehr viel sein. Und es zeigt, dass Polyspermie in Pflanzen vorkommt und zu überlebensfähigen Nachkommen führen kann. Mit unserem genetischen Kunstgriff haben wir das lediglich sichtbar gemacht.“
Neues Werkzeug für Pflanzenzüchtungen
Die Forschungsergebnisse der Uni Bremen dürften Interesse über die Fachwelt hinaus hervorrufen, da Drei-Eltern-Kreuzungen ein neuartiges Werkzeug für die Hybridisierung von Pflanzen bieten. Das heißt, dass durch einen gezielten Einsatz von Polyspermie möglicherweise neue Pflanzen gezüchtet werden könnten, die gewünschte positive Eigenschaften ihrer Eltern in sich vereinen. Darüber hinaus werfen die Ergebnisse ein neues Licht auf die Evolution von Blütenpflanzen. „Es ist weithin akzeptiert, dass die Zunahme an genetischen Kopien maßgeblich zur Evolution und Artenvielfalt von Blütenpflanzen beigetragen hat“, so Groß-Hardt. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Verschmelzung von einer Eizelle mit mehr als einer Spermazelle eine solche Erhöhung der Chromosomenzahl verursachen kann. Es erscheint darum wahrscheinlich, dass Polyspermie eine wichtige Rolle bei der pflanzlichen Evolution und bei der Entwicklung der Artenvielfalt gespielt hat.“
Zur Patentierung eingereicht
Das Forschungsprojekt wird vom European Research Council noch bis 2020 mit insgesamt knapp zwei Millionen Euro gefördert. Bis dahin wollen die Bremer Molekularbiologen mehr über triparentale Pflanzen lernen und herausfinden, wo ihre Vor- und Nachteile liegen. Ihr Verfahren zur Herstellung von Drei-Eltern-Pflanzen wurde zur Patentierung eingereicht.
Pressekontakt:
Prof. Dr. Rita Groß-Hardt, Universität Bremen, Tel.: +49 421 21850203, E-Mail: gross-hardt@uni-bremen.de
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